11.06.2014Bundesaußenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher findet, es ist höchste Zeit, das Verhältnis zwischen Ost und West wieder zu entfeinden. Im Gespräch mit der "Winnender Zeitung" reflektierte der Altliberale über Diplomatie und Dialog in angespannten Zeiten. Wirkliche Gegensätze in den Interessen der jeweiligen Länder könnten Staatsmänner natürlich nicht dadurch bereinigen, dass sie einander sympathisch fänden. Jedoch helfe es, "sich in die Schuhe des anderen zu stellen", betonte er.
Als Bundesaußenminister habe er stets versucht, die Motivationen und den Druck hinter den Handlungen anderer Außenpolitiker nachzuvollziehen. Genscher erzählte von einem Beispiel im Jahr 1990, als die Verhandlungen zur deutschen Einheit liefen. Im Gegensatz zu den Hardlinern in Moskau galt der russische Außenminister Eduard Schewardnadse als zugänglich. Sein deutscher Amtskollege habe ihn für einen "sehr einfühlsamen Mann" gehalten – bis er Genscher zu einem Treffen in der geschichtsträchtigen Stadt Brest einlud, wo sich Hitler und Stalin einst die Hand reichten.
Den Standort schätzte Genscher als höchst problematisch für die polnische Regierung ein, weil das letzte deutsch-russische Treffen in der Stadt Vorbote der einmarschierenden Truppen vom Westen und Osten war. Die Entscheidung Schewardnadses, Brest als Treffpunkt zu wählen, habe sich allerdings durch den enormen Druck erklären lassen, unter dem der russische Außenminister in seiner Heimat stand. Als Einwand gegen die Einheitskritiker, die ihm vorwarfen, er sei zu großzügig mit den Deutschen, weil er nicht als Soldat im Krieg kämpfte, sollten der Schauplatz Brest und das dortige Kriegsdenkmal dienen: Denn hier fiel Schewardnadses älterer Bruder im Juni 1941.
Mit diesem Verständnis konnte Genscher seinem polnischen Amtskollegen die russischen Absichten erklären und ihn beruhigen. Das Treffen fand problemlos statt; die deutsche Einheit gelang. Eine ähnliche Bereitschaft, die Perspektiven anderer auszuloten und anzuerkennen, vermisst Genscher jetzt im Umgang des Westens mit Putins Russland. In den Ankündigungen von US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) höre er manchmal "eine Sprache, die mich an den kalten Krieg erinnert". Genscher unterstrich: Die Politik müsse versuchen, das Verhältnis zwischen Ost und West wieder zu entfeinden.
Für eine zweite Runde Détente
Bundesaußenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher findet, es ist höchste Zeit, das Verhältnis zwischen Ost und West wieder zu entfeinden. Im Gespräch mit der "Winnender Zeitung" reflektierte der Altliberale über Diplomatie und Dialog in angespannten Zeiten. Wirkliche Gegensätze in den Interessen der jeweiligen Länder könnten Staatsmänner natürlich nicht dadurch bereinigen, dass sie einander sympathisch fänden. Jedoch helfe es, "sich in die Schuhe des anderen zu stellen", betonte er.
Als Bundesaußenminister habe er stets versucht, die Motivationen und den Druck hinter den Handlungen anderer Außenpolitiker nachzuvollziehen. Genscher erzählte von einem Beispiel im Jahr 1990, als die Verhandlungen zur deutschen Einheit liefen. Im Gegensatz zu den Hardlinern in Moskau galt der russische Außenminister Eduard Schewardnadse als zugänglich. Sein deutscher Amtskollege habe ihn für einen "sehr einfühlsamen Mann" gehalten – bis er Genscher zu einem Treffen in der geschichtsträchtigen Stadt Brest einlud, wo sich Hitler und Stalin einst die Hand reichten.
Den Standort schätzte Genscher als höchst problematisch für die polnische Regierung ein, weil das letzte deutsch-russische Treffen in der Stadt Vorbote der einmarschierenden Truppen vom Westen und Osten war. Die Entscheidung Schewardnadses, Brest als Treffpunkt zu wählen, habe sich allerdings durch den enormen Druck erklären lassen, unter dem der russische Außenminister in seiner Heimat stand. Als Einwand gegen die Einheitskritiker, die ihm vorwarfen, er sei zu großzügig mit den Deutschen, weil er nicht als Soldat im Krieg kämpfte, sollten der Schauplatz Brest und das dortige Kriegsdenkmal dienen: Denn hier fiel Schewardnadses älterer Bruder im Juni 1941.
Mit diesem Verständnis konnte Genscher seinem polnischen Amtskollegen die russischen Absichten erklären und ihn beruhigen. Das Treffen fand problemlos statt; die deutsche Einheit gelang. Eine ähnliche Bereitschaft, die Perspektiven anderer auszuloten und anzuerkennen, vermisst Genscher jetzt im Umgang des Westens mit Putins Russland. In den Ankündigungen von US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) höre er manchmal "eine Sprache, die mich an den kalten Krieg erinnert". Genscher unterstrich: Die Politik müsse versuchen, das Verhältnis zwischen Ost und West wieder zu entfeinden.