04.08.2013FDP-FraktionGesundheitspolitik

BRÜDERLE-Interview mit der „Welt am Sonntag“

BERLIN. Der Vorsitzende der
FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab der "Welt am Sonntag" (heutige
Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Jochen GAUGELE und Karsten
KAMMHOLZ:

BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab der "Welt am Sonntag" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Jochen GAUGELE und Karsten KAMMHOLZ: 

Frage: Typisch Deutsch – gibt es das, Herr Brüderle? 

BRÜDERLE: Es gibt nicht den typischen Deutschen. Man sagt uns aber gewisse Eigenschaften nach: Zuverlässigkeit, Genauigkeit, Pünktlichkeit. 

Frage: Ist das auch typisch Brüderle? 

BRÜDERLE: Ich gebe mir Mühe. (lacht) 

Frage: Welchen Künstler bringen Sie mit Deutschland besonders in Verbindung? 

BRÜDERLE: Walter Gropius, den Bauhaus-Architekten. Ich bin nicht für barocke Schnörkel und Rokoko, sondern für rechte Winkel, Licht, Glas. Unser Wohnhaus hier in Mainz ist auch am Bauhaus orientiert. Nicht im Original, aber wir haben versucht, uns dem Stil anzunähern. 

Frage: Zum fröhlichen Weinberg' ist der Titel eines Zuckmayer-Stücks, das Sie besucht haben, bevor Sie schwer gestürzt sind. Was gefällt Ihnen am Volkstheater? 

BRÜDERLE: Im „fröhlichen Weinberg" stellt Zuckmayer die Mentalität der Menschen in unserer rheinhessischen Heimat dar: Leben und leben lassen. Daraus spricht die Weisheit eines Fleckens, in dem schon alle Völkerscharen waren: Franzosen, Römer, Spanier, Kelten. Zuckmayer kann menschliche Eigenschaften humorvoll schildern. Das finde ich sympathisch. 

Frage: Sie gehen weiter auf Krücken, Ihre Stimme hat schon kräftiger geklungen. Was sagen die Ärzte?

BRÜDERLE: Die sind sehr zufrieden mit mir. Die letzte Röntgenuntersuchung hat gezeigt, dass alle Knochen bestens zusammengewachsen sind. Sechs Wochen nach einem nicht einfachen Oberschenkelbruch und einem Unterarmbruch gleichzeitig ist das ein schneller Heilungserfolg. Darüber freue ich mich, das motiviert mich zusätzlich. Jetzt mache ich meine Übungen in der Reha, um die Muskeln zu stärken. Ich gehe davon aus, dass ich mich bald wieder normal bewegen kann. Ich habe auch schon Termine in München und Frankfurt gemacht und das ging schon wieder ganz gut. 

Frage: Wer ist für Sie jetzt die größte Stütze? 

BRÜDERLE: Meine Frau, meine Freunde, meine Mitarbeiter. In der Anfangsphase konnte ich mich kaum bewegen, und ich hatte starke Schmerzen. In so einer Situation ist das engste Umfeld extrem wichtig. 

Frage: Hat sich Ihre Ehe verändert seit Ihrer Entscheidung, Spitzenkandidat zu werden? 

BRÜDERLE: Wir sind jetzt fast 40 Jahre zusammen. Das war schon immer sehr intensiv. Wir können uns blind aufeinander verlassen. Das hat sich jetzt wieder bewährt. 

Frage: Liberale sind nicht immer gläubig. Sie sind protestantischer Christ. Beten Sie viel in dieser Phase? 

BRÜDERLE: Ich bete regelmäßig. 

Frage: Haben Sie mit Gott gehadert? 

BRÜDERLE: Nein. Das gehört zum Schicksal, das man hinzunehmen hat. Ich kann ja keinen Beschwerdebrief nach oben schicken. So funktioniert die Veranstaltung nicht. Und wenn man das Leid anderer Menschen sieht, ist man schnell dankbar, wie gut es einem geht. Im Übrigen bin ich calvinistisch geprägt und beherzige das Motto: Hilf dir selbst, dann hilft dir der liebe Gott. 

Frage: Ist Gott ein Liberaler? 

BRÜDERLE: Es gibt Grundüberzeugungen im Christentum, die man teilen muss. Aber Gott ist für mich auch ein Liberaler, der mich in meiner Eigenart akzeptiert. 

Frage: Wann war Dr. Rösler zuletzt auf Visite? 

BRÜDERLE: Er war, kurz nachdem es passiert ist, im Anschluss an einen Termin in Süddeutschland bei mir. Wir telefonieren oft und sprechen über das politische Tagesgeschäft und die Wahlkampfplanung. Das läuft alles sehr offen und fair – und hat dazu geführt, dass unser gutes Verhältnis noch enger geworden ist. 

Frage: Sie hätten im März auch Parteichef werden können. Wir haben noch nicht ganz verstanden, warum Sie Röslers Angebot ausgeschlagen haben. 

BRÜDERLE: Ich bin der Überzeugung, dass Politik ein Mannschaftsspiel ist und Teamcharakter hat. Die Mischung zwischen jüngeren und erfahrenen Kandidaten, die wir jetzt gefunden haben, ist richtig. 

Frage: Gab es einen Moment, in dem Sie die Spitzenkandidatur am liebsten zurückgegeben hätten? 

BRÜDERLE: Nein. 

Frage: Steuersenkungen sind wieder Wahlkampfschlager der FDP geworden. Halten Sie dieses Mal Wort? 

BRÜDERLE: Wir haben die Bürger und Unternehmen um 22 Milliarden Euro entlastet. Das ist kein Pappenstiel. Gleichzeitig haben wir 13 Milliarden Euro mehr in Bildung investiert. Unsere Prioritäten für die nächste Wahlperiode sind klar: Als erstes muss der Haushalt strukturell ausgeglichen sein. Danach wollen wir wieder ein Stück Entlastung erreichen – vor allem durch die Abmilderung der kalten Progression und die Abschmelzung des Solidaritätszuschlags. Und wir wollen anfangen, Schulden zu tilgen. 

Frage: Kanzlerin Merkel will den Soli nicht antasten... 

BRÜDERLE: Der Soli ist eine Regelung, die klar gebunden ist an den Solidarpakt II. Und der endet 2019. Spätestens dann muss auch der Solidaritätszuschlag weg sein. Wir haben den Ehrgeiz, es sogar noch etwas früher hinzubekommen – in drei Schritten bis zum Ende der nächsten Wahlperiode. Die Abschaffung des Soli ist eine grundsätzliche Frage. Wer soll einer deutschen Regierung noch vertrauen, wenn der Solidaritätszuschlag zu einer dauerhaften Steuer wird? Helmut Kohl hat klar gesagt, dass es sich um eine zeitlich befristete Ergänzungsabgabe zur Finanzierung der deutschen Einheit handelt. Ich gehe davon aus, dass dieses Wort gilt. 

Frage: Sie erwarten, dass Merkel ihre Meinung ändert. 

BRÜDERLE: Viel hängt von den Koalitionsverhandlungen ab. Je besser die FDP bei der Bundestagswahl abschneidet, desto größer wird unsere Verhandlungsmacht. Ich erinnere daran: Gegen die Abschaffung der Praxisgebühr und die Aussetzung der Wehrpflicht hat sich die Union auch erst gesperrt. Bei der Ablehnung der Staatshilfen für Opel hat sich die FDP auch durchgesetzt. 

Frage: CSU-Chef Seehofer hat die Einführung einer Pkw-Maut zur Koalitionsbedingung erhoben. Hat das Ende des Soli für Sie einen ähnlichen Stellenwert? 

BRÜDERLE: Ich schätze Horst Seehofer sehr. Ich bin nicht Horst Seehofer und Horst Seehofer ist nicht Rainer Brüderle. Seine politische Flexibilität überrascht manchmal sogar seine eigenen Leute. Ich bewundere ihn, wie schnell er die Kurve kriegt. Mein Stil nach 40 Jahren in der Politik ist ein bisschen anders. 

Frage: Sie könnten die Union mit einem Finanzierungsvorschlag ködern... 

BRÜDERLE: Die Steuereinnahmen werden weiter steigen – bald sind es 700 Milliarden. Wir schaffen Entlastung aus dem Potenzial der Mehreinnahmen. Aber ich will Wolfgang Schäuble mit seinen vielen tausend Beamten nicht vorgreifen. Ich gehe davon aus, dass der Finanzminister gute Vorschläge macht, wie sich das Ende des Solidaritätszuschlags finanzieren lässt. 

Frage: Sie überlassen Schäuble die Arbeit? 

BRÜDERLE: Der Finanzminister ist zuständig für die Ordnung der Finanzen. Eine Abschaffung des Soli lässt sich in jedem Fall finanzieren. 

Frage: Sie könnten das Betreuungsgeld wieder abschaffen. Das Interesse hält sich ohnehin in Grenzen... 

BRÜDERLE: Die FDP hat sich an Absprachen gehalten wie die Union bei der Abschaffung der Praxisgebühr auch. 

Frage: Sind Sie entschlossen, den Soli notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen?

BRÜDERLE: Ich habe da wenig Neigung. Wir sind gewählt als Politiker, um zu entscheiden. Und nicht, um Entscheidungen an das Verfassungsgericht weiterzureichen. Karlsruhe sollte nur in extremen Ausnahmefällen angerufen werden. 

Frage: Herr Brüderle, Franz Müntefering prägte den Satz, Opposition sei Mist. Sie scheinen davon nicht so überzeugt zu sein... 

BRÜDERLE: Opposition ist wichtig. Aber in Regierungsverantwortung zu gestalten macht mehr Freude. 

Frage: Eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen ist wirklich ausgeschlossen? 

BRÜDERLE: Definitiv. Eine Ampel würde nicht funktionieren. In Rheinland-Pfalz haben wir mit der SPD 15 Jahre erfolgreich regiert. Im Bund haben wir andere Aufgabenstellungen, und inhaltlich passt es hinten und vorne nicht. Rot und Grün überbieten sich gegenseitig mit Steuererhöhungen. Die Grünen lechzen geradezu danach, aus Deutschland eine Verbotsrepublik zu machen. 

Frage: Lieber schauen Sie zu, wie SPD und Grüne mit der Linkspartei zusammengehen? 

BRÜDERLE: Wir sagen dem Wähler heute, wie groß die Gefahr von Rot-Rot-Grün ist. Gysi hat sich ja jetzt im Fernsehen fröhlich angeboten. Ich kämpfe bis zum Wahltag, damit die linken Parteien keine Mehrheit bekommen. 

Frage: Es gibt in der FDP den Wunsch, eine Ampel formell auf einem Sonderparteitag auszuschließen. 

BRÜDERLE: Wir haben eine Woche vor der Bundestagswahl die bayerische Landtagswahl. Da ist es schwierig, noch einen Parteitag unterzubringen. Momentan planen wir dazu, am 12. September in Mainz einen Wahlkonvent. Dort wird es eine klare Aussage gegen die Ampel geben. 

Frage: Die Union schließt gar nichts aus – weder ein Bündnis mit der SPD noch mit den Grünen... 

BRÜDERLE: Das kann die Union entscheiden, wie sie will. Aber das hat eine Konsequenz: Wer keine Steuererhöhungen will, hat nur eine Möglichkeit: FDP wählen. Nachdem SPD und Grüne sich so in dieses Thema reinverbissen haben, würde es mit einer Großen Koalition wie auch mit Schwarz-Grün deutliche Steuererhöhungen geben. Jede Wette! 

Frage: Ihr Einsatz? 

BRÜDERLE: Der läge hoch. Aber Schwarz-Gelb wird diese Wahl gewinnen, deshalb wird es zu Steuererhöhungen nicht kommen. 

Frage: Herr Brüderle, verschicken Sie noch sorglos Mails und SMS? 

BRÜDERLE: Ich bin schon erschrocken, als die Enthüllungen in der Abhör-Affäre kamen. Aber ich habe mein Kommunikationsverhalten nicht verändert. Ich kaufe auch noch im Internet ein. Aber ich will das nicht verharmlosen. Europa muss sich rüsten und eine Art „Schengen-Raum für Datensicherheit" gründen. 

Frage: Soll heißen? 

BRÜDERLE: Europäische Länder, die effektiveren Datenschutz wollen, sollen sich dabei zusammenschließen. Zum einen können sie sich auf schärfere Regeln verständigen – über die internationalen Abkommen hinaus, die bereits im Gespräch sind. Denkbar ist dabei, dass diese Staaten ihre Anstrengungen bündeln, um eigene Fähigkeiten in der Sicherheitstechnologie zu entwickeln. Ich denke an eine Euro-Cloud, eine Computergemeinschaft mit Servern in Europa. Es ist nicht gut, wenn wir gezwungen sind, auf amerikanische Ressourcen zurückzugreifen. Wir müssen sicher sein, dass nichts abgezapft wird. Wir brauchen dazu europäische Firmen, die mit Apple, Google oder Microsoft mithalten können. Einige Hoffnung ruht dabei auf dem deutschen Softwareentwickler SAP. Auch soziale Netzwerke sollte man europäisch gestalten können... 

Frage: ... ein europäisches Facebook? 

BRÜDERLE: Wir müssen uns jedenfalls von den Vereinigten Staaten unabhängiger machen. Auch im Flugzeugbau und in der Rüstungsindustrie ist uns das relativ gutgelungen. 

Frage: Gehören Sie zu jenen, die den früheren US-Agenten Edward Snowden - den Informanten in der Prism-Affäre - für einen Helden halten? 

BRÜDERLE: Ich weiß nicht. Was ich zum Teil von Seiten der Opposition zu Snowden höre, ist sehr populistisch. Die Folge seines Tuns ist eine Debatte, die außerordentlich wichtig ist. Ich habe aber gemischte Gefühle, weil er Zuflucht erst in China und dann in Russland gesucht hat. Beide Länder sind nicht gerade für Weltoffenheit und Rechtstaatlichkeit bekannt. Als Snowden sich entschlossen hat, für den amerikanischen Geheimdienst NSA zu arbeiten, wird ihm bewusst gewesen sein, dass es sich nicht um eine normale Behörde handelt. 

Frage: Wie glaubwürdig ist es, wenn ein deutscher Geheimdienstkoordinator behauptet, er habe von dem Spähprogramm eines befreundeten Geheimdienstes nichts gewusst? 

BRÜDERLE: Ich habe eine hohe Meinung von Ronald Pofalla und arbeite seit Jahren gut mit ihm zusammen. Ich nehme ihm das ab. 

Frage: Herr Brüderle, was typisch deutsch ist, haben wir erörtert. Was halten Sie für typisch amerikanisch? 

BRÜDERLE: Ich bin mit meiner Frau oft in Florida. Man begegnet dort auch skurrilen Typen und bigotten Verhaltensweisen, aber es gibt unheimlich viel Offenheit und Herzlichkeit. Insgesamt ist Amerika ein sympathisches Land. Ich bin gerne dort, fliege aber auch gerne wieder nach Deutschland zurück. 

Frage: Was kennzeichnet Frankreich? 

BRÜDERLE: Ich bin in Landau kurz vor der französischen Grenze aufgewachsen, war Austauschschüler in Lyon. Meine erste Freundin war eine Französin, daher konnte ich die französische Sprache anfangs besser als die englische. Ich mag den Lebensstil, das Essen, den Wein. In Frankreich fühle ich mich relativ zu Hause. 

Frage: Haben Sie ein Bild von Indien? 

BRÜDERLE: Ich war in meinen Leben oft in China, aber in Indien war ich einmal als Minister. Typisches erlebt man auf solchen Reisen nicht. Beeindruckt hat mich die indische Elite im IT-Bereich.

Frage: Sie sind 68. Reizt Sie – wenn ihre politische Laufbahn einmal zu Ende ist – eine Weltreise? 

BRÜDERLE: Mein Vater hat bis 86 gearbeitet. Was weiß ich, was ich in zwanzig Jahren mache. Aber ich war immer neugierig und wollte unterwegs sein. Meine Eltern waren kleine Einzelhändler, die hatten es nicht so dicke. Die sind zum ersten Mal in Urlaub gefahren, als ich schon studiert habe. Aber sie haben mich auf Reisen geschickt: Frankreich, England, Norwegen. Eine Weltreise kann ich mir gut vorstellen, aber ich möchte nicht monatelang unterwegs sein. Meine Wurzeln sind in Mainz, hier bin ich zu Hause. Ich könnte mir vorstellen, irgendwann an die Hochschule zurückzugehen, wenn ich älter bin. Ich war früher ja wissenschaftlicher Assistent und wollte Hochschullehrer werden. Eine Tätigkeit als Gastdozent – das würde mich vielleicht mal reizen. In politischer Ökonomie, für einen Euro. Geld möchte ich damit nicht verdienen.

BRÜDERLE-Interview mit der „Welt am Sonntag“

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