BRÜDERLE-Interview für die Welt am Sonntag
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab der WELT am Sonntag (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Jochen Gaugele, Thorsten Jungholt und Claus Christian Malzahn:Frage: Herr Brüderle, Guido Westerwelle ist für die FDP einmal als Kanzlerkandidat angetreten, Sie nennen sich jetzt Spitzenmann. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Bewerbungen?BRÜDERLE: Das war damals in einer sehr euphorischen Phase. Wir werden das nicht wiederholen. Aber wir werden alle gemeinsam mit ganzer Kraft für den Erfolg kämpfen.Frage: Westerwelles Wahlziel waren 18 Prozent. Die FDP ist bescheiden geworden, obwohl sie dem einstigen Ziel bei der vergangenen Bundestagswahl sehr nahe gekommen ist...BRÜDERLE: Wir wollen Deutschland auf Erfolgskurs halten und werben um eine Bestätigung unserer Politik. Wir gehen selbstbewusst in die Bundestagswahl. Ich nenne keine Prozentzahl, aber ich bin mir sicher, dass wir ein sehr gutes Ergebnis erreichen werden und die christlich-liberale Koalition fortsetzen können. Entscheidend werden die letzten 14 Tage vor der Wahl sein. Da werden wir noch eine Schippe drauflegen.Frage: Nachdem Peer Steinbrück sich zur Kanzlerkandidatur der SPD durchgerungen hatte, wurde der Familienrat einberufen. Frau und Töchter waren nicht amüsiert. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?BRÜDERLE: Meine Frau und ich sind seit 40 Jahren zusammen und seit 32 Jahren verheiratet. Wir führen eine klassisch liberale Ehe, in der jeder den anderen in seinen beruflichen Entscheidungen unterstützt. Natürlich würden wir beide gern noch mehr gemeinsame Zeit miteinander verbringen. Aber meine Frau ist auch Mitglied der FDP und weiß genau, mit welcher Leidenschaft ich Politik mache. Daher akzeptiert sie meine Entscheidung und steht zu 100 Prozent hinter dieser Spitzenkandidatur. Meine Frau ist eine überzeugte Mitkämpferin.Frage: Ärgern Sie sich in stillen Momenten, dass Sie nicht zugegriffen haben, als Philipp Rösler Ihnen den FDP-Vorsitz angeboten hat?BRÜDERLE: Ich bin bereits Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Diese Frage hat sich mir nicht gestellt.Frage: Diesen Eindruck hatten nicht alle.BRÜDERLE: Das kann ich nicht ändern. Aber glauben Sie mir: Ich bin mit Freude Fraktionsvorsitzender und kämpfe jetzt an der Spitze in einem starkem Team mit Philipp Rösler für unseren Erfolg. Frage: Wie halten Sie sich jung und fit für den Wahlkampf?BRÜDERLE: Ich mache seit 30 Jahren jeden Morgen bei offenem Fenster meine Gymnastik mit dem Deuserband – selbst dann, wenn ich nur drei oder vier Stunden geschlafen habe. Das ist ein Gummiband, das der Masseur der Fußball-Nationalmannschaft, Erich Deuser, in den sechziger Jahren entwickelt hat. Früher habe ich öfter Tennis gespielt, aber dafür fehlt mir jetzt die Zeit.Frage: Sie haben etwas abgenommen. Liegt das an der Fastenzeit?BRÜDERLE: Ich faste nicht. Aber ich versuche, mich vernünftig zu ernähren. Frage: Wie sehr haben die vergangenen Wochen, in denen viel über eine Begegnung zwischen Ihnen und einer Journalistin berichtet wurde, an Ihnen gezehrt?BRÜDERLE: Ich will dazu weiter keinen Kommentar abgeben. Frage: Wer war Ihre wichtigste Stütze in dieser Zeit?BRÜDERLE: Meine Frau.Sie ist mein guter Geist und unterstützt mich auch in schwierigen Phasen. Wir unterstützen uns seit 40 Jahren gegenseitig. Frage: Was wird das Gewinnerthema im Wahlkampf der Liberalen? Wieder Steuersenkungen? Oder eher Mindestlöhne?BRÜDERLE: Was in den entscheidenden 14 Tagen vor der Wahl das wichtigste Thema sein wird, lässt sich nicht vorhersagen. Dafür bräuchte man hellseherische Fähigkeiten. Steuergerechtigkeit und die Entlastung der Bürger bleiben aber in jedem Fall auf der Tagesordnung. Ich bin zum Beispiel dafür, den Solidaritätszuschlag nach der Bundestagswahl so schnell wie möglich zurückzufahren und bis 2019, wenn der Solidarpakt ausläuft, ganz abzuschaffen. Der Soli war nie als Dauer-Zuschlag gedacht. Fast 30 Jahre nach seiner Einführung ist es dann Zeit für sein Ende. Ich fand die Bezeichnung Solidaritätszuschlag auch immer irritierend. Er ist nichts anderes als ein Steuerzuschlag, der auch die Menschen in Ostdeutschland belastet. Frage: Gleichzeitig kämpfen Sie für Mindestlöhne und gegen allzu hohe Managergehälter. Eignen sich diese Themen, um die FDP unverwechselbar zu machen?BRÜDERLE: Unsere Haltung hat mit SPD und Grünen nichts zu tun – weder bei den Mindestlöhnen noch bei den Managergehältern. Wir wollen keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Es geht um Lohnuntergrenzen für Bereiche, in denen es keine Tarifbindung gibt. Ich verstehe, dass ein Stundenlohn von 3,40 Euro dem allgemeinen Empfinden nicht entspricht. Über die Untergrenze – differenziert nach Branchen und Regionen - sollte aber weiter nicht der Staat entscheiden. Wir überlegen jetzt, wie wir die vorhandenen Instrumente für die Schaffung von Lohnuntergrenzen verbessern können. Frage: Und die Managergehälter?BRÜDERLE: Dabei orientieren wir uns an der Schweiz – und wollen die Eigentumsrechte stärken. Das ist FDP pur. Es ist die freie Entscheidung der Eigentümer eines Unternehmens, was sie ihren leitenden Angestellten zahlen. Von den Eigentümern ist allerdings zu erwarten, dass sie ein Gespür bewahren, welche Summen öffentlich noch zu vermitteln sind. Manche Entscheidungen kann ich nicht verstehen. Gehaltsexzesseschaden ja auch dem Ansehen der Unternehmen. Die Eigentümer sind aufgefordert, das ethische Fundament der Sozialen Marktwirtschaft im Auge zu behalten. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen. Um die Eigentumsrechte zu stärken, wollen wir gesetzlich vorschreiben, dass die Hauptversammlung eines Unternehmens – und nicht der Aufsichtsrat – einmal im Jahr die Gehaltsstruktur festlegt: Wie hoch soll das Grundgehalt sein, welche Boni sind möglich? Ich freue mich, dass sich die Union in die gleiche Richtung bewegt. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wird als zuständige Justizministerin in Kürze Vorschläge für eine Regelung machen. Frage: Was erwarten Sie sonst noch von der Koalitionsrunde?BRÜDERLE: Es gibt eine ganze Reihe von Themen, bei denen wir vorankommen sollten. Dazu zählt die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften...Frage: ... die Sie mit der Union nicht hinbekommen werden. BRÜDERLE: Es gibt sehr unterschiedliche Signale aus der Union. Die Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft wird kommen – allein durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ich kann CDU und CSU nur raten, sich nicht von Karlsruhe treiben zu lassen, sondern souverän zu entscheiden und die Verzerrung im Steuerrecht so schnell wie möglich zu beseitigen ...Frage: ... indem das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting ersetzt wird?BRÜDERLE: Einen soliden Finanzierungsvorschlag für das Familiensplitting kenne ich nicht. Wir sollten einfach das Ehegattensplitting auf eingetragene Lebenspartnerschaften ausdehnen.Frage: Und wenn sich die Union nicht bewegt?BRÜDERLE: Wir werden im Bundestag jedenfalls nicht mit der Opposition stimmen. Wechselnde Mehrheiten schließen sich in einer Regierungskoalition aus.Frage: Sie könnten den Koalitionszwang aufheben.BRÜDERLE: Das ginge in einer Koalition nur im Einvernehmen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Union die eingetragene Partnerschaft als eine Gewissensentscheidung behandelt.Frage: Einen haben Sie bei diesem Thema sicher nicht auf Ihrer Seite: den neuen Papst ...BRÜDERLE: Der Papst hat kein Stimmrecht im Deutschen Bundestag. (lacht)Frage: Wie politisch soll Kirche sein?BRÜDERLE: Es ist gut, wenn die Kirche ihre Überzeugungen kundtut. Als Liberaler glaube ich, dass eine Vielfalt der Meinungen eine Stärke ist. Frage: Was erwarten Sie von Franziskus?BRÜDERLE: Ich fand die Bescheidenheit seiner ersten Auftritte sehr eindrucksvoll. Ich bin Protestant, und unsere Gotteshäuser sind ja auch von dieser Schlichtheit geprägt. Ich wünsche mir, dass Franziskus die katholische Kirche gut führt. Katholiken und Protestanten tragen gemeinsam Verantwortung für eine friedliche Zukunft. Frage: Ist die FDP eine christliche Partei?BRÜDERLE: Die FDP ist eine liberale Partei. Wir führen das C nicht im Namen, aber die meisten bei uns praktizieren das C aus Überzeugung. Frage: Philipp Rösler ist engagierter Katholik. Tauschen Sie sich manchmal über religiöse Fragen aus?BRÜDERLE: Das haben wir auch schon. Er ist ja etwas später beigetreten, aber aus voller Überzeugung. Er ist Katholik, ich bin Protestant, uns verbindet das gemeinsame Fundament. Beeindruckt bin ich von Luther. Er war ein mutiger, kämpferischer Mönch, der sich gegen den damaligen Papst und die Amtskirche gestellt hat. Das elementare Bild für Liberale ist Luthers Auftritt vor dem Reichstag in Worms: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders." Frage: Gibt es ein politisches Thema, bei dem Sie sich den Luther-Spruch zu Eigen machen?BRÜDERLE: Ein Schlüsselthema ist für mich Geldwertstabilität. Inflation kann eine Gesellschaft zerrütten. Wir müssen alles tun, um Europa in der Krise zusammenzuhalten. Wenn wir in Nationalstaatsdenken zurückfallen, droht den Europäern das Schicksal der alten Griechen: Wir werden Kulturdünger der Welt. Europa hat aber alle Chancen, wenn wir zusammenstehen.