KEMMERICH-Interview: Wir werden das Zünglein an der Waage sein
Der FDP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl in Thüringen, Thomas L. Kemmerich, gab der „Ostthüringer Zeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jörg Riebartsch.
Frage: Der Trend in den Wahlumfragen weist Ihnen in Thüringen nach den Landtagswahlen gar keinen Platz im Landtag zu. Wie motivieren Sie sich?
Kemmerich: Die Umfragen betrachte ich aus einem anderen Blickwinkel. Wir wissen von der großen Zahl von Unentschlossenen und dass sich gerade Wähler der FDP oft auf den letzten Metern entscheiden. Wir werden in der letzten Woche des Wahlkampfes fleißig unsere Themen erläutern. Wir werden das Zünglein an der Waage sein, um eine Regierung aus der Mitte zu bilden.
Frage: Sie sind als Politiker in Thüringen nahezu unbekannt. Was lief da in den zurückliegenden Jahren schief?
Kemmerich: Das stimmt nicht. Nach einer jüngsten Umfrage kennen mich 56 Prozent der Thüringer. Dass mein Bekanntheitsgrad in Unternehmerkreisen und bei politisch Interessierten deutlich größer ist, gehört zum Los einer noch außerparlamentarischen Oppositionspartei.
Frage: Wenn die Linkspartei mit Ministerpräsident Bodo Ramelow stärkste Partei wird und Juniorpartner sucht – sind Sie dann dabei?
Kemmerich: Nein. Wir werden nicht das Leben der Linksregierung in Thüringen verlängern. Ramelow steht zwar wie ein guter Schauspieler vor seinem Orchester, verdeckt aber viele Misstöne zur Bildung und zu den Fragen, ob dieses Land wirklich unternehmerfreundlich ist oder wir bei der Modernisierung des Landes vorangekommen sind. All das sehe ich nicht positiv.
Frage: Wenn Sie in eine Regierung eintreten, wäre doch die Linksregierung abgewählt.
Kemmerich: Wir wollen auch keine Regierung unter der Linken verlängern. Wir möchten eine neue Regierung aus der Mitte der Gesellschaft bilden. Da habe ich andere Partner und andere politische Inhalte vor Augen.
Frage: Welche Partner?
Kemmerich: Die größten Schnittmengen haben wir mit der CDU. Der Wähler wird als Souverän am 27. Oktober entscheiden.
Frage: Tolerieren Sie im Zweifel eine Minderheitsregierung?
Kemmerich: Wenn wir in den Landtag kommen, können wir über eine Regierungsbeteiligung verhandeln. Und das machen wir ohne Schere im Kopf.
Frage: Nach dem Fernsehduell hören wir in Gesprächen mit Bürgern, dass die FDP nah an den Positionen der AfD sei. Wie sehen Sie das?
Kemmerich: Ich sehe keine Übereinstimmung. Natürlich beziehen wir klare Rechtsposition bei Fragen eines Europäischen Grenzschutzes und einer konsequenten Abschiebung. Wir halten nichts vom Seehofer-Plan, von den auf der See unbedingt zu rettenden Menschen 25 Prozent eine sichere Passage nach Deutschland anzubieten. Das wird aus anderen politischen Kreisen als ähnliche Position mit der AfD unterstellt. Die AfD ist autokratisch, völkisch. Wir hingegen sind optimistisch und glauben an den Mensch als Individuum. Es gibt keine Schnittmengen mit der AfD.
Frage: Das heißt, Sie schließen jede Zusammenarbeit aus?
Kemmerich: Mit Funktionären der AfD ist keine Zusammenarbeit möglich. Ich rede mit vielen, die nachdenken, dort ihr Kreuz zu machen. Ich erlebe viel Frust und viel Protest. Aber der Protest über die AfD wird in einer Sackgasse enden, weil es kein politisches Angebot bei der AfD gibt, die nachvollziehbaren Kritikpunkte zu lösen.
Frage: Warum werben Sie mehr als andere Parteien über die sozialen Netzwerke?
Kemmerich: Wir sind eine Partei, die ans Moderne, Optimistische glaubt. Der Onlinewahlkampf gewinnt an Bedeutung. 46 Prozent der Thüringer sind mindestens einmal wöchentlich in sozialen Netzwerken. Vor allem jüngere Menschen konsumieren darüber die Inhalte.
Frage: Lassen Sie sich von Ihren Kindern beraten?
Kemmerich: Von ihnen bekomme ich die Rückmeldung, wie Themen wirken und ankommen. Auch die Freundeskreise meiner Kinder spiegeln das wider.
Frage: Was hätte Ostthüringen davon, wenn die FDP in den Landtag einziehen würde?
Kemmerich: Auf jeden Fall keine Windkraft im Wald. Wir sehen die Landwirtschaft als wichtigen Wirtschaftssektor, der für den Ausgleich zwischen städtischem und ländlichem Raum steht. Dafür machen wir uns stark. Fest steht: Der Wirtschaftsaufschwung gelingt nur über den Mittelstand. Dafür brauchen die Mittelständler gute Geschäftsideen, neue Fachkräfte und Breitbandanschluss. Die Wirtschaftsvertreter anderer Landkreise sehen mit Sorge, dass fast alle Investitionen nach Jena gehen.
Frage: Hieß es nicht immer, der Leuchtturm müsse gestärkt werden, um gut auszustrahlen?
Kemmerich: Ein Land wächst aus den Leuchttürmen heraus, das stimmt. In Jena läuft alles über. Wohnungen sind ebenso wenig wie Fachkräfte zu finden. Der Platz für die Wirtschaft zur Expansion wird knapp. Es ist an der Zeit, das Umland besser mitzunehmen, wie es der FDP-Oberbürgermeister Thomas Nitzsche auch macht. Wir müssen uns ein Beispiel an der Region Leipzig nehmen. Dort gibt es sternförmig Nahverkehrslinien in die Stadt, aber auch gezielte Ansiedlungen von Unternehmen im Umland.
Frage: Jena ist als wirtschaftliches Herz von Thüringen lausig schlecht an den Bahnfernverkehr angebunden, in Gera gibt es nicht mal eine Oberleitung am Bahnhof, in Ostthüringen fehlen noch mehr Lehrer als im Rest von Thüringen. Ist der Osten nicht abgehängt von Thüringen?
Kemmerich: Mit der Analyse muss ich Ihnen leider Recht geben, dass Mittel-, Süd- und Westthüringen besser angebunden sind. Unser Konzept ist, mehr in Großräumen zu denken. In Ostthüringen gibt es viele gute Mittelständler, die müssen wir stärken. Aber auch die Nähe zu Sachsen müssen wir besser nutzen. In Ostthüringen bietet sich noch mehr als in Gesamtthüringen eine Sonderwirtschaftszone an.
Frage: Was soll eine solche Zone bringen?
Kemmerich: Steuerliche Erleichterung, um mehr Ansiedlungen zu erzielen. Das gelingt über eine radikale Senkung der Gewerbesteuer, natürlich mit einem Ausgleichsmechanismus für die betroffenen Orte. Aus meiner Sicht sollte man ein solches Instrument anwenden, um beispielsweise in Hermsdorf den Forschungskern zu stärken.
Frage: Orte, die mit einer niedrigen Gewerbesteuer locken wollen, werden oft vom Landesverwaltungsamt ausgebremst.
Kemmerich: Dann müssen die gesetzlichen Regeln geändert werden. Es braucht einen Aufholprozess, da kann man nicht schwächeren Kommunen einen höheren Steuersatz aufbürden.
Frage: Welche Unterstützung bekommt Jena trotz Hauptbahnhof-Aus in Sachen Verkehrsinfrastruktur?
Kemmerich: Dass Erfurt der zentrale Anlaufpunkt für die nationalen Verbindungen ist, werden wir nicht mehr umkehren können. Aber die Anbindung muss in einer ernst gemeinten Taktung passieren. Hier fällt uns auf die Füße, dass wir kein Thüringer Mobilitätskonzept haben. Die Ideen drehen sich immer nur um Bus und Bahn. Wir sind angesichts der schlechten Mobilfunk-Netzabdeckung weit weg vom autonomen Fahren. Deshalb wird es auch weiterhin die individuelle Mobilität brauchen.
Frage: Also wollen Sie den Autoverkehr stärken?
Kemmerich: Wir sind für mehr Park-and-Ride-Angebote. Aber die Autofahrer müssen zu zentralen Punkten kommen. Dafür braucht es gut ausgebaute Einfallstraßen. Erst wenn es alternative Verkehrsangebote gibt, können die Menschen im ländlichen Raum umsteigen.
Frage: Warum setzen Sie sich für den Fortbestand des Dieselmotors ein?
Kemmerich: Die modernen Dieselfahrzeuge verfügen über eine sehr gute Abgasreinigung. Die Menschen sollen ihr Fahrzeug so lange fahren dürfen, bis der Tüv sie scheidet – und nicht ein Stopp-Signal der Politik. Die Thüringer investieren in ein Auto und gehen von zehn bis zwölf Jahren Nutzungszeit aus. So lange muss eine Technik auch anerkannt sein.
Frage: Erleben wir noch den Bau der Linkenmühlenbrücke?
Kemmerich: Sie sitzen vor einem Unternehmer. Wenn ich einen festen Willen habe, etwas zu bauen, darf ich nicht fragen, was das Projekt verhindert, sondern muss Wege finden, es zu realisieren. Ich unterstütze das Vorhaben ausdrücklich.
Frage: Die Ortsumgehung Pößneck, Krölpa, Rockendorf der Bundesstraße 281 genießt seit mehr als 20 Jahren die allerhöchste Dringlichkeitsstufe. Noch ist kein Meter gebaut. Da wird doch klar, wo die Verdrossenheit der Bürger herkommt?
Kemmerich: Ich verstehe die Bürger. Wenn ich Versprechen gebe, muss ich sie auch einlösen. Der Flughafen BER in Berlin ist nur ein Beispiel. Wir müssen aufpassen, dass wir uns durch komplizierter werdende Planungs- und Vergabeverfahren nicht selbst ausknocken.
Frage: Sie wollten ja nicht an der Bundesregierung teilnehmen. In der Opposition lassen sich diese Dinge nur schwer beeinflussen.
Kemmerich: Die Streitereien in der Migrationsfrage wären mit den Grünen nicht zu lösen. Wir hätten viele andere Wahlaussagen nicht umsetzen können.
Frage: Wird das in Thüringen anders?
Kemmerich: Wir sind nicht blauäugig, dass wir in Koalitionsgesprächen nicht jede einzelne unserer Positionen umsetzen können. Aber bei unseren Kernthemen wie weniger Schulausfall, bessere Bildung, besseres (land)wirtschaftliches Umfeld und durchsetzungsfähiger Rechtsstaat lassen wir nicht locker.
Frage: Kehren Sie bei einem Wahlerfolg in Thüringen wirklich dem Bundestag den Rücken?
Kemmerich: Mit Einzug in den Landtag gebe ich mein Bundestagsmandat zurück und nehme meine Aufgabe in Thüringen wahr.