01.12.2010FDP

KINKEL/MEINHARDT-Streitgespräch in der "elde"

Berlin. In der aktuellen Ausgabe des FDP-Mitgliedermagazins "elde" (6/2010) haben der Vorsitzende der Deutschen Telekom-Stiftung und Bildungsexperte DR. KLAUS KINKEL und der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, PATRICK MEINHARDT, das folgende bildungspolitisches Streitgespräch geführt. Die Fragen stellte ADIB SISANI.

Frage: Nach PISA kooperieren die Bundesländer bei der Bildungspolitik bereits verstärkt miteinander. Sollte diese Kooperation fortgesetzt und intensiviert werden?

KINKEL: In jedem Fall. Meiner Meinung nach ist die Zusammenarbeit der Länder untereinander und vor allem die zwischen Bund, Ländern und Kommunen noch längst nicht intensiv genug, das Kompetenzgerangel immer noch viel zu heftig. Das schadet uns. Bildung muss zum gemeinsamen Mega-Thema werden, sonst halten wir als bisher große geisteswissenschaftliche, vor allem aber große Technologienation in der globalisierten Welt an der Spitze nicht mehr mit. Wir brauchen dringend mehr Qualität, Freizügigkeit und Chancengleichheit in der Bildung.

MEINHARDT: In Deutschland haben die Menschen doch die Nase voll von immer den gleichen, alten Bildungsdiskussionen. Die deutsche Krankheit sind Strukturdebatten. Aber in der Bildung dürfen wir nicht vergessen, dass es um die optimale Förderung jedes einzelnen Schülers mit seinen persönlichen Fähigkeiten geht. Warum boomen die freien, die privaten Schulen? Weil sie vor Ort entscheiden, weil sie dort Freiheiten bieten, wo das staatliche Schulsystem gängelt und mit Bürokratie zumüllt. Ja, Länder sollen kooperieren, indem sie endlich Bildungsstandards festsetzen und Abschlüsse so unkompliziert anerkennen, dass der Umzug von einem Land in ein anderes keine Odyssee wird. Hier hat PISA wachgerüttelt. Das brauchen wir, aber sicher nicht mehr Zentralismus.

Frage: Ist die Kultusministerkonferenz (KMK) das richtige Gremium für diese Kooperation? Dort gilt ja zum Beispiel das Einstimmigkeitsprinzip.

MEINHARDT: Die KMK in dieser Form ist so sinnlos wie ein Kropf. 60 Jahre lang hat die KMK notwendige Entscheidungen verpennt. Nein wir brauchen kein Ständiges Sekretariat der KMK mit 240 Hauptamtlichen, wir brauchen keinen Bürokratiemoloch, wir brauchen eine schlanke Bildungskonferenz. Hier erwarte ich, dass die Länder sich endlich auf die Hinterbeine stellen. Deutschland braucht eine neue Bildungspartnerschaft zwischen Bund, Ländern aber gerade auch den Gemeinden. Denn diese zahlen zu häufig die Zeche, sind bei den Beratungen aber vollkommen ausgeschlossen.

KINKEL: Die KMK könnte schon das Gremium sein, hat dafür aber zu beschränkte Zugriffs- bzw. Durchgriffsmöglichkeiten. Mit dem Einstimmigkeitsprinzip sprechen Sie eines der zentralen Probleme an. Einzelinteressen vor allem der Länder verhindern immer wieder die so dringend notwendigen Bildungspartnerschaften. Die Länder machen praktisch, was sie wollen. Jede neue Landesregierung setzt ihre Duftmarke zunächst mal in der Bildungspolitik und wirbelt damit alles wieder durcheinander. Dabei gehört endlich mal Ruhe vor allem in die Schullandschaft.

Frage: Seit der Föderalismusreform I sind die Länder exklusiv für die Bildung zuständig. Eine richtige Entwicklung? Reicht es denn aus, wenn nur die Bundesländer kooperieren?

KINKEL: Klares Nein. Es reicht nicht, wenn nur die Länder kooperieren und wie ich gerade verdeutlicht habe, funktioniert ja - mit rühmlichen Ausnahmen - nicht mal das. Darunter leiden vor allem die Schulen, wo der Bildungsföderalismus besondere Blüten treibt. Lehrer, Schüler und Eltern müssen sich permanent auf neue Strukturen und Vorgaben einstellen. Von den tatsächlich immensen Schwierigkeiten eines Schulwechsels über Ländergrenzen gar nicht zu reden. Und auch nicht von dem sagenhaften Kita-Bildungsplansalat in den 16 Ländern. Wir brauchen eine wirkliche Bildungspartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

MEINHARDT: Schulbildung wird doch dadurch nicht besser, dass der Bund auch noch mitmischt. Wollen Sie wirklich, dass wir mit Ihren Steuergeldern mitfinanzieren, dass im rot-roten Berlin der Besuch eines Gymnasiums ausgelost wird? Wollen Sie wirklich, dass wir für unsinnige Schulreformen, wie sie schwarz-grün in Hamburg vorhatte, auch nur einen Cent aus dem Bundesbildungshaushalt geben oder auch noch den Kampf gegen die Privatschulen im schwarz-roten Thüringen mit Bundesgeldern unterstützen? Wir Liberale wissen mit unserem ordnungspolitischen Kompass, dass klare Zuständigkeiten und klare Verantwortlichkeiten die richtige Politik befördern.

Frage: Müsste man nicht über das Kooperationsverbot von Bund und Ländern neu nachdenken?

MEINHARDT: Einen dümmeren Begriff als das Kooperationsverbot gibt es gar nicht. Es ging 2006 darum, das Finanzierungschaos für die Bildung zu beenden. Bund und Länder haben doch gerade gezeigt, dass sie gemeinsam keine bessere Bildungspolitik erreichen können. Und die Städte und Gemeinden wurden ständig ausgesperrt. Es gab keine zentralistischere Einrichtung in den letzten drei Jahrzehnten als die abgeschaffte "Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung". Sie hat uns planwirtschaftlich in den PISA-Schock geführt. Wir haben 30 Jahre mit der Beteiligung des Bundes über eine Billion Euro bis 2006 in die Bildung gepumpt und was ist das Ergebnis? Wer jetzt schon wieder das Grundgesetz ändern will, macht in der Bildung einen Riesenfehler. Käseglockenprogramme, in denen zentral für jedes Land, jede Region, jede Schule genau gleiche gefordert wird, bringen uns nicht voran.

KINKEL: Diese Einstellung halte ich für völlig falsch. Sämtliche Umfragen zu diesem Thema sind überdeutlich. Die Bürger haben das Chaos satt. Und wir wollen als FDP doch wieder Wahlen gewinnen. Das Kooperationsverbot war ganz klar eine Fehlentscheidung und wurde dem Bund von den Ländern abgetrotzt. Ich fordere daher seit langem eine erneute Grundgesetzänderung und bin damit ja längst nicht mehr allein. In der SPD und bei den Grünen ist es entschieden, auch bei der CDU mehren sich die Stimmen, die eine Aufhebung dieser Regelung fordern. Die Hochschulrektorenkonferenz, der Deutsche Städtetag, die Bundesdirektorenkonferenz haben sich für eine Aufhebung ausgesprochen. Außer der FDP bleibt kaum noch jemand übrig. Und die Vernunft sagt uns doch auch, dass es nicht angehen kann, wenn die Länder und Kommunen zwar einerseits Bundesmittel haben wollen, den Bund andererseits aber möglichst raushalten und ihm keinerlei Mitspracherecht in Bildungsfragen einräumen wollen. Ich bin ganz sicher, dass das Kooperationsverbot nicht zu halten ist. Daher sollte sich die FDP endlich bewegen. Da bin ich übrigens auch mit Hans-Dietrich Genscher einig. Was muss denn noch passieren, damit die FDP reagiert? Die Länder schaffen ganz einfach allein nicht, was im gesamten Bildungssystem vor allem an Schulen und Hochschulen zu schultern ist. Das wissen sie inzwischen auch

Frage: Der Koalitionsvertrag von 2009 spricht von der Bildung als "gesamtstaatlicher Aufgabe". Kann man dieser Aufgabe, ganz allgemein gefragt, bei ausschließlicher Länderzuständigkeit gerecht werden?

KINKEL: Erneut ein klares Nein. Deswegen bin ich so ausdrücklich für die Aufhebung des Kooperationsverbots als erstem wichtigen und symbolhaften Zeichen. Wohl gemerkt: Ich bin mit Leib und Seele Föderalist. Und natürlich ist der Föderalismus nicht an allen Problemen im Bildungsbereich schuld, allerdings sind Korrekturen erforderlich. Die Verbesserung unseres Bildungssystems ist ein riesiger Kraftakt. Hier müssen alle Akteure an einem Strang ziehen. Von Seiten des Bundes ist dieser Wille im Koalitionsvertrag festgelegt und auch private Akteure wie die Bildungsstiftungen oder die Wirtschaft arbeiten konstruktiv mit. Nun sollten auch die Länder endlich ihren Beitrag leisten und damit ihren Teil der Verantwortung für die Bildung zum Ausdruck bringen und nicht zum Beispiel immer wieder Bildungsgipfel ausbremsen.

MEINHARDT: Der Koalitionsvertrag fordert eine neue Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern und Gemeinden - in jeweiliger staatlicher Zuständigkeit. Wir können nicht schon wieder das Fass der Strukturdebatte, der Zuständigkeitsdebatten aufmachen wollen. Es reicht: Wir diskutieren uns in diesem Land noch über Strukturen zu Tode. Ich will endlich auch bei uns Liberalen mehr Debatten über die Inhalte, über Bildungsziele, über die Stärkung von Erziehungsverantwortung, über die Freiheit, die wir Schulen geben müssen.

Frage: Noch einmal ganz konkret: Ist mit der ausschließlichen Länderzuständigkeit das Ziel der christlich-liberalen Bundesregierung, die Bildungsausgaben bis 2013 um 12 Milliarden Euro anzuheben, zu bewerkstelligen?

MEINHARDT: Selbstverständlich, das sehen Sie doch: Nationales Stipendienprogramm, Bafög-Modernisierung, Weiterbildungsprogramm für Erzieherinnen und Erzieher, Bildungschipkarte, Exzellenzinitiative, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das auf einem guten Weg ist, etc. Die 12 Milliarden Euro sind der höchste Aufwuchs, den je eine Bundesregierung für Bildung und Forschung investiert hat. Aber selbstverständlich müssen auch die Länder die Priorität auf Bildung legen.

KINKEL: Nein, dieses Ziel wird man so nicht erreichen. Nochmals: Notwendig ist eine nicht nur auf dem Papier bestehende, sondern gelebte Bildungspartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die bildungspolitische Kleinstaaterei muss ein für alle Mal ein Ende haben. Wir stehen nicht umsonst im Bildungsbereich unter den 17 führenden Industrienationen nur auf Rang 12.

Frage: Welche Wege könnten die Bundesmittel denn alternativ, ohne Änderung der Gesetzeslage, nehmen?

KINKEL: Im Augenblick wird quasi von hinten durch die Brust ins Auge wird versucht, das Kooperationsverbot zu umschiffen. So wird nur jede Menge Energie verschwendet. Das muss sich ändern. Eine Beseitigung des Kooperationsverbotes würde es zum Beispiel möglich machen, dass Bundesmittel an Brennpunktgrundschulen fließen - ohne den Umweg über strukturell auf solche Aufgaben nicht vorbereitete private Fördervereine. Möglich wäre, dass Hauptschüler gezielt Unterstützung erhalten und dass Bund und Länder gemeinsam Projekte zur Beschleunigung der Umsetzung von Bildungsstandards entwickeln und umsetzen. Die liegen nämlich immer noch im Argen, auch wenn allein die Erarbeitung solcher Standards ein Erfolg ist. Möglich wäre es auch, deutsche Schulen umfassend mit digitalen Medien auszustatten - hier müsste die Wirtschaft mit ins Boot. Diese Liste könnte ich fortsetzen. Der Vorwurf, eine Änderung der Kooperationsvorschrift würde und könnte nicht viel verändern, ist also Unsinn.

MEINHARDT: Wir brauchen keine bundesweiten Beglückungsprogramme, die möglichst für alle an jedem Ort das Gleiche wollen. Ich will für die Länder ganz unkompliziert einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer. Mit einem Prozent mehr für die Länder hätten diese sofort acht Milliarden mehr zur Verfügung. So würde ein Bildungsgipfel kein Flop werden: Der Bund anerkennt die unterschiedlichen Entwicklungen in Ländern und Regionen, verzichtet auf ein Prozent der Umsatzsteuer und die Länder verpflichten sich im Gegenzug, diese acht Milliarden zusätzlich für Bildung zu investieren. Nur eine letzte Bemerkung sei mir noch erlaubt: Wir müssen nicht immer mehr Geld ins System pumpen sondern auch endlich einmal kritisch überprüfen, ob es richtig eingesetzt wird und wer über die Investitionen entscheidet. Nicht zentrale Bürokratien wissen, was für den Schüler am besten ist, sondern die Schulen. Deswegen müssen wir Liberale für weniger Bildungsbürokratie von oben und mehr Bildungsfreiheit vor Ort kämpfen.

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