24.02.2013FDP-Fraktion

BRÜDERLE-Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag

BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem Tagesspiegel am Sonntag das folgende Interview. Die Fragen stellten Sabine BEIKLER und Christian TRETBAR:

​Frage: Herr Brüderle, beim Politischen Aschermittwoch wurde Ihnen ein herzlicher Empfang bereitet. Haben Sie sich im Land der Dirndl und Denker wohl gefühlt?

BRÜDERLE: Ich fühle mich in Bayern immer wohl, weil die Bayern eine ähnliche Mentalität haben wie wir in Rheinland-Pfalz. Man isst was Vernünftiges und ist gesellig. So ist das im Süden. Aber auch wenn ich dort zu Hause bin, fühle ich mich auch hier in Berlin sehr wohl.

Frage: Wie viel Lockerheit verträgt Politik denn - auch angesichts der Debatte um Stefan Raab als möglichen Moderator für das Kanzler-Duell?

BRÜDERLE: Ich bin der Meinung, dass die Sender entscheiden, wer moderiert. Und wir Politiker entscheiden, was wir antworten. Die Moderatorenfrage finde ich angesichts der aktuellen politischen Weichenstellungen in Deutschland und Europa eher nebensächlich.

Frage: Würden Sie sich in eine Talkshow mit dem Moderator Stefan Raab setzen?

BRÜDERLE: Wenn es eine ernsthafte Diskussion ist, hätte ich damit kein Problem.

Frage: Auf dem FDP-Wahlparteitag Anfang März werden Sie zum Spitzenkandidaten gekürt. Wollen Sie das wirklich?

BRÜDERLE: Ich bin sehr motiviert und freue mich auf den Wahlkampf. Wir haben eine gute Team-Lösung gefunden und kämpfen gemeinsam für gute Wahlergebnisse. Ich bin seit fast 40 Jahren FDP-Mitglied, war fast 30 Jahre Landesvorsitzender und 16 Jahre stellvertretender Parteivorsitzender. Mir ist wichtig, dass der Liberalismus in Deutschland eine feste gesellschaftliche Komponente ist. Liberalismus hat unser Land in verfassungsrechtlichen, wirtschaftspolitischen und marktpolitischen Aspekten entscheidend geprägt. Kein Land steht besser als Deutschland da. Deshalb ist es notwendig, sich für freiheitliche Politik weiter einzusetzen. Rot-Rot-Grün mit Sperrminorität im Bundesrat wird uns nicht zum Erfolg führen.

Frage: Warum haben Sie nicht zugegriffen, als Philipp Rösler Ihnen den Parteivorsitz angeboten hat?

BRÜDERLE: Ich bin bereits Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und werde als Spitzenmann eines Teams mit Philipp Rösler gemeinsam für die Fortsetzung der erfolgreichen christlich-liberalen Koalition kämpfen.

Frage: Christian Lindner hat sein Comeback auf Bundesebene angekündigt und er will Stellvertretender Vorsitzender werden. Da droht bei drei Plätzen und mindestens vier Kandidaten eine Kampfabstimmung. Unterstützen Sie ihn?

BRÜDERLE: Ja! Wie auch Hans-Dietrich Genscher habe ich ihn aufgefordert, für dieses Amt zu kandidieren. Wir brauchen eine starke Führungsmannschaft und da gehört Christian Lindner dazu. Er hat in Nordrhein-Westfalen einen großen Wahlerfolg für die FDP eingefahren und ist im dortigen Landtag der eigentliche Oppositionsführer. Ich bin sicher, er wird ein starkes Ergebnis bekommen.

Frage: Die FDP hat in NRW, Schleswig-Holstein und Niedersachsen deutlich über 5 Prozent geschafft, nicht zuletzt mit Hilfe von CDU-Zweitstimmen. Die Union is not amused...

BRÜDERLE: Parteien verleihen keine Stimmen, auch die CDU nicht. Deutschland hat aus guten Gründen ein Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimmen. Wenn Bürgerinnen und Bürger von diesem Recht Gebrauch machen, ist das gut und urdemokratisch. Wir haben als liberales Team einen engagierten Wahlkampf gemacht und ein hervorragendes Ergebnis erzielt. Darüber freuen wir uns, auch wenn wir gern mit der Union die erfolgreiche Regierung in Niedersachsen fortgesetzt hätten. Und ich bin sicher, wir werden bei den nächsten Wahlen ähnliche gute Ergebnisse erzielen.

Frage: Dafür müssen Sie ja auch mit ein paar Themen punkten und ihren Koalitionspartner etwas ärgern. Fangen wir mal mit der doppelten Staatsbürgerschaft an. Unterstützen Sie den Vorstoß von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger?

BRÜDERLE: Erst einmal vorweg: Wir regieren mit der Union sehr gut zusammen. Wir sind drei eigenständige Parteien, da ist es normal, dass man einige Fragen auch unterschiedlich beurteilt. In Sachen doppelte Staatsbürgerschaft bin ich dafür, dass wir prüfen, ob zum Beispiel Italiener, die hier leben, sich auch an anderen Wahlen als der Kommunalwahl beteiligen dürfen. Das sollte allerdings auf Gegenseitigkeitsbasis gelten. Die Kinder von türkischstämmigen Einwanderern müssen mit dem 23. Lebensjahr entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie annehmen, wenn die Eltern nicht in Deutschland geboren sind. Leider entscheiden sich viele für die Türkei, wo sie gute Chancen haben, weil dort ein enormes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist. Unser Ziel ist es, diese jungen Menschen in Deutschland zu halten. Deswegen muss das Optionsmodell überprüft werden. Denn wir brauchen hierzulande jeden gut qualifizierten jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt.

Frage: Soll das Optionsmodell komplett abgeschafft werden?

BRÜDERLE: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und ich wollen das Optionsrecht modifizieren und darüber müssen wir in der Koalition reden.

Frage: Am Sonntag fährt Bundeskanzlerin Merkel zum Staatsbesuch in die Türkei. Wäre es nicht auch ein gutes Signal an die Türken, wenn sie bei dem Thema Reformbereitschaft zeigen würde?

BRÜDERLE: Meine Position ist klar, aber es ist nicht meine Art, der Bundeskanzlerin Ratschläge zu erteilen.

Frage: Bundesaußenminister Guido Westerwelle mahnt mehr Tempo bei den EU-Beitritts-Verhandlungen mit der Türkei an. Hat er recht und warum kommt man nicht voran?

BRÜDERLE: Er hat in der Tat Recht, wenn er sagt, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht irgendwann vor der Situation stehen, dass Europa mehr Interesse an der Türkei, als die Türkei Interesse an Europa hat. Die Verhandlungen sind etwas in Stocken geraten. Das Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit dem türkischen Ministerpräsidenten kann der entscheidende Impuls sein, damit wir wieder vorankommen. Wie die Beitrittsverhandlungen letztlich ausgehen, da sind wir ergebnisoffen. Klar ist: Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Partner.

Frage: Kommen wir zum Mindestlohn. Die FDP kann sich nun auch Lohnuntergrenzen vorstellen. Wieso geben Sie die Blockadehaltung jetzt auf?

BRÜDERLE: Wir sind uns in der Koalition einig, dass wir keinen einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn wollen. Das Thema sollte von der Opposition nicht politisch missbraucht werden, das hilft den Menschen nicht. Fakt ist: Wir haben bereits drei Instrumente, um die Lohnstruktur zu ändern: über das Tarifvertragsrecht, das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Diese Regierung hat in den vergangenen Jahren branchenspezifische, regional begrenzte Mindestlöhne eingeführt. Vier Millionen Arbeitnehmer fallen heutzutage unter Mindestlohnregelungen. Wenn nachgewiesen wird, dass es etwa beim Mindestarbeitsbedingungengesetz Reformbedarf gibt, bin ich gesprächsbereit.

Frage: Aber dieses Gesetz hat jede Menge Hürden und ist wenig praktikabel.

BRÜDERLE: Ich möchte nicht die Tarifautonomie abschaffen, denn diese ist zentraler Bestandteil unserer Sozialen Marktwirtschaft. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Man könnte aber zum Beispiel den Hauptausschuss anders besetzen: Dort sollten nicht nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch unabhängige Fachleute sitzen. Die Briten haben etwas Ähnliches und nennen das royal commission. Die Entscheidung eines solchen Gremiums sollte über jeden Einfluss erhaben sein.

Frage: Die neue rot-grüne Regierung in Niedersachsen will das Sitzenbleiben abschaffen. Ist das eigentlich eine gute Idee?

BRÜDERLE: Nein, das scheint mir keine gute Idee. Gleichmacherei wird Kindern nicht gerecht. Es muss auch Anreize für eigene Anstrengungen geben. Wir brauchen gezielte Förderung für die leistungsschwächeren Kinder genauso wie für die leistungsstärkeren.

Frage: Wünschen Sie sich mehr Zugriff des Bundes auf die Länder in der Bildungspolitik?

BRÜDERLE: Nein, denn ich bin für Wettbewerb und für Föderalismus. Ich bin gegen Einheitsschulen, weil es das Einheitskind nicht gibt. Immer dann, wenn Rot-Grün an der Regierung ist, werden Einheitsschulen eingeführt. Das entspricht weder der Kinder- noch der Bildungsrealität. Wir brauchen Pluralität und individuelle Förderung. Unsere Kinder dürfen keine Versuchskaninchen für rot-grüne Bildungsexperimente sein.

Frage: Da sind sie mit der CDU auf einer Linie. Unterschiedliche Vorstellungen gab es dagegen bisher beim Thema Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften. Jetzt gibt es bei der Union-Bewegung. Aber reicht es, nur beim Adoptionsrecht anzusetzen oder sollte Schwarz-Gelb jetzt die Chance nutzen, und einen großen Wurf präsentieren?

BRÜDERLE: Die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist seit langem Programm der Liberalen. Dass unsere Freunde von der Union jetzt gesprächsbereit sind, begrüße ich sehr. Das zeigt: Wir Liberalen sind der Reformmotor für die Union. Wenn jetzt bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften die Gelegenheit da ist, nicht nur schrittchenweise vorzugehen, sondern gleich eine wirkliche Gleichstellung zu erreichen, dann sind wir dabei.

Frage: Sollte man noch in dieser Legislaturperiode bei dem Thema zu konkreten Ergebnissen kommen?

BRÜDERLE: Die Gesellschaft hat sich verändert. Eine moderne, zukunftsgerichtete Koalition wie die christliche-liberale sollte dem Rechnung tragen. Aber das weitere Vorgehen werden wir jetzt erst einmal mit unserem Koalitionspartner besprechen. Wir sind jedenfalls startklar.

Frage: Wird es eine Einigung in Sachen Finanztransaktionssteuer geben?

BRÜDERLE: Die schwarz-gelbe Koalition musste sich mit der Opposition einigen, um die verfassungsgebende Mehrheit für den Fiskalpakt zu bekommen. Dafür haben wir die Finanzmarktsteuer akzeptiert. Es ging um Europa und in einer Demokratie muss man sich verständigen. Wir haben uns aber mit SPD und Grünen geeinigt, dass Kleinsparer durch eine solche Steuer nicht zusätzlich belastet werden dürfen und die Altersvorsorge der Bürgerinnen und Bürger nicht gefährdet wird. Rot-Grün muss zu den Vereinbarungen stehen. Diese gemeinsamen Beschlüsse müssen jetzt umgesetzt werden, erst auf EU-Ebene und dann in Deutschland. Um zusätzliche Belastungen für Sparer zu verhindern, könnte ich mir etwa die Erhöhung des Sparerfreibetrages vorstellen.

154-Brüderle-Interview Tagesspiegel

154-bruderle-interview_tagesspiegel.pdf

Social Media Button