DÖRING-Interview für den "Deutschlandfunk"
Berlin. Der FDP-Generalsekretär und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, PATRICK DÖRING, gab dem "Deutschlandfunk" (heute früh) das folgende Interview. Die Fragen stellte SANDRA SCHULZ:
Frage: Fühlt sich die FDP ein bisschen überflüssig bei so viel Harmonie zwischen Union und SPD?
DÖRING: Zunächst erleben wir hier ja den Wettstreit von zwei etatistischen Parteien, die in Zeiten von Haushalten, die trotz guter Wirtschaftslage immer noch Schulden machen müssen, neue Sozialleistungen versprechen. Das ist kein neues Phänomen, umso besser, dass wir in der Koalition mit der Union und auch gemeinsam mit Freunden in der Union dafür werben, hier jetzt nicht schon wieder Geld, das wir nicht haben, zu versprechen.
Frage: Was ist daran so falsch, Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht mit der Grundsicherung abzuspeisen? Soll sich Leistung nicht lohnen?
DÖRING: Daran ist gar nichts falsch. Aber der Webfehler beider Konzepte ist, dass ganz neu und bisher in Deutschland nie praktiziert erstmals Umverteilung unter den Beitragszahlern innerhalb des gesetzlichen Rentenversicherungssystems begonnen werden soll. Wir haben bisher immer gesagt, die Umverteilung zugunsten der sozial Schwachen, derjenigen, die gebrochene Erwerbsbiografien haben, oder über eine längere Zeit keine Beiträge einzahlen konnten, weil sie arbeitslos waren oder Kinder erzogen haben, diesen Ausgleich, den organisieren wir über das Steuersystem aus dem Bundeshaushalt. Deshalb haben wir einen 80 Milliarden Euro großen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse. Jetzt erstmals zu sagen, derjenige, der viele Beiträge zahlen kann, weil er hohe Löhne hat, soll einen Teil dieser Beitragszahlung abgeben an jene, die wenige Beiträge zahlen können, das ist neu im System und ich halte das auch für falsch. Wir Liberale wollen keine Umverteilung im beitragsfinanzierten Rentenversicherungssystem.
Frage: Aber über einen Zuschuss, der dann finanziert würde aus Steuern, darüber könnte man reden, um diese 850 Euro zu finanzieren?
DÖRING: Zunächst muss man darüber reden, bis wann man was erreichen will und wo dann noch der Unterschied zu der bisher vorhandenen Grundsicherung ist. Was mir zu kurz kommt in der Debatte ist, dass wir nicht ganz ehrlich miteinander umgehen. Sowohl die Berechnungen von Frau von der Leyen, als auch die Annahmen der Sozialdemokratie basieren ja vor allen Dingen darauf, dass man von steigenden Löhnen, von Wachstum in Deutschland nicht mehr ausgehen kann. Nun beweisen wir gerade in diesen Zeiten, in den letzten drei Jahren, dass wir auch trotz schwieriger Wirtschaftslage in Europa in Deutschland wettbewerbsfähig sind, weiter wirtschaftliches Wachstum und damit auch Lohnsteigerungen haben, und deshalb muss man die Annahmen erst mal sehr sorgfältig diskutieren. Im Grundsatz sind wir uns ja alle einig. Niemand will organisierte Altersarmut in Deutschland. Niemand will, dass Menschen nach 40 Jahren Berufstätigkeit von den Beiträgen, die sie eingezahlt haben, keine auskömmliche Rente bekommen. Aber wir haben ja mit der zweiten Säule, nämlich der privat finanzierten Riester-Rente, die aus dem Bundeshaushalt auch üppig gefördert wird, den Versuch gemacht, alle zum Aufbau zusätzlicher Renten und Vorsorgeleistungen zu animieren. Das ist ein Konzept von Rot-Grün gewesen, wir haben das unterstützt und man sollte jetzt auch davon nicht abkehren. Neben der gesetzlichen Rente werden wir zusätzliche Vorsorgeleistungen benötigen für jene, die heute mitten im Leben stehen. Das ist keine ganz neue Erkenntnis und der Alarmismus, den ja beide Parteien an den Tag legen, ist schon ein bisschen besorgniserregend.
Frage: Herr Döring, ich würde da gerne kurz einhaken, weil Sie gerade widersprüchlich waren. Sind die Warnungen vor Altersarmut von Ursula von der Leyen nun berechtigt oder nicht?
DÖRING: Zunächst sind die Berechnungen, die sie vorgelegt hat, aus meiner Sicht nicht geeignet als gute Diskussionsgrundlage. Aber gleichwohl wird es Menschen geben in unserer sozialen Marktwirtschaft, die durch verschiedenste Gründe nicht auskömmliche Renten erhalten werden, und da haben wir mit der Grundsicherung im Alter ein leistungsfähiges Sozialsystem. Dazu kommen die Wohngeldleistungen. Mehr als die Hälfte aller Wohngeldempfänger in Deutschland ist bereits Rentner. Also man muss hier auch die Wechselwirkungen zu anderen Sozialleistungen genau diskutieren. Am Ende bleibt doch ein Grundsatz zu diskutieren: Wollen wir in einer Zeit, in der wir über die Staatsschuldenkrise in Europa diskutieren, neue Sozialleistungen auf Pump versprechen oder nicht. Ich warne davor. Ich glaube, das nimmt Vertrauen, bevor es neues Vertrauen schafft.
Frage: Vielleicht müssen wir da auch über die Sozialleistungen für Hoteliers sprechen, die Entlastungen damals haben ja eine knappe Milliarde gekostet. Die Zuschussrente, die von der Leyen vorschlägt, würde fürs nächste Jahr 100.000 Euro nur kosten. Was ist da das Problem?
DÖRING: Also zunächst, glaube ich, sollten wir seriös miteinander umgehen. Wir alle wissen, dass Veränderungen im Rentensystem, schon kleinere Stellschrauben, über die Jahre, über die wir reden, zweistellige Milliardenbeträge kosten werden, das wird auch nirgends bestritten. Und im Grundsatz bleibt doch die Frage: Ist unser Grundsicherungssystem für die Menschen, die nicht genügend Rente beziehen, leistungsfähig genug. Ich finde es nicht verstehbar, dass jene, die privat vorgesorgt haben und aus der gesetzlichen Rente weniger als 630 Euro bekommen, zum Beispiel ihre privat vorgesorgten Altersbeiträge nicht mehr behalten können, dass sie ihre Betriebsrenten nicht behalten können. Also man kann auch schon jetzt innerhalb des Systems etwas verändern, um mehr Einkommen bei denen zu schaffen, die niedrige Renten haben. Wir sprechen über flexiblen Übergang in die Rente, über Hinzuverdienstmöglichkeiten, all da sind wir gesprächsbereit. Aber machen wir uns doch nichts vor: In Wahrheit verbirgt sich hinter der Rentendebatte eine strategische Debatte der Union und der Sozialdemokratie. Und unabhängig davon, wie man dazu steht und wie man das bewertet, glaube ich, ist das Rentenversicherungsthema nicht geeignet, Positionskämpfe innerhalb des Parteienspektrums einzuleiten. Diese taktische Komponente ist eigentlich schäbig. Unabhängig davon, wer nun für wen hoffähig und koalitionsfähig wird, sehe ich mit Sorge, dass wir hier taktische Spielchen spielen.
Frage: Können Sie es ein bisschen klarer machen für uns, Herr Döring? Sie arbeiten jetzt gerade mit Andeutungen. Also Sie meinen, die CDU arbeitet schon auf die Große Koalition hin?
DÖRING: In Wahrheit hat Ursula von der Leyen im Verlauf der letzten Woche sich offen gegen Volker Kauder und die Bundeskanzlerin gestellt, die ja eine Fortsetzung der erfolgreichen bürgerlichen Koalition anstreben und mit ihren Vorschlägen ganz offensichtlich sich Richtung SPD geöffnet. Wer mehr Umverteilung und mehr Steuererhöhungen will, der soll das unterstützen in der Union. Ich bin ganz sicher, dass Frau von der Leyen das Rententhema missbraucht für taktische Spielchen, und dafür ist es zu wertvoll. Dafür ist übrigens auch das Vertrauen in das System zu wertvoll. Denn in einem hat Sigmar Gabriel ja recht: Wir haben großes Vertrauen in unser Rentenversicherungssystem erarbeitet, alle Parteien, alle Koalitionen der letzten 40 Jahre. Das sollte man jetzt nicht aufs Spiel setzen.
Frage: Herr Döring, das sind ja harsche Vorwürfe, die jetzt von Ihnen kommen. Hat die Opposition dann recht, wenn sie sagt, Schwarz-Gelb hat gar keine Basis mehr?
DÖRING: Nein, wir arbeiten gut und erfolgreich zusammen. Wir sind im guten Gespräch auch über die Frage, wie wir für die Menschen im Alter zusätzliche Sicherheit schaffen.
Frage: Sie haben gerade von einem schäbigen Verhalten gesprochen, Herr Döring. Wie passt das zu einer guten Zusammenarbeit?
DÖRING: Ja. Es gilt in einer Koalition ein Grundsatz: zunächst einigt man sich unter Koalitionspartnern über das, was man gemeinsam will, und dann geht man auf Oppositionsparteien zu. So haben wir das in allen Themen gehalten. Ich gehe davon aus, dass wir das auch in der Rente so halten werden, auch wenn die letzten Tage etwas anders aussehen.