FDPGriechenland-KriseDas Geld wird niemals zurückgezahlt
Christian Lindner will den Weg in die Transferunion nicht mitgehen16.07.2015Das Parlament in Athen hat dem dritten EU-Hilfspaket zugestimmt und bekommt weitere Kredite ausgezahlt. FDP-Chef Christian Lindner warnt im Interview mit dem "Deutschlandfunk", dass diese Gelder niemals zurückgezahlt würden. "Es werden keine Kredite gegeben, man muss ehrlich sagen, hier werden Transfers gezahlt", unterstrich der Freidemokrat.
Die Last-Minute-Einigung zwischen Griechenland und den Geldgebern nach einem Verhandlungsmarathon sehen die Freien Demokraten äußerst kritisch. Lindner verdeutlichte, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einem Länderfinanzausgleich in Europa werde: "Das hat man nicht gewollt, als die Währungsunion geschaffen worden ist. Wir sind auf dem Weg in die Transferunion. Den Weg wollen wir nicht mitgehen, denn er unterspült das Vertrauen der Menschen in unsere Währung."
Die griechische Regierung werde seine Schulden niemals begleichen können. "Hier wird Recht gebrochen, mindestens gebeugt, und das ist nicht geeignet, das Vertrauen in den Euro und in das europäische Recht insgesamt zu stärken."
Von dieser Kritik unberührt bleibe allerdings die grundsätzlich pro-europäische Einstellung der Freien Demokraten, unterstrich der FDP-Chef. Die EU sei ein "Zivilisationsprojekt, das allerdings auf den Werten der Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft aufgebaut sein muss, bleiben muss".
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Frage: Und am Telefon ist der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, guten Morgen! Wären Sie noch im Bundestag, Herr Lindner, dann würden Sie morgen mit Nein stimmen, ich glaube, das kann man voraussetzen. Sie und Die Linke, Herr Lindner, das ist eine interessante Koalition!
LINDNER: Allerdings aus unterschiedlichen Motiven natürlich. Und ich bedauere auch sehr, dass nach Lage der Dinge uns eine Zustimmung nicht möglich wäre. Denn den ursprünglichen Kurs der Bundesregierung in der Griechenland-Frage haben wir seit 2010 mitgetragen, übrigens auch als Opposition außerhalb des Deutschen Bundestages. Vorliegendes Paket ist in unseren Augen allerdings nicht wirksam. Und der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM wird genutzt, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht bestehen. Dem kann eine Rechtsstaatspartei nicht zustimmen, denn wiederum wird jetzt Recht gebeugt. Genau dieses Problem hat uns erst in die Krise geführt, als die Maastricht-Kriterien seinerzeit missachtet worden sind. Das wird jetzt wiederholt, das führt uns tiefer in die Krise hinein und nicht heraus.
Frage: Macht die Bundesregierung eine unsolide Politik?
LINDNER: Die ganze Verhandlungsführung im ersten Halbjahr 2015 war in meinen Augen nicht überzeugend. Die Bundeskanzlerin und auch der Kommissionspräsident Juncker haben dem Treiben von Herrn Tsipras viel zu lange zugeschaut, da hätte man früher Signale senden müssen. Der Umgang war viel zu freundlich. Nun ist das Dilemma da. Die große Problematik ist entstanden, weil wir in der Lage waren, keinen Plan B umsetzen zu können. Und das hat Herr Tsipras für sich genutzt. Nun sind wir in der Situation, dass ein Paket beschlossen wird im Parlament, in Athen, von dem der griechische Ministerpräsident sagt, er glaubt selbst nicht an die Wirksamkeit, die Regierung in Athen verfügt über keine eigene Mehrheit mehr, die Menschen demonstrieren dagegen. Und es hat ein Referendum gegeben, bei dem sich eine Mehrheit der Griechen gegen diesen Rettungskurs ausgesprochen hat. Ja, wer glaubt denn daran, dass dann das Spar- und Reformpaket auch tatsächlich in den nächsten Jahren umgesetzt wird? Ich jedenfalls nicht.
Frage: Herr Lindner, es gab ja einen Plan B, den Grexit mindestens auf Zeit und im Gegenzug Schuldenerlass. Hätte Angela Merkel diese Idee von Wolfgang Schäuble offensiver vertreten müssen in Brüssel?
LINDNER: Ich habe bereits Anfang des Jahres gefordert, dass ein solcher Plan B präzise ausgearbeitet und in die Debatte eingebracht wird. Er kam auf den letzten Metern, das ist aller Ehre wert, ich habe diesen Plan auch für besser gehalten. Aber ganz offensichtlich war es nicht die Haltung der Bundesregierung insgesamt, das hat Sigmar Gabriel ja mehrfach zu Protokoll gegeben. Die Bundeskanzlerin selbst hat die Idee offensichtlich auch nicht offensiv vertreten, was besser gewesen wäre. Denn es geht ja am Ende darum, dass wir die Eurozone insgesamt stabilisieren und erhalten. Dafür braucht sie einen Neustart. Und es geht darum, dass Griechenland sich aus seiner schwierigen Lage befreit. Das geht mit diesem Spar- und Reformprogramm nicht. Viel leichter wäre das außerhalb der Eurozone, verbunden mit Hilfen aus EU-Strukturfonds, Griechenland bliebe ja weiter Mitglied der Europäischen Union. Das wäre eher in Griechenland demokratisch legitimierbar, das wäre auch eher wirksam gewesen. Leider kommt es dazu jetzt nicht.
Frage: Vor einer guten Stunde, Herr Lindner, haben wir hier mit dem Bundesfinanzminister gesprochen, mit Wolfgang Schäuble, und der hat mehrfach einen Zusammenhang hergestellt zwischen der faktischen Notwendigkeit eines Schuldenschnitts, die ja möglich ist, und die dann aber verbunden sein müsste mit einem Grexit. Glauben Sie, der kommt doch noch, der Grexit?
LINDNER: Man kann nicht mit politischem Wollen auf Dauer ökonomische Grundsätze außer Kraft setzen. Deshalb ist dieses Paket in meinen Augen eben nicht wirksam. Und das sagt ja auch der Internationale Währungsfonds. Er sagt, die Schuldentragfähigkeit Griechenlands besteht nicht, auch nicht mit diesem Paket. Und die Wachstumsaussichten sind deutlich überschätzt. Es gibt noch weitere Kritikpunkte, aber das sind die beiden wesentlichen in diesem Zusammenhang.
Frage: Ja, und worauf läuft das dann hinaus, wie geht es aus?
LINDNER: Das läuft darauf hinaus, dass am Freitag in Wahrheit nicht über ein drittes Griechenland-Paket allein entschieden wird, sondern auch schon über ein viertes und fünftes. Der Charakter der Währungsunion verändert sich mit dem Freitag. Es werden keine Kredite gegeben, man muss ehrlich sagen, hier werden Transfers gezahlt. Jeder weiß, das wird niemals zurückgezahlt werden können, trotzdem wird überwiesen. Sicherlich auch eher 100 Milliarden als 80 Milliarden werden es schon in den nächsten Jahren sein. Der Europäische Stabilitätsmechanismus wird zu einem Länderfinanzausgleich in Europa. Das hat man nicht gewollt, als die Währungsunion geschaffen worden ist, das wird auch jetzt bestritten. Beides ist, wie man jetzt weiß, unehrlich. Wir sind auf dem Weg in die Transferunion, den Weg wollen wir nicht mitgehen, denn er unterspült das Vertrauen der Menschen in unsere Währung, und das Recht in Europa wird gebeugt. Dabei ist auf der Idee doch die ganze Einigung Europas aufgebaut.
Frage: Herr Lindner, aber diese Erkenntnisse und Einschätzungen, die Sie uns jetzt mitteilen, die sind ja nicht vom Himmel gefallen, da gab es ja jahrelang Zeit, diese Erkenntnisse zu gewinnen. Den anderen Hilfspaketen haben Sie in der Regierung immer zugestimmt, nur jetzt sagen Sie Nein!
LINDNER: Ja, absolut, das ist eben auch völlig anders als damals, Frau Heuer! 2010 und 2012 war die Eurozone insgesamt gefährdet durch einen ungeordneten Staatsbankrott Griechenlands und sein Ausscheiden aus dem Euro. Da gab es die Gefahr einer Finanzkernschmelze, so wie man es beobachtet hat beim Zusammenbruch der Lehman-Bank in der Vereinigten Staaten. Deshalb ist der Europäische Stabilitätsmechanismus seinerzeit geschaffen worden mit unserer Unterstützung. Diese Entscheidungen halte ich alle für richtig. Nun aber ...
Frage: Ja, aber den griechischen Vorgängerregierungen, denen war ja nach allem, was man so hört, auch nicht zu trauen. Und das wusste man eigentlich ja auch.
LINDNER: Ja, ich führe ja gerade aus, es ging um eine Gefahr für die Eurozone insgesamt. Deshalb Brandmauer ESM. Eine Voraussetzung für das Einschalten des ESM ist ja auch rechtlich nach den Verträgen, dass es eine Gefahr für die Währungsunion insgesamt geben wird. Genau diese hat der Bundesfinanzminister in den letzten Monaten immer ausgeschlossen. Die Gefahr bestünde nicht mehr. Sonst könnte er auch in seinem Papier, das kurz vor Toresschluss kam, nicht selbst einen Grexit vorschlagen. Das bedeutet, die Bundesregierung beantragt jetzt die Aufnahme von Verhandlungen, obwohl sie selbst über Wochen gesagt hat, über Monate gesagt hat, die rechtlichen Voraussetzungen bestehen dafür nicht. Und das zeigt mir, hier wird Recht gebrochen, mindestens gebeugt, und das ist nicht geeignet, das Vertrauen in den Euro und in das europäische Recht insgesamt zu stärken. Deshalb, mit größtem Bedauern: Diesem Paket könnten wir so nicht zustimmen, alleine schon aus Rechtsgründen.
Frage: So weit war 2010 schon Ihr Parteikollege Frank Schäffler, der galt als Eurorebell. Er hat mit Nein gestimmt, er beklagt sich heute über den Druck, den die Parteispitze deshalb damals auf ihn ausgeübt hat, zu dieser Parteispitze gehörten auch Sie. Muss man nicht jetzt bei allen Unterscheidungen, die Sie treffen, im Rückblick sagen: Schäffler hatte damals Recht und Sie hatten Unrecht?
LINDNER: Nein. Wie gerade ausgeführt, 2010 und 2012 war die Eurozone insgesamt gefährdet, Wiederholung von Lehman-Pleite sage ich nur als Stichwort. Und ich halte den ESM als Institution für ausgesprochen wichtig und notwendig, gegen ihn hatte sich Herr Schäffler seinerzeit in unserem Mitgliederentscheid gewandt. Also, die FDP hat ihren Kurs seit 2010 in dieser Frage nicht verändert. Ich nehme wahr, dass der Charakter der Krisenstrategie insgesamt sich aber verändert, und zwar zum Schlechteren.
Frage: Die FDP ist jetzt also geschlossen griechenlandkritisch für einen Grexit, wenigstens auf Zeit. Da könnten Sie sich, Herr Lindner, doch eigentlich mit den wirtschaftspolitischen Flüchtlingen aus der AfD zusammentun?
LINDNER: Die FDP ist nicht griechenlandkritisch, wir sind kritisch gegenüber ...
Frage: ... der griechischen Regierung, Pardon!
LINDNER: ... der griechischen Regierung gegenüber und vor allen Dingen der jetzt gewählten Krisenstrategie, weil es bessere Optionen unserer Ansicht nach geben würde. Aber wir bleiben eine zutiefst und fundamental europafreundliche Partei, wir halten das für ein Zivilisationsprojekt, das allerdings auf den Werten der Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft aufgebaut sein muss, bleiben muss. Und wir sind eine Partei, die neben wirtschaftspolitischer Vernunft auch gesellschaftspolitische Liberalität im Programm hat. Das passt nicht zu einer Alternative für Deutschland, die ja aus der Krise in Europa politisches Kapital schlagen will, die Ressentiments salonfähig machen möchte. Also, da gibt es keine Überschneidung.
Das Geld wird niemals zurückgezahlt
Christian Lindner will den Weg in die Transferunion nicht mitgehenDas Parlament in Athen hat dem dritten EU-Hilfspaket zugestimmt und bekommt weitere Kredite ausgezahlt. FDP-Chef Christian Lindner warnt im Interview mit dem "Deutschlandfunk", dass diese Gelder niemals zurückgezahlt würden. "Es werden keine Kredite gegeben, man muss ehrlich sagen, hier werden Transfers gezahlt", unterstrich der Freidemokrat.
Die Last-Minute-Einigung zwischen Griechenland und den Geldgebern nach einem Verhandlungsmarathon sehen die Freien Demokraten äußerst kritisch. Lindner verdeutlichte, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einem Länderfinanzausgleich in Europa werde: "Das hat man nicht gewollt, als die Währungsunion geschaffen worden ist. Wir sind auf dem Weg in die Transferunion. Den Weg wollen wir nicht mitgehen, denn er unterspült das Vertrauen der Menschen in unsere Währung."
Die griechische Regierung werde seine Schulden niemals begleichen können. "Hier wird Recht gebrochen, mindestens gebeugt, und das ist nicht geeignet, das Vertrauen in den Euro und in das europäische Recht insgesamt zu stärken."
Von dieser Kritik unberührt bleibe allerdings die grundsätzlich pro-europäische Einstellung der Freien Demokraten, unterstrich der FDP-Chef. Die EU sei ein "Zivilisationsprojekt, das allerdings auf den Werten der Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft aufgebaut sein muss, bleiben muss".
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Frage: Und am Telefon ist der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, guten Morgen! Wären Sie noch im Bundestag, Herr Lindner, dann würden Sie morgen mit Nein stimmen, ich glaube, das kann man voraussetzen. Sie und Die Linke, Herr Lindner, das ist eine interessante Koalition!
LINDNER: Allerdings aus unterschiedlichen Motiven natürlich. Und ich bedauere auch sehr, dass nach Lage der Dinge uns eine Zustimmung nicht möglich wäre. Denn den ursprünglichen Kurs der Bundesregierung in der Griechenland-Frage haben wir seit 2010 mitgetragen, übrigens auch als Opposition außerhalb des Deutschen Bundestages. Vorliegendes Paket ist in unseren Augen allerdings nicht wirksam. Und der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM wird genutzt, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht bestehen. Dem kann eine Rechtsstaatspartei nicht zustimmen, denn wiederum wird jetzt Recht gebeugt. Genau dieses Problem hat uns erst in die Krise geführt, als die Maastricht-Kriterien seinerzeit missachtet worden sind. Das wird jetzt wiederholt, das führt uns tiefer in die Krise hinein und nicht heraus.
Frage: Macht die Bundesregierung eine unsolide Politik?
LINDNER: Die ganze Verhandlungsführung im ersten Halbjahr 2015 war in meinen Augen nicht überzeugend. Die Bundeskanzlerin und auch der Kommissionspräsident Juncker haben dem Treiben von Herrn Tsipras viel zu lange zugeschaut, da hätte man früher Signale senden müssen. Der Umgang war viel zu freundlich. Nun ist das Dilemma da. Die große Problematik ist entstanden, weil wir in der Lage waren, keinen Plan B umsetzen zu können. Und das hat Herr Tsipras für sich genutzt. Nun sind wir in der Situation, dass ein Paket beschlossen wird im Parlament, in Athen, von dem der griechische Ministerpräsident sagt, er glaubt selbst nicht an die Wirksamkeit, die Regierung in Athen verfügt über keine eigene Mehrheit mehr, die Menschen demonstrieren dagegen. Und es hat ein Referendum gegeben, bei dem sich eine Mehrheit der Griechen gegen diesen Rettungskurs ausgesprochen hat. Ja, wer glaubt denn daran, dass dann das Spar- und Reformpaket auch tatsächlich in den nächsten Jahren umgesetzt wird? Ich jedenfalls nicht.
Frage: Herr Lindner, es gab ja einen Plan B, den Grexit mindestens auf Zeit und im Gegenzug Schuldenerlass. Hätte Angela Merkel diese Idee von Wolfgang Schäuble offensiver vertreten müssen in Brüssel?
LINDNER: Ich habe bereits Anfang des Jahres gefordert, dass ein solcher Plan B präzise ausgearbeitet und in die Debatte eingebracht wird. Er kam auf den letzten Metern, das ist aller Ehre wert, ich habe diesen Plan auch für besser gehalten. Aber ganz offensichtlich war es nicht die Haltung der Bundesregierung insgesamt, das hat Sigmar Gabriel ja mehrfach zu Protokoll gegeben. Die Bundeskanzlerin selbst hat die Idee offensichtlich auch nicht offensiv vertreten, was besser gewesen wäre. Denn es geht ja am Ende darum, dass wir die Eurozone insgesamt stabilisieren und erhalten. Dafür braucht sie einen Neustart. Und es geht darum, dass Griechenland sich aus seiner schwierigen Lage befreit. Das geht mit diesem Spar- und Reformprogramm nicht. Viel leichter wäre das außerhalb der Eurozone, verbunden mit Hilfen aus EU-Strukturfonds, Griechenland bliebe ja weiter Mitglied der Europäischen Union. Das wäre eher in Griechenland demokratisch legitimierbar, das wäre auch eher wirksam gewesen. Leider kommt es dazu jetzt nicht.
Frage: Vor einer guten Stunde, Herr Lindner, haben wir hier mit dem Bundesfinanzminister gesprochen, mit Wolfgang Schäuble, und der hat mehrfach einen Zusammenhang hergestellt zwischen der faktischen Notwendigkeit eines Schuldenschnitts, die ja möglich ist, und die dann aber verbunden sein müsste mit einem Grexit. Glauben Sie, der kommt doch noch, der Grexit?
LINDNER: Man kann nicht mit politischem Wollen auf Dauer ökonomische Grundsätze außer Kraft setzen. Deshalb ist dieses Paket in meinen Augen eben nicht wirksam. Und das sagt ja auch der Internationale Währungsfonds. Er sagt, die Schuldentragfähigkeit Griechenlands besteht nicht, auch nicht mit diesem Paket. Und die Wachstumsaussichten sind deutlich überschätzt. Es gibt noch weitere Kritikpunkte, aber das sind die beiden wesentlichen in diesem Zusammenhang.
Frage: Ja, und worauf läuft das dann hinaus, wie geht es aus?
LINDNER: Das läuft darauf hinaus, dass am Freitag in Wahrheit nicht über ein drittes Griechenland-Paket allein entschieden wird, sondern auch schon über ein viertes und fünftes. Der Charakter der Währungsunion verändert sich mit dem Freitag. Es werden keine Kredite gegeben, man muss ehrlich sagen, hier werden Transfers gezahlt. Jeder weiß, das wird niemals zurückgezahlt werden können, trotzdem wird überwiesen. Sicherlich auch eher 100 Milliarden als 80 Milliarden werden es schon in den nächsten Jahren sein. Der Europäische Stabilitätsmechanismus wird zu einem Länderfinanzausgleich in Europa. Das hat man nicht gewollt, als die Währungsunion geschaffen worden ist, das wird auch jetzt bestritten. Beides ist, wie man jetzt weiß, unehrlich. Wir sind auf dem Weg in die Transferunion, den Weg wollen wir nicht mitgehen, denn er unterspült das Vertrauen der Menschen in unsere Währung, und das Recht in Europa wird gebeugt. Dabei ist auf der Idee doch die ganze Einigung Europas aufgebaut.
Frage: Herr Lindner, aber diese Erkenntnisse und Einschätzungen, die Sie uns jetzt mitteilen, die sind ja nicht vom Himmel gefallen, da gab es ja jahrelang Zeit, diese Erkenntnisse zu gewinnen. Den anderen Hilfspaketen haben Sie in der Regierung immer zugestimmt, nur jetzt sagen Sie Nein!
LINDNER: Ja, absolut, das ist eben auch völlig anders als damals, Frau Heuer! 2010 und 2012 war die Eurozone insgesamt gefährdet durch einen ungeordneten Staatsbankrott Griechenlands und sein Ausscheiden aus dem Euro. Da gab es die Gefahr einer Finanzkernschmelze, so wie man es beobachtet hat beim Zusammenbruch der Lehman-Bank in der Vereinigten Staaten. Deshalb ist der Europäische Stabilitätsmechanismus seinerzeit geschaffen worden mit unserer Unterstützung. Diese Entscheidungen halte ich alle für richtig. Nun aber ...
Frage: Ja, aber den griechischen Vorgängerregierungen, denen war ja nach allem, was man so hört, auch nicht zu trauen. Und das wusste man eigentlich ja auch.
LINDNER: Ja, ich führe ja gerade aus, es ging um eine Gefahr für die Eurozone insgesamt. Deshalb Brandmauer ESM. Eine Voraussetzung für das Einschalten des ESM ist ja auch rechtlich nach den Verträgen, dass es eine Gefahr für die Währungsunion insgesamt geben wird. Genau diese hat der Bundesfinanzminister in den letzten Monaten immer ausgeschlossen. Die Gefahr bestünde nicht mehr. Sonst könnte er auch in seinem Papier, das kurz vor Toresschluss kam, nicht selbst einen Grexit vorschlagen. Das bedeutet, die Bundesregierung beantragt jetzt die Aufnahme von Verhandlungen, obwohl sie selbst über Wochen gesagt hat, über Monate gesagt hat, die rechtlichen Voraussetzungen bestehen dafür nicht. Und das zeigt mir, hier wird Recht gebrochen, mindestens gebeugt, und das ist nicht geeignet, das Vertrauen in den Euro und in das europäische Recht insgesamt zu stärken. Deshalb, mit größtem Bedauern: Diesem Paket könnten wir so nicht zustimmen, alleine schon aus Rechtsgründen.
Frage: So weit war 2010 schon Ihr Parteikollege Frank Schäffler, der galt als Eurorebell. Er hat mit Nein gestimmt, er beklagt sich heute über den Druck, den die Parteispitze deshalb damals auf ihn ausgeübt hat, zu dieser Parteispitze gehörten auch Sie. Muss man nicht jetzt bei allen Unterscheidungen, die Sie treffen, im Rückblick sagen: Schäffler hatte damals Recht und Sie hatten Unrecht?
LINDNER: Nein. Wie gerade ausgeführt, 2010 und 2012 war die Eurozone insgesamt gefährdet, Wiederholung von Lehman-Pleite sage ich nur als Stichwort. Und ich halte den ESM als Institution für ausgesprochen wichtig und notwendig, gegen ihn hatte sich Herr Schäffler seinerzeit in unserem Mitgliederentscheid gewandt. Also, die FDP hat ihren Kurs seit 2010 in dieser Frage nicht verändert. Ich nehme wahr, dass der Charakter der Krisenstrategie insgesamt sich aber verändert, und zwar zum Schlechteren.
Frage: Die FDP ist jetzt also geschlossen griechenlandkritisch für einen Grexit, wenigstens auf Zeit. Da könnten Sie sich, Herr Lindner, doch eigentlich mit den wirtschaftspolitischen Flüchtlingen aus der AfD zusammentun?
LINDNER: Die FDP ist nicht griechenlandkritisch, wir sind kritisch gegenüber ...
Frage: ... der griechischen Regierung, Pardon!
LINDNER: ... der griechischen Regierung gegenüber und vor allen Dingen der jetzt gewählten Krisenstrategie, weil es bessere Optionen unserer Ansicht nach geben würde. Aber wir bleiben eine zutiefst und fundamental europafreundliche Partei, wir halten das für ein Zivilisationsprojekt, das allerdings auf den Werten der Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft aufgebaut sein muss, bleiben muss. Und wir sind eine Partei, die neben wirtschaftspolitischer Vernunft auch gesellschaftspolitische Liberalität im Programm hat. Das passt nicht zu einer Alternative für Deutschland, die ja aus der Krise in Europa politisches Kapital schlagen will, die Ressentiments salonfähig machen möchte. Also, da gibt es keine Überschneidung.