10.11.2014Im Interview mit der "Bild am Sonntag" hat Außenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher eine Bilanz des Vierteljahrhunderts seit dem Mauerfall gezogen und aktuelle Krisenherde analysiert. Er fordert den Westen auf, sich für eine Verbesserung der Beziehungen mit Russland einzusetzen und das alte KSZE-Ziel einer Stabilitätszone von Vancouver bis Wladiwostok anzustreben. Denn für ihn ist klar: Die globalisierte Welt ist in eine neue Periode der Menschheitsgeschichte eingetreten, in der alle Nachbarn sind.
"Manche im Westen sind offenkundig der Meinung, die Konsequenz aus dem Mauerfall sei die Verschiebung der Ost-West-Grenze mitten durch Berlin an die Westgrenze Russlands", so Genscher. Dabei sei und bleibe Russland eine Großmacht in Osteuropa. "Noch immer gibt es zwei dominierende Atommächte auf der Welt, die die Stabilität in diesem Bereich garantieren. Ich kann daher nachvollziehen, wenn man in Moskau auf einem Dialog auf Augenhöhe besteht", betonte er.
Außerdem sei die Weltgemeinde auf die Kooperation mit den Russen für die Lösung großer internationaler Konflikte wie im Nahen und Mittleren Osten angewiesen. "Angesichts der völlig neuartigen Bedrohung durch entstaatlichte Gewalt wie die der ISIS müssen wir erkennen, dass die gemeinsamen Interessen mit Russland erheblich größer sind als die Differenzen zum Beispiel im Ukraine-Konflikt", stellte der ehemalige Außenminister klar. "Deshalb plädiere ich für einen Neuanfang in den Beziehungen zu Russland."
Putins bisheriges Vorgehen in der Ukraine und auf der Halbinsel Krim sei natürlich nicht akzeptabel, so Genscher. Dennoch gehe es bei der Beziehung mit Russland um die Gestaltung einer stabilen multipolaren Weltordnung. "Putin hat in einer Rede im Bundestag während seiner ersten Amtszeit als Präsident sich den Vorschlag einer gesamteuropäischen Freihandelszone zu eigen gemacht. Hätte die EU Putin beim Wort genommen, hätte Moskau auf das Thema EU-Mitgliedschaft der Ukraine meiner Überzeugung nach ganz anders reagiert", gab er zu bedenken. Der Altliberale forderte die EU auf, Putins Bereitschaft zu einer Freihandelszone neu aufzunehmen.
Mit Blick auf die Wahlerfolge europafeindlicher Parteien in der EU machte Genscher klar: Darauf könne die Antwort Deutschlands nur lauten, der Motor einer weiteren Vertiefung der europäischen Einigung und des inneren Zusammenhalts Europas zu sein. "Das ist der Kern der viel diskutierten größeren Verantwortung des vereinten Deutschlands. Als größtes Land und Land in der Mitte der EU müssen wir den europäischen Karren ziehen, am besten immer enger mit Frankreich und Polen zusammen", erläuterte er. "Es wird uns auf Dauer nicht gut gehen, wenn es den meisten europäischen Nachbarn auf Dauer schlecht geht."
Der Westen muss sich mit Russland versöhnen
Außenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher fordert eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der EU und Russland.Im Interview mit der "Bild am Sonntag" hat Außenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher eine Bilanz des Vierteljahrhunderts seit dem Mauerfall gezogen und aktuelle Krisenherde analysiert. Er fordert den Westen auf, sich für eine Verbesserung der Beziehungen mit Russland einzusetzen und das alte KSZE-Ziel einer Stabilitätszone von Vancouver bis Wladiwostok anzustreben. Denn für ihn ist klar: Die globalisierte Welt ist in eine neue Periode der Menschheitsgeschichte eingetreten, in der alle Nachbarn sind.
"Manche im Westen sind offenkundig der Meinung, die Konsequenz aus dem Mauerfall sei die Verschiebung der Ost-West-Grenze mitten durch Berlin an die Westgrenze Russlands", so Genscher. Dabei sei und bleibe Russland eine Großmacht in Osteuropa. "Noch immer gibt es zwei dominierende Atommächte auf der Welt, die die Stabilität in diesem Bereich garantieren. Ich kann daher nachvollziehen, wenn man in Moskau auf einem Dialog auf Augenhöhe besteht", betonte er.
Außerdem sei die Weltgemeinde auf die Kooperation mit den Russen für die Lösung großer internationaler Konflikte wie im Nahen und Mittleren Osten angewiesen. "Angesichts der völlig neuartigen Bedrohung durch entstaatlichte Gewalt wie die der ISIS müssen wir erkennen, dass die gemeinsamen Interessen mit Russland erheblich größer sind als die Differenzen zum Beispiel im Ukraine-Konflikt", stellte der ehemalige Außenminister klar. "Deshalb plädiere ich für einen Neuanfang in den Beziehungen zu Russland."
Putins bisheriges Vorgehen in der Ukraine und auf der Halbinsel Krim sei natürlich nicht akzeptabel, so Genscher. Dennoch gehe es bei der Beziehung mit Russland um die Gestaltung einer stabilen multipolaren Weltordnung. "Putin hat in einer Rede im Bundestag während seiner ersten Amtszeit als Präsident sich den Vorschlag einer gesamteuropäischen Freihandelszone zu eigen gemacht. Hätte die EU Putin beim Wort genommen, hätte Moskau auf das Thema EU-Mitgliedschaft der Ukraine meiner Überzeugung nach ganz anders reagiert", gab er zu bedenken. Der Altliberale forderte die EU auf, Putins Bereitschaft zu einer Freihandelszone neu aufzunehmen.
Hintergrund
Mit Blick auf die Wahlerfolge europafeindlicher Parteien in der EU machte Genscher klar: Darauf könne die Antwort Deutschlands nur lauten, der Motor einer weiteren Vertiefung der europäischen Einigung und des inneren Zusammenhalts Europas zu sein. "Das ist der Kern der viel diskutierten größeren Verantwortung des vereinten Deutschlands. Als größtes Land und Land in der Mitte der EU müssen wir den europäischen Karren ziehen, am besten immer enger mit Frankreich und Polen zusammen", erläuterte er. "Es wird uns auf Dauer nicht gut gehen, wenn es den meisten europäischen Nachbarn auf Dauer schlecht geht."