FDPFlüchtlingspolitik

Bund muss Recht und Ordnung wiederherstellen

Florian RentschFlorian Rentsch fordert ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik
03.11.2015

FDP-Bundesvorstandsmitglied Florian Rentsch hat den Kurs der Bundeskanzlerin in der Asylpolitik scharf kritisiert. "Als Freie Demokraten verstehen wir uns als Wächter des Rechtsstaats, den diese Bundesregierung zum Teil mit Füßen tritt", konstatierte er im Interview mit der "Welt". Die Kanzlerin habe deutsche und europäische Gesetze ohne Not außer Kraft gesetzt und die aktuelle Situation der Überforderung ausgelöst. Dabei sei ein Großteil der Ankömmlinge keine Flüchtlinge, sondern Zuwanderer. "Hier müssen klar andere Regeln gelten", unterstrich Rentsch.

Aus seiner Sicht müsste die Bundesregierung der Bevölkerung besser erklären, was sie genau plant. Darüber hinaus sollte die Kanzlerin "den Mut aufbringen, die Menschen direkt zu fragen, ob sie den eingeschlagenen Kurs in der Flüchtlingskrise mitgehen wollen", schlug Rentsch vor. Die Ergebnisse einer solchen Volksbefragung zur Flüchtlingspolitik wären dann zwar rechtlich nicht bindend, "aber Frau Merkel muss erfahren, was die Menschen wirklich denken und daraus Konsequenzen ziehen", gab er zu bedenken.

Denn eine Million Flüchtlinge, wie in diesem Jahr, kosteten zirka 20 Milliarden Euro, davon allein zwölf Milliarden für die Unterbringung, rechnete der Freidemokrat vor. "Das geht derzeit nur, weil die Kassen wegen der guten Konjunkturlage voll sind. Aber natürlich denkt Finanzminister Schäuble über Steuererhöhungen oder den Bruch der Schuldenbremse nach." Beides sei allerdings inakzeptabel, zumal der Investitionsbedarf beispielsweise in Schulen und Infrastruktur einfach hinten runterfalle.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Herr Rentsch, die Flüchtlingskrise wird zur Zerreißprobe für die Regierung. Haben Sie den Eindruck, dass die FDP bei diesem Thema ausreichend stattfindet?

Manchmal ist es in der Tat schwierig, zwischen all den Populisten wahrgenommen zu werden. Wir haben einige Zeit gebraucht, um uns Gehör zu verschaffen. Langsam gelingt es uns.

Das klingt ein wenig verzagt.

Wir haben es im politischen Diskurs mit einer ganz schwierigen Situation zu tun. Keiner will den extremen politischen Kräften wie der AfD in die Hände spielen. Als Freie Demokraten verstehen wir uns als Wächter des Rechtsstaats, den diese Bundesregierung zum Teil mit Füßen tritt. Deshalb sollten wir jetzt mutiger werden und deutlicher auf Angriff gegen die Bundesregierung schalten.

Wofür steht denn die FDP in der Flüchtlingskrise?

Wir stehen klar für die Einhaltung des Rechtsstaats und der Verfassung. Denn wir haben eine Situation, in der die Kanzlerin die deutschen und europäischen Gesetze ohne Not außer Kraft gesetzt hat. Sie hat mal eben Deutschland zu einem Einwanderungsland ohne klare Kriterien erklärt. Deutschland ist damit jedoch eindeutig überfordert. Denn ein Großteil der Menschen, die zu uns kommen, sind keine Flüchtlinge, sondern Zuwanderer. Hier müssen klar andere Regeln gelten.

Hat die Bundeskanzlerin noch das nötige Gespür für die Bevölkerung?

Die Kanzlerin hat die Realität nicht mehr im Blick. Merkel macht nie etwas zufällig. Mit ihrer Einladungsgeste an die Flüchtlinge hat sie aber völlig neben der Stimmung in der Bevölkerung und der Leistungsfähigkeit unseres Landes gelegen. Sie hat auch die Bedürfnisse Deutschlands verkannt. Wir brauchen Zuwanderung von Fachkräften. Laut Sozialministerin Nahles werden nur zehn Prozent der Flüchtlinge diesen Fachkräftebedarf decken. 90 Prozent werden vorerst nicht arbeiten können, wegen Sprachbarrieren, mangelnder Bildung und auch wegen des Mindestlohns. Diese Gruppe wird von den staatlichen Sozialsystemen finanziert werden müssen.

Die nächsten 100 Tage werden entscheidend sein

Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki ist überzeugt, dass Merkel bis 2017 nicht durchhält, wenn sie so weitermacht. Wie ist Ihre Prognose?

Die Kanzlerin hat weder das Land hinter sich, noch ihre Partei. Sie muss aufpassen, dass ihr die Union nicht auseinanderbricht. Merkel verfährt jetzt nach der Devise: Augen zu und durch. Das erinnert mich an Staatssysteme, die kurz vor ihrem Kollaps standen.

Wie dünn ist demnach die Luft für die Kanzlerin geworden?

Die Luft wird für Merkel fast wöchentlich dünner, die Zahl der innerparteilichen Kritiker steigt rasant. Ich sage daher voraus, dass die nächsten 100 Tage entscheidend sein werden – nicht bloß für die Lösung der Flüchtlingskrise, sondern auch für Merkel persönlich. Denn die Frage, ob Deutschland eine funktionierende Strategie für die aktuelle Situation finden wird, ist untrennbar mit ihrem Namen verbunden.

Welche Strategie verfolgt CSU-Chef Horst Seehofer?

Eine stringente, lösungsorientierte Strategie kann ich bei Herrn Seehofer nicht erkennen. Seine Positionierung gegen die Kanzlerin und die SPD mag aus seiner Perspektive politisch sinnvoll sein, doch hilft sein Agieren in der Sache nicht weiter. Fakt ist, dass er sich mit den von ihm aufgestellten Ultimaten selbst zunehmend unter Druck setzt. Und Druck ist selten ein kluger politischer Ratgeber.

Traut sich denn die FDP konkret zu benennen, wo die Höchstgrenze für die jährliche Aufnahme von Flüchtlingen liegt?

Wir brauchen rund 350.000 Fachkräfte von außen jedes Jahr. Natürlich kann man dazu noch eine gewisse Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, gerade wenn es um Menschen aus Kriegsgebieten geht. Aber eine Million Flüchtlinge wie in diesem Jahr sind kein Zustand für uns alleine. Ich frage: Wo ist Europa? Eine Million Flüchtlinge kosten ca. 20 Milliarden Euro, davon allein zwölf Milliarden für die Unterbringung. Das geht derzeit nur, weil die Kassen wegen der guten Konjunkturlage voll sind. Aber natürlich denkt Finanzminister Schäuble über Steuererhöhungen oder den Bruch der Schuldenbremse nach. Beides ist für mich inakzeptabel, zumal der Investitionsbedarf beispielsweise in unsere Schulen und Infrastruktur einfach hinten runterfällt.

Merkel muss auf die Menschen im Land hören

Nun ist oft die Rede davon, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird. Fürchten Sie um das liberale Selbstverständnis Deutschlands?

Definitiv. Nur ein Beispiel zum Thema Religionsfreiheit: Wir hören verstärkt von den in Deutschland lebenden Juden, dass sie um ihre Sicherheit fürchten. Nach Schätzungen sind ein großer Teil der Flüchtlinge Muslime mit indoktriniertem Antisemitismus. Wir müssen wieder anfangen, über unsere Werte wie religiöse Toleranz zu sprechen. Unsere liberale Gesellschaft, wie wir sie uns erkämpft haben, ist gefährdet, wenn wir die Zuwanderung nicht anfangen zu steuern.

Was erwarten Sie jetzt von Merkel?

Erstens: Frau Merkel muss eine Ansprache ans Volk richten, was sie eigentlich genau plant. Zweitens: Die so demoskopiegläubige Kanzlerin sollte den Mut aufbringen, die Menschen direkt zu fragen, ob sie den eingeschlagenen Kurs in der Flüchtlingskrise mitgehen wollen. Eine Volksbefragung zur Flüchtlingspolitik wäre jetzt der richtige Weg. So wie die Griechen wie selbstverständlich über die Euro-Frage abgestimmt haben, so sollten auch die Deutschen es in der jetzigen grundlegenden Veränderung der politischen Lage tun. Wir dürfen nicht vergessen: Merkel hat den ursprünglichen Kurs der CDU, für den sie gewählt worden ist, komplett gedreht. Die Kanzlerin muss jetzt eine Antwort des Volkes erhalten: Soll sie den Kurs fortsetzen oder stoppen? Ich glaube, die große Mehrheit der Deutschen ist nicht einverstanden mit Merkels Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik. Wenn sie schon nicht auf ihre Partei hört, dann sollte sie auf die Menschen im Land hören.

Ein Volksentscheid auf Bundesebene ist bisher nicht möglich.

Das stimmt, unser Grundgesetz sieht eine solche Abstimmung nicht vor. Deswegen stelle ich mir eine Befragung der Bevölkerung vor. Das wäre möglich. Die Ergebnisse dieser Befragung würden dann zwar rechtlich nicht bindend sein. Aber Frau Merkel muss erfahren, was die Menschen wirklich denken und daraus Konsequenzen ziehen.

Wie würden Sie diese Frage formulieren, die die Deutschen beantworten sollen?

Ich schlage vor, zwei Alternativen zur Abstimmung zu stellen, zwischen denen sich die Bürgerinnen und Bürger entscheiden können: "1. Ich unterstütze die unbegrenzte Zuwanderung und die Politik der offenen Grenzen der Bundesregierung." Oder: "2. Ich möchte, dass die Bundesregierung die Zuwanderung über die Einhaltung der verfassungsmäßigen Schranken des Asylrechts und ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte begrenzt."

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