FDPFlüchtlingskrise

Jahr der verpassten Chancen geht auf Merkels Konto

Nicola BeerNicola Beer nimmt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ins Visier
05.09.2016

Im Gastbeitrag für "Focus Online" zieht FDP-Generalsekretärin Nicola Beer eine kritische Bilanz der deutschen Asylpolitik. Sie rügt, dass die Kanzlerin "ihrem ersten Impuls, am 5. September die Grenzen zu öffnen und auf eine vermeintliche oder tatsächliche Notlage zu reagieren, nicht rationale Handlungen folgen ließ". Merkels Verantwortung wäre gewesen, einen politischen und administrativen Rahmen zu schaffen, um humanitäres Handeln erst zu ermöglichen, gibt die Freidemokratin zu bedenken. "Stattdessen machte sie einen Fehler nach dem anderen."

Mit ihrer eigenmächtigen Grenzöffnung habe die Kanzlerin Europa entzweit, so Beer weiter. "Zu lange wurde versäumt, sich auf das Flüchtlingsthema einzustellen und die Außengrenzen zu sichern, Frontex auszubauen. Die Länder an der Außengrenze wurden zu lange allein gelassen – Italiens Hilferufe verhallten ungehört", kritisiert sie.

Um nicht von ihrer eigenen Linie abweichen zu müssen, habe Merkel dann zum schmutzigen Deal mit dem autokratischen Erdogan-Regime gegriffen. "Dass tatsächlich weniger Zuwanderer nach Deutschland kommen, liegt jedoch nur an der folgerichtigen Schließung der Balkanroute. Umsonst der Verkauf westlicher Werte, den Erdogan weidlich ausnutzt, indem er innertürkische Konflikte nach Deutschland trägt und weiterhin Imame finanziert, die in Hinterhofmoscheen gegen den Westen wettern", unterstreicht die Freidemokratin.

Große Koalition ist in Untätigkeit erstarrt

Über die Notwendigkeit, Menschen in Not zu helfen, bestehe unter Demokraten kein Zweifel, verdeutlicht die FDP-Generalsekretärin. "Wer persönlich verfolgt wird, der soll Asyl erhalten, das ist nicht verhandelbar." Auch Kriegsflüchtlingen müssten unbürokratische Hilfe bekommen – allerdings könne es aus Sicht der Freien Demokraten nur einen zeitlich befristeten Schutz geben. "Sind im Heimatland wieder stabile Zustände eingekehrt, dann müssen sie zurück. Und diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, müssen unverzüglich abgeschoben werden", macht Beer klar.

Allerdings sei die Große Koalition in Untätigkeit erstarrt. "Und wenn dann mal etwas Sinnvolles auf den Weg gebracht werden soll, wie die Qualifizierung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer, dann blockieren die von Merkel unverhohlen umworbenen Grünen über den Bundesrat", moniert Beer. Die vergangenen 12 Monate stünden für eine Zeit der verpassten Chancen, in der beispielsweise ein Einwanderungsgesetz hätte auf den Weg gebracht werden müssen. "Es muss Voraussetzungen einer gesteuerten Zuwanderung definieren. Nur so können wir verhindern, dass alle, die dauerhaft nach Deutschland kommen wollen, den Weg über das Asylrecht beschreiten. Nur so können wir die Kräfte ins Land holen, die wir zum Erhalt unserer wirtschaftlichen Stärke und zur Sicherung unserer Sozialsysteme benötigen", führt sie aus.

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Jubelnde Menschenmassen am Münchener Hauptbahnhof. Teddybären und Blumen werden geschwenkt. Schilder heißen Ankömmlinge willkommen. Der Beifall nimmt frenetische Züge an. Diejenigen, denen er gilt, sind gezeichnet von Strapazen. In ihre Gesichter ist Erleichterung geschrieben, auch ein wenig Verlegenheit zuweilen. Ein Sommermärchen der besonderen Art, eines, dessen Ende immer noch offen ist.

Hier wurden keine Athleten empfangen, auch wenn die Szenen daran erinnern. Hier wurden Flüchtlinge mit einer medientauglichen „Willkommenskultur“ gefeiert, die durch Angela Merkels einsame Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, den Weg nach Deutschland gefunden hatten. Zuvor ihr Satz oder der des SPD-Vorsitzenden, die Unterschiede verschwimmen offenbar, der bis heute wie ein Spaltpilz wirkt: Wir schaffen das.

Die Flüchtlingspolitik präsentiert Deutschland und der Welt eine verwandelte Angela Merkel: Die Physikerin agiert als Pfarrerstochter, und versagt damit als Kanzlerin. Man mag es ihr abnehmen, dass sie aus christlichem Verständnis heraus agierte angesichts des Leids der Flüchtlinge, und nicht, wie sogar manche grüne Frontfrau, das Flüchtlingsthema als Vehikel für krude Ideen zur Umgestaltung der Gesellschaft missbrauchte.

Doch man kann der Kanzlerin nicht verzeihen, dass sie ihrem ersten Impuls, am 5. September die Grenzen zu öffnen und auf eine vermeintliche oder tatsächliche Notlage zu reagieren, nicht rationale Handlungen folgen ließ. Ihre Verantwortung wäre gewesen, einen politischen und administrativen Rahmen zu schaffen, der humanitäres Handeln erst ermöglicht. Stattdessen machte sie einen Fehler nach dem anderen.

Merkels Alleingang war anmaßend. Anmaßend gegenüber europäischen Nachbarn, die sie vor ein fait accompli stellte, demütigte und teilweise dämonisierte. Fühlten sich Cameron und Hollande von Deutschland überrollt, was an sich schon schlimm genug ist, so sahen sich mitteleuropäische Staaten – allen voran die Visegrád-Gruppe – regelrecht gemaßregelt, vorgeführt und als undankbare und hartherzige Nationalisten abgestempelt.

Fast schien es, als werde deren Zugehörigkeit zur europäischen Wertegemeinschaft eher bezweifelt als die der überwiegend muslimischen Flüchtlinge. Zugestanden: der Tiefschlaf im Auswärtigen Amtes trug erheblich zu dem Desaster bei. Doch Merkels eigenmächtige Grenzöffnung ist und bleibt eine diplomatische Grenzüberschreitung.

Anmaßend war ihre Haltung auch gegenüber den Bürgern, deren berechtigte Fragen und Sorgen wegen des Aufeinanderprallens unterschiedlicher Kulturen und Wertesysteme, wegen des wachsenden Kostendrucks in Kommunen und Sozialsystemen sie ignorierte und die sie in Willkommensclaqueure und Flüchtlingsgegner teilte. Je lauter die Stimmen der Zweifler, je triftiger die Argumente der Gegner wurden, um so sturer wiederholte Merkel ihr Mantra „Wir schaffen das“, sie tut es noch heute.

Ein Jahr ist vergangen, in dem Merkel mit ihrem einsamen Entschluss quasi eingerissen hat, was sie in zehn Jahren Kanzlerschaft aufgebaut hatte. Sie, die im Ausland schon als Synonym für Deutschland stand, hat mit ihrem persönlichen Ansehens- und Vertrauensverlust auch das Land mitgerissen. Das kann uns nicht kalt lassen. In der Folge ihres Alleinganges wurde die deutsche Gesellschaft gespalten. Radikalpazifisten mit rosaroten Multikultibrillen stehen braungefärbten, völkischen Angstmachern gegenüber und kämpfen um die Stimmungshoheit.

Von Debattenkultur, in diesen Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruchs notwendiger denn je, ist nichts zu spüren. In der Mitte findet sich eine große verlorene Gruppe, die die bedingungslose „Willkommenskultur“, mit der sich die Willkommenheißenden in Wirklichkeit vor allem selbst feiern, nicht mitmachen kann. Sie möchte Antworten, darf aber noch nicht mal Fragen stellen. Denn sobald in einer Frage Angst und Zweifel mitschwingen, erfolgt postwendend die Etikettierung: Nazi.

Alleingelassen mit ihren Sorgen, konfrontiert mit einem Rechtsstaat, der zwar gewissenhaft Knöllchen verteilt, sich aber bei schwerwiegenden sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht als nicht durchsetzungsfähig erweist, entschließen sich diese Bürger zum Protest. Auch sie machen zunehmend dicht – gegenseitige Vorwürfe, nicht Argumente beherrschen die Szenerie, Dialog gibt es nicht mehr.

Die Angst vor vermeintlicher rechter Radikalisierung, so scheint es zuweilen, ist bei den politisch Verantwortlichen größer als vor islamistischem Terror, der in Frankreich und Belgien hunderte unschuldige Menschen das Leben gekostet hat. Der Anstieg der Rechtspopulisten – er geht auch auf das Konto der Bundeskanzlerin. Und er hängt damit zusammen, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten versäumt wurde, Probleme sachlich anzusprechen und gesetzliche Voraussetzungen für eine gesteuerte Einwanderung zu schaffen.

Merkel hat auch Europa entzweit. Die Wertegemeinschaft ist in Frage gestellt. Zu lange, das gibt sie mittlerweile selbst zu, wurde versäumt, sich auf das Flüchtlingsthema einzustellen und die Außengrenzen zu sichern, Frontex auszubauen. Die Länder an der Außengrenze wurden zu lange allein gelassen – Italiens Hilferufe verhallten ungehört. Gegen eine proportionale Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas hatte sich Merkel zuvor immer gewehrt. Dann plötzlich setzte sie Dublin III kurzerhand außer Kraft und forderte von den Nachbarn, Flüchtlinge aufzunehmen. Denn auch Merkel wurde klar: Der Zuzug der Flüchtlinge muss eingedämmt werden.

Um nicht von ihrer eigenen Linie abweichen zu müssen, griff sie zum schmutzigen Deal, ausgerechnet mit dem Autokraten Erdogan. Dass tatsächlich weniger Zuwanderer nach Deutschland kommen, liegt jedoch nur an der folgerichtigen Schließung der Balkanroute. Umsonst der Verkauf westlicher Werte, den Erdogan weidlich ausnutzt, indem er innertürkische Konflikte nach Deutschland trägt und weiterhin Imame finanziert, die in Hinterhofmoscheen gegen den Westen wettern.

Dass Menschen in Not geholfen werden muss, darüber besteht unter Demokraten kein Zweifel. Wer persönlich verfolgt wird, der soll Asyl erhalten, das ist nicht verhandelbar. Auch Kriegsflüchtlingen muss unbürokratisch geholfen werden. Doch es kann nach Meinung der Freien Demokraten nur einen zeitlich befristeten Schutz geben. Fällt der Fluchtgrund weg, sind im Heimatland wieder stabile Zustände eingekehrt, dann müssen sie zurück. Und diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, müssen unverzüglich abgeschoben werden.

Doch die Große Koalition ist in Untätigkeit erstarrt, bewegt sich allenfalls im Schneckentempo. Und wenn dann mal etwas Sinnvolles auf den Weg gebracht werden soll, wie die Qualifizierung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer, dann blockieren die von Merkel unverhohlen umworbenen Grünen über den Bundesrat. Eine unheilige Allianz aus Gesinnungsethikern und denen, die mit verdeckter Agenda unser Land über die ungesteuerte Zuwanderung umgestalten wollen.

Die vergangenen 12 Monate stehen für eine Zeit der verpassten Chancen. In der beispielsweise endlich ein Einwanderungsgesetz hätte auf den Weg gebracht werden müssen. Es muss Voraussetzungen einer gesteuerten Zuwanderung definieren, die wir dringend benötigen. Nur so können wir verhindern, dass alle, die dauerhaft nach Deutschland kommen wollen, den Weg über das Asylrecht beschreiten. Nur so können wir die Kräfte ins Land holen, die wir zum Erhalt unserer wirtschaftlichen Stärke und zur Sicherung unserer Sozialsysteme benötigen.

Wir brauchen eine ehrliche Diskussion über die Aufnahmefähigkeit ‎unseres Landes. Wir müssen auch festlegen, wie viele Zuwanderer in den Arbeitsmarkt wir wirklich benötigen und welche Qualifikationen sie mitbringen müssen. Denn auch unsere Kräfte sind nicht unendlich. Und klar ist: Sie müssen unsere Regeln akzeptieren.

Ein Jahr nach dem ersten großen Zuzug von Flüchtlingen sitzen weltweit Menschen auf gepackten Koffern oder sind bereits auf dem Weg nach Europa. Es wird Zeit, dass die Europäer ihre Außengrenzen solide absichern, statt von einem autokratischen Despoten abhängig zu sein. Ein Terrorabwehrzentrum und eine umfassende Reform des Dublin-Abkommens sind überfällig. Genauso wie die Rücknahmeabkommen mit den Maghreb-Staaten. Und im Zusammenleben mit muslimischen Flüchtlingen muss konsequent die Einhaltung hiesigen Rechts durchgesetzt werden, wenn wir ein weiteres Abdriften in Parallelgesellschaften verhindern wollen.

Wir sollten nicht zulassen, dass unser liberales Deutschland, unsere weltoffene Gesellschaft und unsere tolerante Art des Zusammenlebens verändert werden. Weder von denen, die kommen, ‎noch von denen, die Deutschland nationalistisch abschotten wollen. Es ist die Stunde der Bürger, jetzt zu handeln.

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