DJIR-SARAI-Rede auf dem 73. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten
Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hielt auf dem 73. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten in Berlin folgende Rede:
Meine Damen und Herren! Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde! Dieser Parteitag der Freien Demokraten findet in einem besonderen Jahr in unsicheren Zeiten statt. In Zeiten, die unser aller Leben in Deutschland und Europa und auch darüber hinaus bereits verändert haben, weiter verändern werden und die sich ganz unmittelbar auch auf die politische Agenda dieses Landes auswirken. Wir haben das auf diesem Parteitag ebenfalls gespürt, an den Themen, die uns beschäftigten und über die wir miteinander heute diskutiert haben.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, das ist auch folgerichtig. Seit dem 24. Februar ist Krieg mitten in Europa wieder ein bitterer Teil unserer Lebensrealität. Ich bin mir sicher, dass ich damit nicht nur für mich spreche. Die grausamen Bilder, beispielsweise aus Butscha und den anderen Vororten rund um Kiew, haben sich nachhaltig in unser Gedächtnis eingebrannt. Diese Gräueltaten machen wütend und tieftraurig zugleich. Deswegen war es auch angemessen und ich bin stolz, dass wir uns auf diesem Parteitag so geschlossen und unmissverständlich zu diesem Krieg geäußert und uns solidarisch an die Seite der Ukraine gestellt haben.
Meine Damen und Herren, wo auch sonst sollte die Partei Walter Scheels, Hans-Dietrich Genschers, Klaus Kinkels und Guido Westerwelles stehen, wenn nicht an der Seite derjenigen, die für Freiheit, Frieden, Selbstbestimmung und Menschenwürde unter Einsatz ihres Lebens kämpfen? Der Krieg in der Ukraine ist die Schande unserer Zeit. Er ist völkerrechtswidrig und ein Verbrechen. Dieser Krieg muss sofort beendet werden.
Den Menschen in der Ukraine kann man nur allergrößten Respekt zollen. Sie kämpfen auch für unsere Freiheit. Meine Damen und Herren, dieser Krieg mit seinen erheblichen internationalen Verwerfungen, die er bis in unser alltägliches Leben mit sich bringt, alarmiert uns gerade. Uns als Freien Demokraten muss er alarmieren, denn wir sehen aktuell, wie gesellschaftliche und individuelle Freiheit, unsere Werte, unsere Art zu leben, bedroht werden. Diese Bedrohung der Freiheit, sie muss uns nicht nur alarmieren, sie muss uns auch sensibilisieren.
Eine Lehre daraus ist, klar und leidenschaftlich für die Werte einzutreten, die uns ausmachen und mit denen wir uns identifizieren. Meine Damen und Herren, Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung sind die Säulen unserer Gesellschaft. Diese Säulen zertrümmert Putin in der Ukraine. Die Frauen, Männer und Kinder, die von dort als Schutzsuchende zu uns kommen, halten uns einen Spiegel vor. Sie verpflichten uns, unsere Naivität und Untätigkeit der Vergangenheit in aktive Unterstützung und Mitmenschlichkeit zu wandeln. Der Bund und die Länder leisten viel und werden ihre Anstrengungen weiter verstärken. Dessen bin ich mir sicher.
Doch wahr ist auch, liebe Freundinnen, liebe Freunde: Ohne die unermüdliche und überwältigende Unterstützung tausender ehrenamtlicher Frauen und Männer in ganz Deutschland wäre es in dieser schwierigen Situation nicht gegangen. Dafür gebührt all diesen Menschen ein riesengroßes Dankeschön! Sie leben die Solidarität, die unsere Gesellschaft so menschlich macht.
Meine Damen und Herren, es sind wir, die Freien Demokraten, die einzige liberale Partei in Deutschland, die den Wert der Freiheit zum politischen Grundprinzip erhoben hat. Wir haben heute Morgen einen sehr guten und starken Leitantrag intensiv beraten und verabschiedet. Wir tragen damit einer veränderten Weltlage Rechnung und wir stellen Leitlinien dazu auf, wie aus unserer Sicht die Widerstandsfähigkeit des Landes wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich gestärkt werden muss.
Mein Herzensanliegen ist es, eine Lanze für die Freiheit zu brechen. Denn spätestens jetzt, liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, spätestens in diesen Zeiten sind all diejenigen Lügen gestraft, die uns schon immer einreden wollten, das mit der Freiheit funktioniere schon irgendwie von selbst. Diese Annahme, meine Damen und Herren, ist falsch. Freie Gesellschaften müssen Menschenwürde, Selbstbestimmung und Frieden jeden einzelnen Tag leidenschaftlich verteidigen.
Denn wir wissen: Die Feinde der Freiheit sind auf der ganzen Welt zu Hause und sie ruhen nicht. Was mich dabei wirklich besorgt, ist, wie viele in Politik und Gesellschaft dies in den vergangenen Jahren verkannt haben. Ich gehöre nicht zu denen, die heute sagen, dass sie schon gestern alles gewusst haben. Fest steht aber, dass wir beispielsweise aus der Bundestagsfraktion heraus in den vergangenen Jahren auf die realen Bedrohungen des Westens durch Autokratien und Diktaturen, auf ihre Bestrebungen hingewiesen und vor ihnen gewarnt haben.
Wir können es uns nicht leisten, diese Warnungen auch in anderen Teilen der Welt zu ignorieren. Wir sind, meine Damen und Herren, die Letzten, die freien Handel ablehnen oder die Chancen der Globalisierung infrage stellen würden. Die aktuellen Entwicklungen mahnen uns aber, nicht auf Staaten zu setzen, die offen unsere Werte ablehnen. Viel war in den vergangenen Jahren von einer Allianz der Demokratien die Rede. Wir haben als Europäer erst vor einigen Wochen wieder neu erfahren, wie wichtig Einigkeit und Zusammenhalt sind. Vor diesem Hintergrund müssen wir bei den transatlantischen Beziehungen ein neues Kapitel aufschlagen.
Wir sollten jetzt die Weichen dafür stellen, dass wir auch in den nächsten Jahren eine tiefgreifende Partnerschaft zu unserem wichtigsten Verbündeten außerhalb der EU pflegen. Deswegen war es richtig, dass Christian Lindner einen Neuanfang für ein Freihandelsabkommen mit den USA angestoßen hat. Ich begrüße das ausdrücklich. Solch ein Abkommen setzt ein wichtiges Signal auch für Europa.
Meine Damen und Herren, gerade in letzter Zeit ist oft über die Frage philosophiert worden, ob sich die Geschichte wiederholt. Aber historische Vergleiche sind oft heikel und bewegen sich ausschließlich in ungefährem menschlichen Leid. Menschlichen Schicksalen werden sie kaum gerecht. Vor nur etwas weniger als zehn Jahren, Ende September 2012, hat unser Freund Guido Westerwelle als Bundesaußenminister vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine sehr nachdenkliche Rede gehalten. Er hat damals auch über die Verantwortung Deutschlands für alle Menschen gesprochen, die nach Freiheit, Würde und Selbstbestimmung streben – auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte.
Das zentrale Thema der Rede war die Freiheit. Und mir hat ein Bild, das er verwendet hat, besonders gut gefallen. Guido hat gesagt: "Die Freiheit hat eine Tochter, ihr Name ist Toleranz. Und die Freiheit hat einen Sohn, sein Name ist Respekt." Die Probleme und Krisen, die Guido Westerwelle 2012 in seiner Rede ansprach, sind zum Teil auch heute noch ungelöst. Leider sind weitere Brandherde und Krisen auf der Welt dazugekommen.
Die Antworten, die wir auf diese Entwicklung geben und gegeben haben, können uns nicht zufriedenstellen. Eins bleibt klar: So unbequem, so unübersichtlich oder sogar auch hoffnungslos die Zeiten, in denen wir leben, auch erscheinen mögen – der Einsatz für Freiheit, Bürgerrechte und Menschenrechte ist immer die richtige Antwort.
Meine Damen und Herren, so sehr sich unser Blick derzeit aufgrund der aktuellen Entwicklungen nach außen richtet, so sehr müssen wir für die gesellschaftliche und individuelle Freiheit auch nach innen in Deutschland selbst eintreten. Wir haben in den vergangenen Monaten intensive Diskussionen in Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie geführt. Ich kann die Emotionalität, mit der diese Debatten teilweise geführt wurden, nachvollziehen. Doch bei aller Emotionalität ist man gut beraten, die Diskussionen sachlich und nüchtern zu führen.
Die Lage ist heute eine andere als 2020 und wir haben deswegen dafür gesorgt, dass wir verantwortungsvoll und mit Augenmaß zur Normalität zurückgekehrt sind. Wir schützen weiterhin die vulnerablen Gruppen und stärken die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Dafür haben wir Freie Demokraten uns eingesetzt: Keine Einschränkung der Grundrechte ohne konkreten Anlass und auf Vorrat.
Nicht die Freiheit, meine Damen und Herren, muss begründet werden, sondern ihre Einschränkungen. Das galt gestern, das gilt heute. Und es gilt auch morgen. Das ist in keiner Weise ein pervertierter Freiheitsbegriff und erst recht kein Ausdruck eines maximalen Egoismus. Das, meine Damen und Herren, ist Rechtsstaatlichkeit.
Meine Damen und Herren, wir haben es in jeder Phase der Pandemiebekämpfung als notwendig angesehen, dass der Schutz von Gesundheit und Leben und die Einschränkung von Grundrechten immer zusammengedacht werden müssen. Und das war aus meiner Sicht richtig.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich habe gestern schon bei meiner Vorstellungsrunde gesagt: Wir sind nicht mehr die außerparlamentarische Opposition und wir sind auch nicht mehr in der Opposition im Deutschen Bundestag. Wir sind nun Teil einer Regierungskoalition. In diesem Sinne wollen wir uns positionieren und uns programmatisch für die Zukunft aufstellen. Wir wollen als einzige liberale Kraft in Deutschland unseren Teil zur Modernisierung und Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft beitragen.
Dazu haben wir als Teil der Bundesregierung nicht nur die Gelegenheit, nein, wir haben die Verpflichtung. Dabei müssen wir politisch am Puls der Zeit sein, mit festen Grundsätzen, aber nicht dogmatisch. Die neue Bundesregierung, unsere Koalitionspartner und wir haben unsere Vorstellungen vom Aufbruch in ein Jahrzehnt der Digitalisierung, ökonomischer Transformationsprozesse, ökologischer Weichenstellungen und gesellschaftspolitischer Veränderungen im Koalitionsvertrag festgehalten. Unsere Verabredungen werden endlich dafür sorgen, dass Fortschritt im Mittelpunkt steht und Deutschland fit für die Zukunft gemacht wird.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde! Die Richtigkeit der Ziele des Koalitionsvertrages hat sich nicht geändert. Was sich geändert hat, sind einige Rahmenbedingungen. Entscheidungsprozesse sind komplexer geworden. Mit dem Begriff der Zeitenwende werden die Veränderungen beschrieben, die auf uns, auf unser Land zukommen. Wir haben es hier mit einer überaus komplizierten und enorm vielschichtigen Entwicklung zu tun, die so viele Herausforderungen auf allen möglichen Ebenen mit sich bringt. Doch gerade deswegen bin ich dankbar, dass wir es als Partei auf diesem Parteitag hier in Berlin geschafft haben, auf diese Herausforderung zu reagieren und mit unserem Leitantrag einmal mehr unseren liberalen Kompass auszurichten.
Ob Verteidigung, äußere und innere Sicherheit, Infrastruktur, soziale Marktwirtschaft, Freihandel oder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir sind uns als Freie Demokraten unserer großen Verantwortung bewusst und motiviert, an der Gestaltung der Zukunft unseres Landes mitzuarbeiten. Meine Damen und Herren, liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde! Was für ein großartiger Parteitag! Ihr seid großartig und ich freue mich auf die Zukunft mit Ihnen und mit Euch.
In diesem Sinne: Die Zeiten ändern wir, meine Damen und Herren.