FDPWert EuropasBürger müssen Europa mitgestalten können
Europa-Flagge18.06.2013Trotz vieler Baustellen ist und bleibt die EU ein Zukunftsmodell, erklärt FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff in einem „Handelsblatt“-Gastbeitrag.
Der Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament kritisiert, dass in den Mitgliedstaaten der Wille fehlt, das Erfolgsprojekt wirklich weiterzuentwickeln. Zum einen müssen seiner Meinung nach die Bürger mehr eingebunden werden und aktiv in den Gestaltungsprozess eingreifen können, damit nicht die Sorge genährt wird, dass europäische Politik intransparent und undemokratisch ist.
Auf der anderen Seite ist es auch an den Politikern der Länder, die Ärmel hochzukrempeln und das ehrgeizige Projekt der europäischen Union weiterzuentwickeln, auch wenn das bedeutet, Umgestaltungen und Kompromisse einzugehen. „In jedem Fall brauchen wir ein besseres Europa - vertieft in Bereichen, in denen die Gemeinschaft einen Mehrwert bietet, verschlankt dort, wo Mitgliedstaaten ihre Geschicke besser selbst lenken.“
Lesen Sie hier den ganzen Gastbeitrag für die Dienstags-Ausgabe des „Handelsblatts“.
Doppeltes Spiel mit Europa
Alexander Graf Lambsdorff
„Ein "Sanierungsfall", immerhin. Kein "politischer Bankrott". Auch kein "Schiffbruch". Energiekommissar Günther Oettinger, der mit seinen Äußerungen für Wirbel sorgte, hegt noch Hoffnungen für das Projekt Europa. Dazu hat er guten Grund. Denn allen Baustellen, allen Unwägbarkeiten zum Trotz ist die EU vor allem ein Zukunftsmodell.
Sanierung heißt Umgestaltung, Modernisierung, Wiederherstellung wirtschaftlicher Rentabilität. Vor diesen Herausforderungen stehen wir tatsächlich. In Bezug auf Frankreich hat Oettinger den Finger zu Recht in die Wunde gelegt. Der sozialistischen Regierung fehlt der Wille, die gravierenden wirtschaftlichen Missstände zu beseitigen. Gerade erst hat Frankreich zwei Jahre Aufschub für das Erreichen der Haushaltsziele erhalten. Postwendend giftete Präsident Hollande, der sich vehement für die Stabilität der Euro-Zone einsetzt, gegen das "Diktat der Kommission" - ein Widerspruch in sich.
Ähnlich verhält sich Angela Merkel. In Europa verordnet sie als Bundeskanzlerin strikte Sparpolitik. In Deutschland aber buhlt sie als CDU-Vorsitzende mit verantwortungslosen Wahlversprechen und milliardenschweren Sozialpaketen um Wählerstimmen. Dieses doppelte Spiel ist das zentrale Problem in Europa. Die Bürger durchschauen, dass in Brüssel das eine, zu Hause aber etwas anderes verkündet wird. So gerät das Gemeinschaftsprojekt nicht nur in Misskredit, sondern grundlegend in Gefahr. In der nationalen Politik ist ein Umdenken daher zwingend erforderlich.
Oettingers Kritik bleibt jedoch stellenweise oberflächlich. Zu Recht wird europäische Politik als intransparent und undemokratisch kritisiert. Denn was Staats- und Regierungschefs im Hinterzimmer aushandeln, können gewählte Volksvertreter kaum beeinflussen. In Zeiten der Krise wird dieses Defizit mit der Notwendigkeit schneller Entscheidungen gerechtfertigt, doch die Regierungen richten sich nach und nach in diesem Krisenmodus als Dauerzustand ein. Statt institutionelle Baustellen zu beseitigen, werden neue geschaffen.
Der Europäische Rat - das sind die nationalen Regierungschefs, nicht etwa Kommission oder Europaparlament - kippte kürzlich erst die geplante Verkleinerung der Kommission, obwohl diese schon vor Jahren im Lissabonner Vertrag verankert wurde. Ein fatales Signal an die skeptische Öffentlichkeit. Kaum nachvollziehbar ist auch, warum Merkel und Hollande einen hauptamtlichen Euro-Gruppen-Präsidenten vorschlagen, obwohl sich ein Kommissar für Wirtschafts- und Währungsfragen ebendiesen Themen in Vollzeit widmet. Zumal ein solcher Posten, analog zum EU-Ratspräsidenten, keinerlei parlamentarischer Rechenschaftspflicht unterliegen würde.
Das Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners funktioniert nicht mehr. Wir werden uns entscheiden müssen: Entweder wir akzeptieren ein "Frankenstein-Europa" - zusammengesetzt aus Fragmenten nationalstaatlicher Souveränität, aber ohne funktionierende Gewaltenteilung. Oder wir schaffen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten mit der Euro-Zone im Kern, die weitere Integration forciert, und den übrigen Mitgliedstaaten in der Peripherie, die nur einen Teil der gemeinschaftlichen Rechtsakte umsetzen. In jedem Fall brauchen wir ein besseres Europa - vertieft in Bereichen, in denen die Gemeinschaft einen Mehrwert bietet, verschlankt dort, wo Mitgliedstaaten ihre Geschicke besser selbst lenken.
Ansatzpunkte für ein zukunftsträchtiges Europa gibt es viele: Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist nach dem Syrien-Debakel praktisch am Ende. Aber wir brauchen ein starkes Europa, das mit einer Stimme auftritt, um uns im Konzert der Großen Gehör zu verschaffen. Ungeachtet der angespannten Finanzlage leistet sich die EU den Luxus von bald 24 Amtssprachen. Statt babylonische Sprachverwirrung zu verwalten, könnten wir Englisch zur Lingua franca erklären. Ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen bietet zudem riesige Chancen, um dringend benötigtes Wachstum anzukurbeln. Auch dieses Mammutprojekt könnten wir nur gemeinsam stemmen.
Die EU eignet sich als Zukunftsmodell. Sie basiert auf einem Wertekanon, der uns Europäer über alle Unterschiede hinweg verbindet. Was heute fehlt, ist der Wille, das Erfolgsprojekt weiterzuentwickeln. Vor allem muss Europa für seine Bürger eine "res publica" werden: eine öffentliche Sache, greifbar und zum Mitgestalten.“
Bürger müssen Europa mitgestalten können
Europa-FlaggeTrotz vieler Baustellen ist und bleibt die EU ein Zukunftsmodell, erklärt FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff in einem „Handelsblatt“-Gastbeitrag.
Der Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament kritisiert, dass in den Mitgliedstaaten der Wille fehlt, das Erfolgsprojekt wirklich weiterzuentwickeln. Zum einen müssen seiner Meinung nach die Bürger mehr eingebunden werden und aktiv in den Gestaltungsprozess eingreifen können, damit nicht die Sorge genährt wird, dass europäische Politik intransparent und undemokratisch ist.
Auf der anderen Seite ist es auch an den Politikern der Länder, die Ärmel hochzukrempeln und das ehrgeizige Projekt der europäischen Union weiterzuentwickeln, auch wenn das bedeutet, Umgestaltungen und Kompromisse einzugehen. „In jedem Fall brauchen wir ein besseres Europa - vertieft in Bereichen, in denen die Gemeinschaft einen Mehrwert bietet, verschlankt dort, wo Mitgliedstaaten ihre Geschicke besser selbst lenken.“
Lesen Sie hier den ganzen Gastbeitrag für die Dienstags-Ausgabe des „Handelsblatts“.
Doppeltes Spiel mit Europa
Alexander Graf Lambsdorff
„Ein "Sanierungsfall", immerhin. Kein "politischer Bankrott". Auch kein "Schiffbruch". Energiekommissar Günther Oettinger, der mit seinen Äußerungen für Wirbel sorgte, hegt noch Hoffnungen für das Projekt Europa. Dazu hat er guten Grund. Denn allen Baustellen, allen Unwägbarkeiten zum Trotz ist die EU vor allem ein Zukunftsmodell.
Sanierung heißt Umgestaltung, Modernisierung, Wiederherstellung wirtschaftlicher Rentabilität. Vor diesen Herausforderungen stehen wir tatsächlich. In Bezug auf Frankreich hat Oettinger den Finger zu Recht in die Wunde gelegt. Der sozialistischen Regierung fehlt der Wille, die gravierenden wirtschaftlichen Missstände zu beseitigen. Gerade erst hat Frankreich zwei Jahre Aufschub für das Erreichen der Haushaltsziele erhalten. Postwendend giftete Präsident Hollande, der sich vehement für die Stabilität der Euro-Zone einsetzt, gegen das "Diktat der Kommission" - ein Widerspruch in sich.
Ähnlich verhält sich Angela Merkel. In Europa verordnet sie als Bundeskanzlerin strikte Sparpolitik. In Deutschland aber buhlt sie als CDU-Vorsitzende mit verantwortungslosen Wahlversprechen und milliardenschweren Sozialpaketen um Wählerstimmen. Dieses doppelte Spiel ist das zentrale Problem in Europa. Die Bürger durchschauen, dass in Brüssel das eine, zu Hause aber etwas anderes verkündet wird. So gerät das Gemeinschaftsprojekt nicht nur in Misskredit, sondern grundlegend in Gefahr. In der nationalen Politik ist ein Umdenken daher zwingend erforderlich.
Oettingers Kritik bleibt jedoch stellenweise oberflächlich. Zu Recht wird europäische Politik als intransparent und undemokratisch kritisiert. Denn was Staats- und Regierungschefs im Hinterzimmer aushandeln, können gewählte Volksvertreter kaum beeinflussen. In Zeiten der Krise wird dieses Defizit mit der Notwendigkeit schneller Entscheidungen gerechtfertigt, doch die Regierungen richten sich nach und nach in diesem Krisenmodus als Dauerzustand ein. Statt institutionelle Baustellen zu beseitigen, werden neue geschaffen.
Der Europäische Rat - das sind die nationalen Regierungschefs, nicht etwa Kommission oder Europaparlament - kippte kürzlich erst die geplante Verkleinerung der Kommission, obwohl diese schon vor Jahren im Lissabonner Vertrag verankert wurde. Ein fatales Signal an die skeptische Öffentlichkeit. Kaum nachvollziehbar ist auch, warum Merkel und Hollande einen hauptamtlichen Euro-Gruppen-Präsidenten vorschlagen, obwohl sich ein Kommissar für Wirtschafts- und Währungsfragen ebendiesen Themen in Vollzeit widmet. Zumal ein solcher Posten, analog zum EU-Ratspräsidenten, keinerlei parlamentarischer Rechenschaftspflicht unterliegen würde.
Das Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners funktioniert nicht mehr. Wir werden uns entscheiden müssen: Entweder wir akzeptieren ein "Frankenstein-Europa" - zusammengesetzt aus Fragmenten nationalstaatlicher Souveränität, aber ohne funktionierende Gewaltenteilung. Oder wir schaffen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten mit der Euro-Zone im Kern, die weitere Integration forciert, und den übrigen Mitgliedstaaten in der Peripherie, die nur einen Teil der gemeinschaftlichen Rechtsakte umsetzen. In jedem Fall brauchen wir ein besseres Europa - vertieft in Bereichen, in denen die Gemeinschaft einen Mehrwert bietet, verschlankt dort, wo Mitgliedstaaten ihre Geschicke besser selbst lenken.
Ansatzpunkte für ein zukunftsträchtiges Europa gibt es viele: Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist nach dem Syrien-Debakel praktisch am Ende. Aber wir brauchen ein starkes Europa, das mit einer Stimme auftritt, um uns im Konzert der Großen Gehör zu verschaffen. Ungeachtet der angespannten Finanzlage leistet sich die EU den Luxus von bald 24 Amtssprachen. Statt babylonische Sprachverwirrung zu verwalten, könnten wir Englisch zur Lingua franca erklären. Ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen bietet zudem riesige Chancen, um dringend benötigtes Wachstum anzukurbeln. Auch dieses Mammutprojekt könnten wir nur gemeinsam stemmen.
Die EU eignet sich als Zukunftsmodell. Sie basiert auf einem Wertekanon, der uns Europäer über alle Unterschiede hinweg verbindet. Was heute fehlt, ist der Wille, das Erfolgsprojekt weiterzuentwickeln. Vor allem muss Europa für seine Bürger eine "res publica" werden: eine öffentliche Sache, greifbar und zum Mitgestalten.“