Interview mit BRÜDERLE für die Stuttgarter Zeitung
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab
der Stuttgarter Zeitung das folgende Interview. Die Fragen stellte
Thomas MARON:
Frage: Herr Brüderle, seit Monaten liegt die FDP unter fünf Prozent. Die
Partei sehnt sich vor Dreikönig nach einem Signal des Aufbruchs. Was
läuft schief?
BRÜDERLE: Die FDP hat bei den jüngsten Landtagswahlen in
Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen starke Ergebnisse mit über 8
Prozent der Stimmen eingefahren. Wir werden auch in diesem Jahr in
Niedersachen, in Bayern und im Bund erfolgreich sein. Die FDP ist die
Garantie gegen rot-grüne Abenteuer. Das wissen die Menschen.
Frage: Wie würden Sie als Parteichef und Spitzenkandidat die Partei in die Bundestagswahl führen?
BRÜDERLE: Netter Versuch (lacht). Ich bin Vorsitzender der
FDP-Bundestagsfraktion und trage im Team dazu bei, für unsere liberalen
Kernthemen zu werben: Gute Bildung, stabiles Geld, stabiles Wachstum,
starke Bürgerrechte, bezahlbare, umweltfreundliche und sichere Energie.
Frage: Sie wissen doch, dass Sie in der Partei mittlerweile als einer
der letzten Hoffnungsträger gelten. Werden Sie sich dieser Verantwortung
stellen, wenn die Partei Sie ruft? Oder lehnen Sie, wie Christian
Lindner das tut, schon jetzt dankend ab?
BRÜDERLE: Sie können es weiter versuchen. Ich werde Ihnen nicht den
Gefallen tun, hier eine Personaldebatte zu führen. Ich beschäftige mich
mit den genannten Sachthemen und arbeite daran, unserem Land rot-grüne
Steuererhöhungen und Schulden zu ersparen.
Frage: In der Partei hat sich die Einschätzung verfestigt, dass die
Partei mit Philipp Rösler an der Spitze dieses Ziel nicht mehr erreichen
kann. Es fehlt an Optimismus, an Kampfkraft, an Konzepten. Haben die
vom Führungsstil Röslers frustrierten FDP-Mitglieder denn alle unrecht?
BRÜDERLE: Diese Analyse teile ich nicht. Auf Veranstaltungen wie jetzt
besonders in Niedersachsen erlebe ich sehr motivierte Parteifreunde.
Natürlich wollen wir alle noch erfolgreicher sein. Diesen Anspruch
braucht man in der Politik. Und es gibt in der liberalen FDP auch
Widerspruch. Wir sind schließlich keine Kaderpartei. Aber uns alle eint
die Auseinandersetzung mit den grün-roten Schuldenmachern,
Steuererhöhern und Bevormundern.
Frage: Dann eben ganz direkt die Frage: ist Rösler noch der richtige Vorsitzende?
BRÜDERLE: Philipp Rösler ist mit 95 Prozent zum Vorsitzenden gewählt
worden. Er ist unser Kapitän, aber er trägt nicht die alleinige
Verantwortung. Ich bin Teil des Teams und unterstütze ihn. Wichtig für
unseren Erfolg ist die mannschaftliche Geschlossenheit.
Frage: Rösler kann machen was er will, ihn nimmt keiner ernst. Oder
glauben Sie, dass sein zwischen den Jahren veröffentlichtes
wirtschaftspolitisches Papier ähnlich verrissen worden wäre, wenn Sie
als Autor gezeichnet hätten?
BRÜDERLE: Gerade die Reaktionen aus dem linken Spektrum zeigen doch, wie
wichtig eine liberale Partei des Wettbewerbs und der Sozialen
Marktwirtschaft für unser Land ist.
Frage: Kritik kam auch aus der FDP, in Baden-Württemberg unter anderem von Hartfrid Wolff und Pascal Kober. Alles Linke?
BRÜDERLE: Ich kenne niemanden in der FDP, der einen einheitlichen
gesetzlichen Mindestlohn oder mehr Staatswirtschaft fordert. Die FDP ist
eine liberale Partei. Das heißt, dass wir in einzelnen Sachfragen
mitunter unterschiedliche Ansichten oder Gewichtungen haben.
Frage: War es klug diese Thesen ohne Abstimmung mit der gesamten Parteiführung zur Diskussion zu stellen?
BRÜDERLE: Der Bundeswirtschaftsminister ist das ordnungspolitische
Gewissen der Bundesregierung. Das muss auch so sein. Wo kommen wir denn
da hin, wenn er sich für das Formulieren von wirtschaftspolitischen
Grundeinsichten, deren Beherzigung unser Land stark gemacht hat,
rechtfertigen muss.
Frage: Der niedersächsische Spitzenkandidat Birkner hat sich gegen
Röslers apodiktisches Nein zu Mindestlöhnen ausgesprochen. In der FDP
gibt es aber mittlerweile viele, die sich für Mindestlöhne aussprechen,
wenn diese nicht vom Staat vorgegeben werden. Auf welcher Seite stehen
Sie?
BRÜDERLE: In vielen Branchen gibt es ja bereits Branchenmindestlöhne,
auf die sich die Tarifparteien geeinigt haben. Einen gesetzlichen
Einheitsmindestlohn ohne Rücksicht auf Branchen und Regionen lehne ich
aber ab. Mir macht die schleichende Aushöhlung der Tarifautonomie Sorge.
Die freie Aushandlung der Löhne zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
war immer ein wesentliches Element unserer Sozialen Marktwirtschaft.
Der Staat sollte sich aus der Lohnfindung soweit wie möglich
heraushalten.
Frage: So manche Privatisierung etwa von Versorgern auf kommunaler Ebene
ging in den vergangenen Jahren schief. Glauben Sie vor diesem
Hintergrund, dass die FDP damit punkten kann, wenn Rösler reichlich
undifferenziert einen neuen Anlauf in dieser Richtung unternimmt?
BRÜDERLE: Ordnungspolitik ist nicht immer populär, aber für den
Wohlstand unseres Landes wichtig. Der Staat ist nicht der bessere
Unternehmer.
Frage: Wie wichtig ist Christian Lindner für den Bundestagwahlkampf?
BRÜDERLE: Als Vorsitzender des größten FDP-Landesverbandes hat Christian Lindner für die ganze FDP eine wichtige Aufgabe.
Frage: Sollte er sich künftig noch mehr in die Bundespolitik einbringen?
BRÜDERLE: Christian Lindner ist der erfolgreiche Oppositionsführer in
Nordrhein-Westfalen. Von der CDU hört man da nicht viel. Und ich freue
mich, dass er sich auch stark in der Bundespolitik einbringt. Er gehört
zur Führungsmannschaft der FDP.
Frage: Muss der Parteivorsitzende der FDP zugleich auch Spitzenkandidat sein?
BRÜDERLE: Sie fragen nach einem Amt, das es auf Bundesebene gar nicht
gibt. Strenggenommen hat jede Bundespartei 16 Spitzenkandidaten. Wir
wählen bei der Bundestagswahl Landeslisten, keine Bundeslisten. Aber es
ist doch selbstverständlich, dass der Parteivorsitzende eine zentrale
Bedeutung für den Bundestagswahlkampf hat.
Frage: Werden Sie im Bundestagswahlkampf ohne wenn und aber Schwarz-Gelb
die Treue schwören, oder lassen Sie sich mit Blick auf Koalitionen
Gestaltungsmöglichkeiten offen?
BRÜDERLE: Ich werde ohne Wenn und Aber für die Fortsetzung der erfolgreichen christlich-liberalen Koalition kämpfen.
Frage: Was halten sie von schwarz-grünen Träumereien in der Union?
BRÜDERLE: Es sind doch eher die Grünen, die träumen. Am liebsten vom
Auenland: alle rennen barfuß rum, Autos gibt es nicht und Türen sind
rund wie Torten. Aber wir sind keine Hobbits, so sympathisch die auch
sind. Wir leben nicht in Mittelerde, sondern in Mitteleuropa.
Deutschlands Wohlstand basiert auf Industrie und Technik, nicht auf
Gemüsebeeten und Pfeifentabak. Das weiß auch die Union.