FDPEuropäische Union

EU-Mitglieder müssen rechtsstaatliche Prinzipien achten

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff nimmt das Vorgehen der neuen polnischen Regierung unter die Lupe
15.12.2015

Die polnischen Parlamentswahlen im Oktober haben den Nationalkonservativen die absolute Mehrheit beschert. Seitdem geht die neue Regierung gegen kritische Medien vor und untergräbt die Unabhängigkeit der Justiz. Mit Blick auf diese Entwicklung hat der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, eine Rechtsstaatsinitiative für Europa gefordert, die Maßnahmen zur Durchsetzung und Bewahrung von vereinbarten rechtsstaatlichen Prinzipien vorsehen soll. Was in Polen gerade passiere, sei nicht in Ordnung für eine Demokratie, verdeutlichte Lambsdorff im Gespräch mit "NDR Info".

Nur weil die Partei "Recht und Gerechtigkeit" die Wahl gewonnen habe, gehöre ihr längst nicht das Land, stellte Lambsdorff klar. "Was man ansprechen muss, sind ganz klar die Sachen, die diese Regierung falsch macht und das ist eine ganze Menge", verdeutlichte er. "Die haben einen wirklich miserablen Start hingelegt."

Schon gebe es in der EU die Möglichkeit, die Länder daran zu erinnern, was sie in Brüssel zugesagt hätten, betonte Lambsdorff. Er verwies auf Artikel 7 des Lissabon-Vertrags, der bei "nachhaltigen und systematischen" Verstößen gegen europäische Werte unter Umständen den Entzug des Stimmrechtes vorsieht. Das habe sich aber noch niemand getraut anzuwenden, erklärte Lambsdorff. "Das klingt wie eine 'politische Atombombe', wenn man das macht. Wir brauchen also etwas dazwischen, eine Rechtsstaatsinitiative, um den Ländern stärker auf die Finger klopfen zu können, wenn es aus dem Ruder läuft."

Christdemokraten drücken bei Orbán ein Auge zu

Allerdings sei die polnische Regierung auch erst einen Monat im Amt. "Ungarn ist ein viel besorgniserregender Fall – ein ganz klarer Fall für den Artikel 7", unterstrich Lambsdorff. Dort würden Richter politisch bestimmt und Medien, Zivilgesellschaft und NGOs drangsaliert. Leider fehlten auf EU-Ebene die Mehrheiten, um Konsequenzen zu beschließen. "Da stellen sich CDU und CSU ganz klar vor ihren Parteifreund Orbán und sagen 'Den fasst ihr bitte nicht an'", kritisierte er.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat im Deutschlandfunk gesagt, was sich in Polen derzeit abspiele habe Staatsstreichcharakter und sei dramatisch. Herr Lambsdorff, sehen Sie das ähnlich?

Also ich finde das ist ein zu starkes Wort, aber was da passiert ist jedenfalls nicht in Ordnung in einer Demokratie. Die Partei Recht und Gerechtigkeit hat die Wahl gewonnen, aber das heißt noch lange nicht, dass ihr das Land gehört.

Nun ist aber ja schon fast das Paradoxe, dass die polnische Regierung eine Entschuldigung fordert für diese Aussage von Schulz. Er soll sich bei allen Polen entschuldigen. Da läuft doch aber jetzt schon was falsch, oder?

Ja, das stimmt. Also wenn man so unnötig eskaliert wie Martin Schulz das hier tut und einfach mit dem dicken Dampfhammer da draufhaut, dann löst man natürlich eine Antireaktion aus, vielleicht sogar eine, bei der sich Leute dann solidarisch erklären mit der neuen Regierung, die sie gar nicht gewählt haben. Ich glaube das ist verkehrt. Was man ansprechen muss, sind ganz klar die Sachen, die diese Regierung falsch macht. Und das ist eine ganze Menge: Die haben einen wirklich miserablen Start hingelegt, die sind auch dabei tatsächlich Dinge zu tun, die wir überhaupt nicht gut heißen können: Die Besetzung des Verfassungsgerichts beispielsweise, die läuft völlig aus dem Ruder. Das sind alles Dinge, die man ansprechen muss. Aber wissen Sie, ein Staatsstreich – da sind wir schon bei Lateinamerika in den 70er Jahren, und das finde ich ja wirklich übertrieben, da hat Schulz einfach voll daneben gelangt.

Kommen wir nochmal zum Inhaltlichen: Polen war ja lange eigentlich Vorzeigeland beim EU-Anschluss, hat ja auch viel profitiert. Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt von Brüssel aus, das Land wieder zur Raison zu bringen?

Also ich glaube, dass das nochmal deutlich macht, dass wir uns in Brüssel insgesamt besser aufstellen müssen, wenn es in Ländern innenpolitisch ein bisschen aus dem Ruder läuft. Wir haben das bei Ungarn gesehen. Wir haben die Möglichkeit, Länder daran zu erinnern, dass sie das einhalten müssen, was sie in Brüssel zugesagt haben. Das ist klar, das sind die sogenannten Vertragsverletzungsverfahren, die aber sind ziemlich technisch.

Und dann gibt es den Artikel 7 unseres Vertrages, und da steht drin, dass ein Land, das nachhaltig und systematisch gegen europäische Werte verstößt, mit einem Verfahren überzogen werden kann. Das enthält sehr viel Beratung, aber am Ende unter Umständen auch den Entzug des Stimmrechts in Europa. Und das hat sich noch Niemand getraut anzuwenden, weil das klingt wie, ich setze das in Anführungszeichen, so eine Art „politische Atombombe“, wenn man das macht, wenn man den Ländern das Stimmrecht entzieht. Wir brauchen also etwas dazwischen, wir brauchen einen Rechtsstaatspakt, eine Rechtsstaatsinitiative, um den Ländern stärker auf die Finger klopfen zu können, wenn es aus dem Ruder läuft.

Aber Sie sind ja auch relativ zurückhaltend, Herr Lambsdorff, wenn Sie sagen „da hat Schulz übertrieben, schon verbal“ auf der anderen Seite rechtlich wenden wir aber auch keine härteren Maßnahmen an.

Naja, ich würde mir ja wünschen, wir könnten härtere Maßnahmen anwenden. Jetzt diese Regierung gerade mal einen Monat im Amt. Also ich finde das kann man noch übertreiben, ich finde Ungarn ist ein viel besorgniserregender Fall. Da läuft das seit Jahren: also dass man den gesetzlichen Richter sozusagen nicht mehr vom Gesetz, sondern von einem Rat zugewiesen bekommt, dass die Medienkontrolle, die Kulturkontrolle, die Zivilgesellschaft, die Nichtregierungsorganisationen drangsaliert werden. Bei Ungarn haben wir einen ganz ganz klaren Fall für den Artikel 7. Da stellen sich aber CDU und CSU ganz klar vor ihren Parteifreund Orbán und sagen „den fasst ihr bitte nicht an“, das heißt, da fehlen die Mehrheiten. Bei Polen ist es etwas anders: Diese neue Partei hat kaum Partner in Europa, praktisch Niemanden, außer vielleicht Herrn Cameron, aber ich glaube da hat man eher eine Chance etwas zu machen, und wenn sie so weiter machen, aber wie gesagt die sind gerade erst einen Monat dran, wenn sie so weiter machen, dann können wir über den Artikel 7, also über diese dicke Sache auch reden.

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