24.07.2012FDP-FraktionEU-Politik

BRÜDERLE-Interview mit dem Südkurier

BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem "Südkurier" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dieter LÖFFLER:

Frage: Herr Brüderle, Sie kommen im Sommer immer wieder an den Bodensee, um auf der Mettnau zu kuren. Was reizt Sie denn an dieser Region?

BRÜDERLE: Es ist das Klima, es ist die Landschaft, es sind die Menschen. Es sind aber auch die Einrichtungen hier auf der Mettnau. Hier kann ich gut auftanken. Bei dem hektischen Betrieb in Berlin muss man darauf achten, dass man einen Ausgleich hat. Das gelingt mir hier mit meiner Frau sehr gut. Außerdem nehmen wir hier ein bisschen ab.

Frage: Ihre Frau ist mit zur Kur?

BRÜDERLE: Ja, sie begleitet mich regelmäßig hierher. Wir sind jetzt zum vierten Mal auf der Mettnau, und es war immer ein voller Erfolg.

Frage: Kommen Sie im Kurbetrieb auch dazu, die Umgebung zu erkunden?

BRÜDERLE: Wir haben ein straffes Programm. Vormittags machen wir unsere Sportübungen, nachmittags geht es zum Schwimmen und zum Fahrradfahren. Bis zum Abend haben wir dann etwas Zeit, uns die Umgebung anzuschauen. Wir gehen zu Fuß nach Radolfzell oder fahren
nach Überlingen und Konstanz, am liebsten mit dem Zug. Mit dem Fahrrad
kenne ich inzwischen auch viele Weg.

Frage: Sie stammen aus der Pfalz. Was fällt Ihnen zu Baden-Württemberg ein? Alles außer Hochdeutsch?

BRÜDERLE: Die charakteristischen Regionen sind eine deutsche Spezialität und Teil der Stärke unseres Landes. Ich bin in der Pfalz aufgewachsen, was man auch hört. Baden-Württemberg ist eines der
erfolgreichsten Bundesländer. Das liegt auch am Menschenschlag. Die Baden-Württemberger sind fleißige Tüftler, dabei aber auch immer offen für Neues. Sie mussten sich in der Geschichte immer etwas erschließen. Das ist die Basis des Erfolgs.

Frage: Im Augenblick sind Bundestag und Bundesregierung vollauf mit der Euro-Rettung beschäftigt. Wozu brauchen wir Europa eigentlich?

BRÜDERLE: Europa ist unsere Zukunft. Zwei Zahlen belegen das. Zwei Drittel des Wirtschaftswachstums in der Welt entfallen heute auf Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Russland. Europa dominiert die Welt nicht mehr. In 25 Jahren werden die USA und die Staaten der
EU weniger als sieben Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Deutschland hat nur im Verbund in Europa die Chance, in der Welt mitzuhalten und unseren Wohlstand zu bewahren.

Frage: Heißt das, aus der EU werden eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa?

BRÜDERLE: Nein. Man kann Europa nicht mit den USA vergleichen. Dafür sind die europäischen Staaten von der Kultur her zu verschieden. Über mehr als 1000 Jahre haben sich unterschiedliche Strukturen entwickelt. Deshalb kann man das Modell der Vereinigten Staaten von Amerika
nicht auf Europa übertragen. Das wird sich anders entwickeln. Aber: Das Zeitfenster, dass sich Europa besser aufstellt, damit wir mithalten können mit der Welt, ist begrenzt. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir innerhalb der EU das Gefälle der Wettbewerbsfähigkeit möglichst bald abbauen.

Frage: Wie geschlossen steht die FDP-Fraktion hinter der Europa-Politik der Bundesregierung? Sie haben ja auch Euro-Skeptiker wie Frank Schäffler in Ihren Reihen.

BRÜDERLE: Im Gegensatz zu anderen Parteien haben wir unsere Mitglieder befragt und letztes Jahr einen Mitgliederentscheid durchgeführt. Die Partei hat sich nach breiten Debatten und unzähligen Veranstaltungen mit einer klaren Mehrheit entschieden, diesen Kurs mitzutragen. Ich finde das vorbildlich. Keine andere Partei hat eine so breite Legitimation.

Frage: Wo sehen Sie die Grenzen der Euro-Rettung? Wo sagen Sie: Bis hierher und nicht weiter?

BRÜDERLE: Leistung ohne Gegenleistung gibt es mit der FDP nicht. Das ist die Grenze. In einer Gemeinschaft gibt es Solidarität, aber sie ist keine Einbahnstraße. Wer Solidarität empfängt, hat die Verpflichtung, alles ihm Mögliche zu tun, um die Ursachen seiner Misere zu beseitigen. Es kann
nicht angehen, dass Griechenland, nachdem es seine Verträge nicht erfüllt
hat, jetzt noch einmal zwei Jahre Zeit fordert, um seine Zusagen einzuhalten. Wir können ihnen höchstens einige Wochen Aufschub gewähren.

Frage: Bevor Sie in den Fraktionsvorsitz wechselten, waren Sie lange Bundeswirtschaftsminister. Trauern Sie dem Amt gelegentlich nach?

BRÜDERLE: Ich war sehr gerne Bundeswirtschaftsminister und widme mich jetzt mit ganzer Kraft dem Fraktionsvorsitz. Politik ist jedoch kein Wunschkonzert. Die FDP musste sich neu sortieren und ich habe meinen Beitrag dazu geleistet. In einer parlamentarischen Demokratie ist jedes Amt eine Funktion auf Zeit. Das hat man zu akzeptieren. Meine neue Aufgabe macht mir Spaß. Hier bin ich eher der Libero und muss manchmal reingrätschen.

Frage: Viele fragen sich: Warum ist Rainer Brüderle nicht FDP-Chef?

BRÜDERLE: Weil wir Philipp Rösler als Parteivorsitzenden haben und er meine volle Unterstützung hat.

Frage: Sie sagten einmal: Ich halte nichts vom Säusel-Liberalismus. Für welchen Liberalismus stehen Sie denn?

BRÜDERLE: Ich bin für Klartext. Gerade in unruhigen Zeiten muss man den Menschen klare Linien aufzeigen und deutlich machen, wofür eine Partei steht. Ich will keinen harten Liberalismus, aber ich will einen klaren Liberalismus. Liberalismus ist eine Grundüberzeugung: Im Zweifel immer für die Freiheit.

Frage: Was bedeutet das konkret?

BRÜDERLE: Wir stehen für Soziale Marktwirtschaft, Bildungspolitik und Bürgerrechte. Das sind die Brot- und Butter-Themen der FDP. Konservative Parteien setzen auf das Bewahren, Sozialdemokraten und Linke auf das Umverteilen, die Grünen machen zu oft "Wünsch-Dir-Was"-Politik. Die Liberalen kommen aus dem freiheitlichen Ansatz. Bevor wir nach dem Staat rufen, fragen wir: Was kann ich selbst tun, um eigenverantwortlich meine Probleme zu lösen?

Frage: Ihre Gegner wenden an dieser Stelle ein, die FDP sei nicht sozial genug.

BRÜDERLE: Das sehe ich anders. Nur zwei Beispiele: Wir haben etwa das Kindergeld erhöht oder dafür gesorgt, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien ihr Gehalt aus dem Ferienjob behalten dürfen. Dafür hatten die Sozialdemokraten keine Kraft. Sie wollen sich auch nicht mehr daran erinnern, dass sie es waren, die die Finanzmärkte entfesselt haben. Die meisten Deregulierungen sind in rot-grüner Zeit erfolgt. Die haben Hedgefonds und Derivate zugelassen. Erst den Drachen füttern und dann Siegfried spielen, ist nicht redlich.

Frage: Herr Brüderle, andere sind in Ihrem Alter längst im Ruhestand. Sie starten mit 67 noch einmal durch. Warum tun Sie sich das an?

BRÜDERLE: Weil es mir Spaß macht. Außerdem liegt es bei mir in der Familie. Mein Vater hat als kleiner Einzelhändler bis 86 voll gearbeitet. Solange mich die Leute wählen, mache ich weiter. Auf jeden Fall werde
ich wieder für den Bundestag kandidieren. Ich bin im Wahlkreis schon aufgestellt.

Frage: Gerade in der FDP-Spitze gibt es auffallend viele jüngere Leute, Rösler, Bahr, Lindner. Wie kommen Sie mit denen zurecht?

BRÜDERLE: Das Zusammenwirken von erfahrenem Mittelalter - so würde ich mich einstufen - und Jüngeren ergibt eine gute Mischung. Das ist ganz gut so, das ermöglicht eine umfassende Sicht auf viele Debatten. Ich glaube, ich liege mittig richtig.

Frage: Braucht unsere Gesellschaft einen anderen Blick aufs Alter?

BRÜDERLE: Das wandelt sich gerade. Der Jugendwahn ist nicht mehr so ausgeprägt, das sehen Sie an den Betrieben. Früher war es mit Mitte 50 bereits schwer, im Job zu bleiben. Heute werden in der Wirtschaft erfahrene Mitarbeiter gebraucht und gesucht. Gerade der Mittelstand bemüht sich, erfahrene Mitarbeiter länger zu halten. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken.

Frage: Sie haben Ihr Leben ganz in den Dienst der Politik gestellt. Können Sie auch mal abschalten?

BRÜDERLE: Ja. Sonst hätte ich auch nicht durchgehalten. Ich kann mich relativ leicht regenerieren.

Frage: Wo schalten Sie ab?

BRÜDERLE: Das kann überall sein, zu Hause, im Zug oder im Flugzeug. Ich bin auch kein Mensch, der die Dinge in sich reinfrisst, das führt nur zu Magengeschwüren. Konflikte müssen auch mal offen angesprochen und dann gelöst werden. Das ist meine Art damit umzugehen. Ich schimpfe auch mal.

Frage: Ihnen eilt der Ruf voraus, ein eher barocker Typ zu sein. Würden Sie zustimmen?

BRÜDERLE: Ja, ich esse gerne, ich trinke gerne ein Glas Wein, ich lebe gerne.

Frage: Ohne Reue?

BRÜDERLE: Früher habe ich größere Portionen gegessen. Ich hatte mal
mehr als 110 Kilogramm. Jetzt kämpfe ich zwischen 80 und 85. Nach meinem Urlaub am Bodensee hoffe ich, darunter zu liegen. Daher komme ich gerne hierher, denn es tut mir gut.

Frage: Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu den Menschen außerhalb der Politik?

BRÜDERLE: Jeder Politiker braucht einen intakten Freundeskreis, mit dem man ehrlich reden kann. Sonst läuft man Gefahr, dass man die Sensoren verliert. Ich habe gute Freunde und zum Beispiel immer noch Kontakt zu
meinen Schulkameraden. Ich gehe auch regelmäßig zu Klassentreffen.

Frage: Und wo sehen Sie die Grenze zwischen Volksverbundenheit und Populismus?

BRÜDERLE: Es gibt den alten Satz: Der Politiker denkt an die nächsten Wahlen, der Staatsmann an die nächste Generation. Die Messlatte ist die eigene Überzeugung. Politiker müssen sich fragen lassen, ob sie das Richtige tun, selbst wenn sie daraufhin nicht gewählt werden. Die eigene Grundüberzeugung muss wichtiger sein als der aktuelle Beifall.

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