KOCH-MEHRIN-Interview für die "Welt"
Berlin/Brüssel. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Spitzenkandidatin zur Europawahl, Dr. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab der "Welt" (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dr. CHRISTOPH SCHILTZ:
Frage: Frau Koch-Mehrin, Sie sind als EU-Kommissarin im Gespräch. Trauen Sie sich das Amt zu?
KOCH-MEHRIN: Es ist ehrenvoll, in der Diskussion meinen Namen zu finden. Aber diese Gedanken brauche ich mir jetzt gar nicht zu machen.
Frage: Wie wichtig ist der EU-Kommissar für die FDP?
KOCH-MEHRIN: Grundsätzlich wird der EU-Kommissar in Deutschland viel zu gering bewertet. Dabei ist er so etwas wie ein echter Superminister. Ein EU-Kommissar mit einem interessanten Aufgabenfeld ist sicherlich einflussreicher und wichtiger als der Bundeswirtschaftsminister. Die meisten Gesetze, die heute in Berlin verabschiedet werden, haben ihren Ursprung in Brüssel. Und die Kommissare spielen bei der Gesetzgebung für ganz Europa eine zentrale Rolle.
Frage: Wann sollte die Bundesregierung den Kommissar ernennen?
KOCH-MEHRIN: Ich warne davor, den deutschen Kommissar vor den Bundestagswahlen aus Panik zu benennen. Es gibt keinen Zeitdruck, die Kommission wird erst Anfang 2010 zusammentreten. Es wäre viel demokratischer, wenn die neue Regierung den Kommissar bestimmt.
Frage: Haben Sie es als Frau leichter in der Politik?
KOCH-MEHRIN: Am Anfang hat es eine junge Frau sicherlich leichter in einer Welt, die von älteren Männern dominiert wird. Aber dann muss man umso härter arbeiten, um dabei zu bleiben. Die Männer-Netzwerke funktionieren gut.
Frage: Fühlen Sie sich unterschätzt?
KOCH-MEHRIN: Es gibt immer wieder Versuche, Frauen wie mich auf die Haarfarbe zu reduzieren. Frauen werden sehr viel länger und ausdauernder unterschätzt als Männer. Das mag auch an der Kommunikation liegen. In der Politik haben wir ja einen ausgeprägten Schreistil, die meisten Reden werden schreiend gehalten. Die wenigsten Frauen pflegen diesen Stil.
Frage: Nützt gutes Aussehen in der Politik?
KOCH-MEHRIN: Haben Sie das schon mal einen Mann gefragt?
Frage: Jetzt frage ich Sie.
KOCH-MEHRIN: Mit Blick auf die Inhalte der Politik ist das Aussehen natürlich egal. Aber es geht auch darum, wahrgenommen zu werden und die Wähler mit seinen Ideen zu erreichen. Da wäre es dumm, die Aufmerksamkeit nicht einzusetzen.
Frage: Wie erklären Sie Ihren Kindern Europa?
KOCH-MEHRIN: Meine älteste Tochter ist sechs Jahre alt. Ich kann nicht sagen: Europa ist eine Akademie des Respekts. Ich sage: Europa ist ein bunter Strauß von Luftballons und keine Farbe ist besser als die andere.
Frage: Finden Sie die EU sexy?
KOCH-MEHRIN: Nein, aber man sollte darüber nicht lamentieren. Man kann nur verkaufen, was tatsächlich drin ist. Die EU hat keine klaren Verantwortlichkeiten, keine Gewaltenteilung und keine transparenten Entscheidungsverfahren. Es ist schwer darstellbar, was hier passiert.
Frage: Was schlagen Sie vor?
KOCH-MEHRIN: Die nationalen Regierungen müssten die Verantwortung der EU für die Gesetzgebung im eigenen Land, für das reale Leben der Menschen vor Ort, viel deutlicher machen.
Frage: Was macht Brüssel falsch?
KOCH-MEHRIN: Die EU hat in gewisser Weise den Charakter einer Wagenburg, frei nach dem Motto: 'Wir gegen den Rest der Welt. Wir wissen, was gut ist für die Menschen. Wir haben es oft genug zu erklären versucht und wenn die Menschen das nicht verstehen wollen, dann machen wir es halt" ohne sie.' Diese Sicht ist eine ganz große Gefahr.
Frage: Was kann die EU tun, um attraktiver zu werden?
KOCH-MEHRIN: Sie sollte sich auf Kernaufgaben konzentrieren. Das Motto der Barroso-Kommission lautet: "Europa der Ergebnisse". Das ist ein gefährlicher Trugschluss. Es kommt nicht nur auf die sichtbaren Ergebnisse an, sondern auch darauf, wie sie zustande kommen. Wir haben immer mehr Kompetenzen an Brüssel abgegeben in den letzten Jahren und die Demokratie dabei vergessen. Der Einfluss von Bürokraten auf unser Leben wird immer größer. Wir dürfen diese vordemokratischen Verhältnisse nicht hinnehmen. Die Volksvertretungen in der EU und in den Mitgliedstaaten müssen bei der Gesetzgebung eine viel größere Rolle spielen.
Frage: Sie werden in Deutschland laut Prognosen die große Gewinnerin der Europawahl sein. Was machen die Liberalen aus diesem Erfolg?
KOCH-MEHRIN: Die Umfragen sind ein toller Ansporn. Was zählt, ist das Ergebnis am Ziel. Wir werden jedenfalls dafür kämpfen, dass Brüssel sich nur dann einmischt, wenn es wirklich nötig ist.
Frage: Das wollen die Konservativen auch.
KOCH-MEHRIN: Ach ja? Schauen Sie sich die Politik des konservativen Kommissionspräsidenten Barroso und seiner Verbündeten im Parlament doch an: Produktverbote, Eurovignette, eine unsinnige Arbeitszeitrichtlinie und der immer weitergehende Eingriff in die Privatsphäre. Wir wollen keine Ökodiktatur, die den Menschen schadet. Wir wollen auch keine EU-Kommission, die die Bürger entmündigt und wie im Sozialismus festsetzt, welche Produkte in den Ladenregalen stehen.
Frage: Im September sind Bundestagswahlen in Deutschland: Will die FDP bürgerliches Korrektiv in einer Ampel sein oder lieber wieder in der Opposition landen?
KOCH-MEHRIN: Wir wollen bürgerliches Korrektiv zu einer inzwischen zu staatsgläubigen Union sein. Mit den Grünen und der SPD sehe ich keine inhaltlichen Schnittmengen. Für Koalitionen braucht man ausreichende Gemeinsamkeiten. SPD und Grüne haben einen Linksruck vollzogen. Gehen Sie davon aus: Wenn es keine bürgerliche Mehrheit gibt, gibt es früher oder später eine linke Regierung.