FDPGriechenland-Krise

Für Hilfszahlungen muss Klarheit herrschen

Christian LindnerChristian Lindner
01.09.2015

In Griechenland wird es Neuwahlen geben – wie es danach weiter stehe allerdings in den Sternen, warnte FDP-Chef Christian Lindner. Der griechische Premier Alexis Tsipras war kurz nach dem Beschluss des dritten Hilfspakets zurückgetreten und hatte Neuwahlen anberaumt. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" betonte Lindner: "Bis zur Bildung einer neuen Regierung fordere ich einen Zahlungsstopp."

Für den Freidemokraten ist klar, dass die Euro-Zone nicht einseitig ihre Verpflichtungen gegenüber Athen erfüllen könne, "während in Griechenland die Reformen auf Eis gelegt werden". Die Verträge über das dritte Hilfspaket seien zwischen den Geldgebern und der Regierung von Tsipras ausgehandelt worden. Er gab zu bedenken, dass damit auch Tsipras im Wort stünde, die Bedingungen der Euro-Partner zu erfüllen. "Wie es nach Neuwahlen in Griechenland weitergeht, ist aber vollkommen unklar", unterstrich Lindner.

Die Alternative zum Hilfspaket liegt auch Lindners Sicht weiter auf dem Tisch: "Ein besseres Modell wäre gewesen, Griechenland eine Umschuldung anzubieten, dann aber außerhalb des Euro, damit das Land abwerten kann." Dabei bliebe das Land in der EU und könnte auch Hilfen in Anspruch nehmen – "etwa zum Aufbau einer Verwaltung, die europäischen Standards entspricht, oder auch zur Finanzierung von Investitionsvorhaben in der Wirtschaft", erläuterte der FDP-Chef.

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Herr Lindner, der Bundestag hat dem neuen Hilfspaket für Griechenland mit großer Mehrheit zugestimmt. Das Land bleibt damit zahlungsfähig, aber wird Griechenland so auch aus der Krise geführt?

Wir hätten dem Hilfspaket im Bundestag nicht zugestimmt. Denn wir haben Zweifel an seiner Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit. Die griechische Verschuldung steigt weiter, und das Land kann seine Schulden nicht tragen. Davor warnt auch der Internationale Währungsfonds, dessen weitere Beteiligung zwar unerlässlich wäre – die aber in den Sternen steht. Auch die rechtliche Voraussetzung für eine Hilfe aus dem Stabilitätsmechanismus ist nicht gegeben. Denn anders als 2010 geht von Griechenland keine Ansteckungsgefahr mehr aus, die die gesamte Euro-Zone gefährden könnte. Der plötzliche Rücktritt von Herrn Tsipras lässt unsere Sorgen weiter wachsen.

Was bedeutet das mit Blick auf den Reformkurs und die internationalen Rettungsbemühungen?

Die Regierung von Herrn Tsipras hat die Hilfsverträge ausgehandelt. Sie stünde im Wort, die Bedingungen für Hilfen zu erfüllen. Wie es nach Neuwahlen in Griechenland weitergeht, ist vollkommen unklar. Ich frage mich, ob die Bundeskanzlerin in der Debatte im Bundestag geschwiegen hat, weil sie schon von den Neuwahlen wusste. Solange unklar ist, ob Griechenland auf den Reformweg zurückfindet oder wieder in die Schuldenpolitik abdriftet und die bisherigen Reformen zurückdreht, darf es keine weiteren Hilfszahlungen geben. Bis zur Bildung einer neuen Regierung fordere ich einen Zahlungs-Stopp. Die Eurozone kann nicht einseitig ihre Aufgaben erfüllen, während in Griechenland die Reformen auf Eis gelegt werden.

Das neue Paket hilft vor allem bei der Umschuldung. Wie kann darüber hinaus die Konjunktur in Griechenland angekurbelt werden?

Griechenland muss attraktiv sein für ausländische Investitionen und den Tourismus. Das ist das Land nicht, wenn jetzt die Schuldenlast noch weiter steigt und wenn ausgerechnet die Steuern auf Konsum, also auch für Touristen, erhöht werden. Ein besseres Modell wäre gewesen, Griechenland eine Umschuldung anzubieten, dann aber außerhalb des Euro, damit das Land abwerten kann. Das Land könnte dabei in der EU verbleiben und auch Hilfen in Anspruch nehmen – etwa zum Aufbau einer Verwaltung, die europäischen Standards entspricht, oder auch zur Finanzierung von Investitionsvorhaben in der Wirtschaft.

Wie bewerten Sie die hohe Zahl von Unionsabgeordneten, die bei der Abstimmung über das Griechenland-Paket mit Nein gestimmt haben?

Gelder auszuteilen ohne klare wirtschaftliche Wirksamkeit bedeutet Transferunion, also Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene. Das wollte die SPD immer, jetzt tut es auch der größere Teil der CDU. Die 63 Abgeordneten, die mit Nein gestimmt haben, machen die durchgehende Sozialdemokratisierung der CDU nicht mehr mit. Das ist für mich ein deutliches Signal, dass die Große Koalition dabei ist, ihre Gemeinsamkeiten zu verbrauchen.

Die Gläubiger machen Athen Reformen zur Auflage. Würde manches davon nicht auch Deutschland guttun, so eine Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer, eine Privatisierung der Regionalflughäfen oder eine Liberalisierung des Apothekenmarktes?

Davon ist vieles mit Sicherheit wünschenswert. Zudem brauchen wir eine generationengerechte Rente statt einer Rentenpolitik, die wie die abschlagsfreie Rente mit 63 nur einer Generation zugutekommt. Die gegenwärtige Große Koalition beschäftigt sich leider nur mit kleinteiligen, bürokratischen Maßnahmen. Bei den großen Aufgaben, also Deutschland auf die Alterung der Gesellschaft vorzubereiten und die Digitalisierung zu gestalten, bleibt die Koalition dagegen untätig. Das kann sich bitter rächen.

Die Zahl der Flüchtlinge steigt. Lässt sich diese Bewegung noch steuern?

Der Staat kann und darf vor den neuen Herausforderungen nicht kapitulieren. Er muss seine Kräfte aber besser einteilen und darf sie nicht verschwenden, etwa bei der Überprüfung der Mindestlohn-Dokumentationspflichten in Bäckereien. Dafür brauchen wir den Staat nicht. Aber für so eine Megaaufgabe wie das Management dieser Art Völkerwanderung – dafür brauchen wir den Staat. Im Übrigen ist es katastrophal, wenn von grüner Seite gefordert wird, man solle nötigenfalls auch private Häuser beschlagnahmen, um Flüchtlinge unterzubringen. Auch das ist Ausdruck von Kapitulation. Was ich fordere, ist ein schneller Gipfel von Bund, Ländern und Gemeinden und dann ein stringentes Konzept, wie die Asylverfahren beschleunigt werden können und die Integration verbessert wird.

Ist es nicht auch Zeit für das von der FDP geforderte Einwanderungsgesetz?

Ja, es ist überfällig. Denn durch den demografischen Wandel werden Fachkräfte fehlen. Jeder sollte sich mal fragen, von wem er im hohen Alter gepflegt wird. Bei der Altersstruktur unserer Gesellschaft tun sich enorme Probleme auf, wenn wir nicht jetzt qualifizierte Menschen zu uns einladen. Wenn wir die Letzten sind, die das tun, dann werden sicher nicht die Besten kommen.

Mit welchen Zielen gehen Sie in die Landtagswahl im März 2016 in Baden-Württemberg, Rheinland Pfalz und Sachsen-Anhalt?

Wir wollen in allen drei Landtagswahlen erfolgreich sein. Wir glauben, dass in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein echter Politik-Wechsel mit der FDP möglich ist. Stichworte sind unter anderem bessere Bildung und eine solide Haushaltspolitik. Und in Sachsen-Anhalt geht es für uns darum zu zeigen, dass wir eine gesamtdeutsche Partei sind.

Unlängst hat sich die AfD mehr oder weniger zerlegt. Sehen Sie da Chancen, wirtschaftsliberale Wähler zurück zu gewinnen?

Es gab vielleicht 2013 bei der Bundestagswahl ein paar wirtschaftsliberale Wähler bei der AfD. Aber wer nach dem Rechtsruck 2014 noch dort war, hat mit der FDP nichts zu tun. Wir stehen für Weltoffenheit und Toleranz, die AfD für das Gegenteil. Zusätzliche Wähler, die wir ansprechen können, sind gegenwärtig in der Gruppe der Nichtwähler oder bei den CDU-Wählern und zum Teil auch bei SPD und Grünen. Die Überschneidungen zwischen FDP und AfD, sind so klein wie die zwischen FDP und Linkspartei.

Stichwort Digitalisierung. Die FDP plant einen eigenen Konvent zu diesem Thema. Welche Chancen und Risiken sehen Sie?

Ich glaube, dass die Digitalisierung gigantische Chancen bietet: mehr Komfort im Alltag, mehr Produktivität, mehr soziale Teilhabe. Wichtig dabei ist immer, dass die Regeln stimmen. Um es konkret zu machen: Die elektronische Verarbeitung von Gesundheitsdaten schafft mehr Sicherheit im Notfall und mehr Effizienz in den täglichen Behandlungen, weil teure Doppelabrechnungen und Doppelbehandlungen vermieden werden. Es muss aber sichergestellt sein, dass nicht eine Versicherung auf der Basis meiner DNA einen Versicherungstarif anbietet oder dass es eine Verhaltenslenkung gibt. Das schränkt die Freiheit ein. Aber den Alltagsnutzen der Digitalisierung muss unser Land endlich erschließen, da sind wir zu zögerlich.

Wenn sie wieder einer Bundesregierung angehören, wird dann die geplante Vorratsdatenspeicherung wieder rückgängig gemacht?

Wir schauen auch außerhalb des Parlaments nicht zu, wie die Regierung unsere Grundrechte nicht schützt und offensichtlich die parlamentarische Opposition der Grünen zu schlapp ist, unsere Bürgerrechte zu verteidigen. Also machen wir das, indem wir gegen das geplante Gesetz eine Klage beim Verfassungsgericht vorbereiten. Wir werden alle Mittel nutzen, um die Privatsphäre und Selbstbestimmung des Einzelnen zu erhalten.

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