11.12.2012FDP

BRÜDERLE-Interview für "liberal"

Berlin. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Präsidiumsmitglied RAINER BRÜDERLE gab dem Debattenmagazin "liberal" (Ausgabe 1-2013) das folgende Interview. Die Fragen stellte DAVID HARNISCH:

Frage: Herr Brüderle, die FDP steht vor einem entscheidenden Wahljahr. Sie hat nach der letzten Wahl und Regierungsbildung einen großen Vertrauensverlust erlitten. Sie hat ihn bisher nicht ausreichend wettmachen können. Was muss geschehen?

BRÜDERLE: Deutschland steht gut da. Dieser Erfolg muss durch einen klaren politischen Kurs und durch eine effektivere Regierungsarbeit noch stärker mit der christlich-liberalen Koalition verbunden werden. Dann hat auch die FDP sehr gute Chancen.

Frage: Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

BRÜDERLE: Wir müssen den Menschen deutlich machen, was sie an dieser Koalition haben und was ihnen bei Rot-Grün droht. Die christlich-liberale Koalition steht für stabiles Wachstum, stabiles Geld und stabile Haushalte. Rot-Grün steht für höhere Steuern, mehr Schulden und für eine europaweite Haftung des deutschen Steuerzahlers. Deshalb hat die bürgerliche Koalition aus CDU/CSU und FDP 2013 eine gute Siegeschance. Mit einer starken FDP gibt es keine Mehrheit für eine rot-grüne Koalition. Wir sollten sie auch nicht durch Ampeldiskussionen befördern, damit würden wir Herrn Steinbrück die Arbeit nur erleichtern und uns selbst schwächen.

Frage: Mit welchem Szenario rechnen Sie machtpolitisch nach der Wahl 2013?

BRÜDERLE: Ich rechne mit der CDU/CSU als stärkster Partei. Angela Merkel wird nicht zu überholen sein. Auf die FDP wird es ankommen. Ich setze auf ein gutes Ergebnis für die FDP und auf die Fortsetzung unserer erfolgreichen Arbeit mit der Union.

Frage: Wenn Sie Rot-Grün eine Mehrheit nicht zutrauen und eine Mehrheit von CDU/CSU und FDP für möglich halten, muss aber auch mit der Möglichkeit einer großen Koalition gerechnet werden?

BRÜDERLE: Für eine solche Konstellation gibt es immer eine gewisse Zustimmung, weil manche sich von möglichst großen Mehrheiten eine Entlastung hinsichtlich der eigenen politischen Verantwortung wünschen. Es gibt aber auch immer ein ausreichendes Potential, das die weitere Sozialdemokratisierung der CDU/CSU für falsch hält. Das Abschneiden der FDP wird maßgeblich darüber entscheiden, welche Konstellation am Ende die Oberhand gewinnt, und ich bin davon überzeugt, dass es die gegenwärtige Koalition sein wird.

Frage: Unverhofft kommt oft, hat neulich die Stiftung Wissenschaft und Politik in einer ihrer Ausarbeitungen angesichts der europäischen Turbulenzen geschrieben. Wie soll nach Ihrer Meinung liberale Politik mit Blick auf rasche Veränderungen und immer wieder neuen Herausforderungen aussehen?

BRÜDERLE: Liberale Politik muss täglich überprüfen, welche Überzeugungen oder politischen Vorstellungen in der Realität bestehen. Nichts ist schlimmer als Realitätsverlust durch eine Programmatik, die angesichts des Wandels der Verhältnisse als Schnee von gestern angesehen wird. Deshalb muss man noch lange keine Überzeugungen preisgeben, aber man muss - etwa aus der Finanzmarktkrise - lernen, dass nichts an einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte vorbei führt. Ordnungspolitische Prinzipien müssen aktiviert werden, um einen Wettbewerbsrahmen fairer Spielregeln zu gestalten. Es darf für Liberale kein Tabu sein, und es ist auch kein Tabu ihrer eigenen ordnungspolitischen Vorstellungen, zu entscheiden, welche Art von Geschäften zugelassen werden sollen, welche unter strenge Regulierung kommen müssen und welche ganz vom Markt verschwinden sollen.

Frage: Das hat man in dieser Deutlichkeit aber so nie aus den Reihen der FDP gehört?

BRÜDERLE: Das hat man sehr wohl gehört. Ich selbst habe es mehrmals deutlich gesagt und im Übrigen darauf hingewiesen, dass das, was jetzt wieder rereguliert werden muss, nicht von der FDP, sondern von Rot-Grün in die Welt gesetzt worden ist. Persönliche Verantwortung und persönliche Haftung waren für uns immer wichtig, weil wir der Überzeugung sind, dass jemand der persönlich haftet, den Markt viel sorgfältiger beobachtet und nicht zu Husarenritten neigt, anders als derjenige, der negative Konsequenzen nicht am eigenen Leibe spürt. Viele Menschen scheinen ein völlig falsches Bild von liberaler Politik zu haben. Und natürlich werden sie noch durch politische Konkurrenten in ihrer Meinung bestärkt, die aus Gründen ihrer eigenen Wählerbewirtschaftung die FDP so darstellen, wie sie gar nicht ist.

Frage: Das klingt aber eher nach Vorwurf an die Anderen, als nach Selbstbesinnung über ein eigenes Profil?

BRÜDERLE: Nein, es ist nur ein Hinweis auf Mechanismen des politischen Wettbewerbs, die beachtet werden müssen. Richtig ist, dass die FDP sich auf die eigene Markenpflege konzentrieren muss und ihr eigenes Werteprofil deutlich macht. Freiheit war und ist für uns nie die Freiheit eines hedonistischen Individuums. Menschen sind soziale Wesen, sie können die Welt nicht kultivieren ohne die Anderen, so schreibt es schon Ralf Dahrendorf. Sie müssen sich die Ressourcen erschließen können, so schreibt mein Freund Wolfgang Gerhardt, die sie für ein selbstbestimmtes Leben brauchen. Politik muss deshalb aktiv um Chancengerechtigkeit bemüht sein, ohne zugleich eine egalitäre Gleichheitsvorstellung zum Maßstab zu machen.

Frage: Angesichts der Meinungsumfragen, die ja auch die FDP nun seit Beginn der Legislaturperiode kennt und die auf der Bundesebene nach den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen keinen zusätzlichen Schub erhalten haben, ist, wenn man auf 2013 blickt, kein Tag mehr zu verlieren.

BRÜDERLE: Ja das ist so, deshalb blicke ich ja nicht nur dauernd in den Rückspiegel, sondern auch stärker durch die Frontscheibe, um voran zu kommen. Wir brauchen zweifellos ein starkes Gewicht in der Regierung selbst, und wir müssen als Bundestagsfraktion der FDP, weil man nicht jeden Tag einen Parteitag einberufen kann oder einen Schwarm herbeirufen will, persönlich und nicht anonym zu den maßgeblichen Fragen Stellung beziehen. Meinungsbildungsprozesse brauchen ihre Zeit, aber am Ende müssen alle rechtzeitig wissen, wie wir denken. Meinungen, auch öffentliche Meinungen rennen manchmal wie Hammelherden von der einen in die andere Ecke. Ein Beispiel: Zu Beginn der Legislaturperiode wurde unseren steuerpolitischen Vorstellungen in der Öffentlichkeit mit dem Hinweis auf die notwendige Konsolidierung der Haushalte eine weitgehende Absage erteilt. Wir konnten uns mit unserem Argument, dass Steuersenkungen am Ende sogar zu Mehreinnahmen führen könnten, nicht durchsetzen. Heute vertreten große Teile öffentlicher und veröffentlichter Meinungen statt Haushaltskonsolidierung wieder eine vermehrte Ausgabenpolitik. Wenn wir uns dagegen aussprechen und Haushaltskonsolidierung in den Vordergrund stellen, werden wir eher zum Feind der Menschen erklärt, weil wir nicht jede Bedürfnisentdeckung mit Geld alleine glauben, beheben zu können.

Frage: Die europäische Politik steht vor großen Herausforderungen. Sie ist gleichsam das Megathema in unserer Zeit. Wie muss man sie erklären, wie das der Bundespräsident von der Bundeskanzlerin erwartet?

BRÜDERLE: Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass Europa und in diesem Fall die Europäische Union nach zwei großen Katastrophen zum Frieden zurück gefunden hat. Es ist heute die Chance für die Selbstbehauptung in einer globalisierten Welt. Deutschland braucht wie kaum ein anderes Land Europa und die transatlantische Partnerschaft. Wir haben große Verantwortung, wir sollten uns dabei aber nicht größer machen als wir sind und auch nicht kleiner. Wir sollten bei uns selbst und die Anderen sollten bei sich selbst die ureigensten Angelegenheiten in Ordnung bringen. Das wäre im Übrigen die umfassendste Solidarität, in der sich die EU-Mitgliedsstaaten gegenseitig üben sollten.

Frage: Können das alle, sind nicht einige wirklich zu schwach, um alleine wieder auf die Beine zu kommen?

BRÜDERLE: Es muss kein Land reich sein, um dabei zu sein. Wichtig sind solide Haushalte, eine gesunde Leistungsbilanz und im Übrigen auch eine geordnete Verwaltung. Damit kann niemand überfordert sein. Es geht auch nicht nur ums Sparen. Dem Fiskalpakt muss auch kein Wachstumsfaktor hinzugefügt werden. Es gibt ihn längst. Es geht um umfassende Strukturreformen, sie sind das Wachstumsinstrument das gebraucht wird. Nur über sie werden die gegenwärtigen Problemländer wieder wettbewerbsfähig. Nur wenn das Kernproblem der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit angegangen wird, machen ESM, Fiskalpakt und EZB-Engagement Sinn.

Frage: Es gibt unterschiedliche Prognosen und unterschiedliche Vorschläge von Sachverständigen, wie man aus der kritischen Situation heraus kommen könnte. Kann es überhaupt gelingen?

BRÜDERLE: Es gibt eben nicht den einen Experten, der uns sagen könnte, wie man alles richtig macht. Wer heute die Zeitungen aufschlägt, findet mindestens sechs bis sieben Meinungen von klugen Menschen, was zu tun wäre. Es führt kein Weg daran vorbei, dass der Deutsche Bundestag am Ende darüber entscheidet, wie wir anderen helfen können. Die FDP hat an ihrer Hilfsbereitschaft nie Zweifel aufkommen lassen, sie hat allerdings völlig zu Recht Hilfe auch an Anstrengungen zur Selbsthilfe gekoppelt und Spielregeln verlangt, an die sich alle zu halten haben. Wir wären, was die Spielregeln betrifft, im Übrigen anderen gegenüber in einer viel besseren Situation, wenn Deutschland unter Rot-Grün nicht selbst das Defizitkriterium verletzt hätte.

Frage: Nicht nur bei den Herausforderungen für Europa und speziell die Eurozone ist Deutschland internationale Verantwortung zugewachsen. Man erwartet viel, vielleicht zu viel?

BRÜDERLE: Politisches Gewicht muss man mit gemeinschaftsverträglichen Initiativen verbinden, dabei dürfen aber einfache wirtschaftliche Grunderkenntnisse nicht außer Kraft gesetzt werden. Überall dort, wo man meinte, Marktwirtschaft überwinden zu können oder guten Glaubens war, andere Wege seien besser, sind Gesellschaften an die Wand gefahren worden. Es wäre deshalb auch in Europa gut, wenn sich das noch einmal alle vergegenwärtigen würden. Deutschland kann im Übrigen gewachsene Verantwortung nur in Gemeinschaft mit anderen ausüben. Wie gesagt: Es braucht so dringend wie kein anderes Land die Europäische Union und das Transatlantische Bündnis. Es hat bisher alle europäischen Verträge und Vereinbarungen ratifiziert. Ich sage das ganz bewusst, auch im Hinblick auf die internationale Verantwortung, die meine Partei in der Nachkriegspolitik mit großem Mut wahrgenommen hat. Renationalisierung ist keine Zukunft. Es geht nur in gemeinsamer Verlässlichkeit bei der Beachtung von Spielregeln.

Frage: In den ganzen Turbulenzen noch die Übersicht zu behalten, ist keine leichte Aufgabe. Kommen Politik und Gesellschaft nicht an die Grenzen des Tempos und der Begreifbarkeit?

BRÜDERLE: Die Welt war noch nie einfach, und Liberale sollten sich nicht dafür entschuldigen, dass sie keine scheinbaren Patentrezepte anbieten. Eine Partei der Vernunft muss Verführungen des Einfachen widerstehen. Das gilt auch für die Herausforderung an die traditionelle deutsche Stabilitäts- und liberale Ordnungspolitik angesichts schmerzhafter europäischer Anpassungsprozesse. Europa ist noch auf dem Weg, es ist noch nicht da, wo es sein will und sein sollte. Im Übergang handlungsfähig zu bleiben und eine überzeugende Begründung für europäisches Handeln zu vermitteln und Spielregeln wieder zur Geltung zu bringen, ist die Aufgabe unserer Zeit. Niemand hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wir sind nicht alleine auf der Welt und müssen wissen, was auf dem Spiel steht. Alles andere wäre fahrlässig.

Frage: Man spürt, dass Sie die Bundestagsfraktion der FDP gerne führen. Vorher hatten Sie im Amt des Bundeswirtschaftsministers reüssiert. Sie verkörpern für viele in der FDP eine Art Anker der Zuverlässigkeit. Wie würden Sie Ihre Aufgabe beschreiben?

BRÜDERLE: Die Aufgabe als Fraktionsvorsitzender macht mir Freude, und wenn die Menschen das spüren, dann ist Ihre Einschätzung richtig. Ich betrachte meine Aufgabe als sehr verantwortungsvoll: für den Zusammenhalt und für das Gewicht der Fraktion in der Partei, für die Durchsetzung unserer Ziele im Regierungshandeln, für unsere Identität als liberale Partei in Deutschland.

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