Brüderle-Interview für die Welt am Sonntag
BRÜDERLE-Interview für die WELT am Sonntag
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab der WELT am Sonntag (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jochen GAUGELE:
Frage: Herr Brüderle, wenn Sie von oben auf die Stadt, auf das Regierungsviertel blicken was erkennen Sie?
BRÜDERLE: Berlin ist eine pulsierende europäische Metropole geworden. Das Regierungsviertel wirkt von oben genauso wie von unten imposant. Was mich aus architektonischer Sicht ein bisschen stört, sind die Proportionen von Reichstagsgebäude und Kanzleramt. Wenn man von hier oben so guckt, finde ich das Kanzleramtsgebäude schon recht groß.
Frage: Wie wichtig sind Perspektivwechsel in der Politik?
BRÜDERLE: Ganz wichtig. Wenn man immer den gleichen Blickwinkel hat, sieht man nicht mehr, was man verändern müsste.
Frage: Stellen Sie sich vor, Sie seien in der Opposition. Was würden Sie als größtes Versäumnis der schwarz-gelben Koalition identifizieren?
BRÜDERLE: Union und FDP haben ihre gemeinsamen Erfolge zu wenig nach außen getragen. Deutschland steht sehr viel besser da, als die meisten anderen Länder in Europa.
Frage: Machen Sie Manöverkritik in Partei und Fraktion?
BRÜDERLE: Wir reden immer offen miteinander. Zum Beispiel jeden Freitag von acht bis neun. Da treffen sich der Fraktionsvorstand und die engere Führung der Partei.
Frage: Und jeder darf jeden kritisieren?
BRÜDERLE: Natürlich. Dass man Dinge offen anspricht, gehört sich für eine liberale Partei.
Frage: Sagen Sie Philipp Rösler, was er nicht so gut gemacht hat?
BRÜDERLE: Wir stimmen uns regelmäßig ab, telefonieren viel und treffen uns jeden Donnerstagmorgen zu einem gemeinsamen Frühstück. Da tauschen wir unsere Blickwinkel aus.
Frage: Haben Sie ein Vertrauensverhältnis?
BRÜDERLE: Ja.
Frage: Sie haben den Bürgern spürbare Entlastungen versprochen. In Erinnerung werden vor allem Praxisgebühr und Hotelsteuer bleiben. Verstehen Sie, dass viele FDP-Wähler von Schwarz-Gelb enttäuscht sind?
BRÜDERLE: Wir haben die Menschen gleich zu Beginn der Legislaturperiode um 24 Milliarden Euro entlastet, wir senken die Sozialabgaben erheblich, schaffen die Praxisgebühr ab und reduzieren gleichzeitig die Neuverschuldung deutlich. Deutschland steht nicht ohne Grund gut da. Während andere europäische Länder in die Rezession rutschen, befindet sich Deutschland auf einem stabilen Wachstumspfad. Ich gebe aber zu, dass in den Umfragen von den Erfolgen der Koalition bislang mehr unser Koalitionspartner profitiert als die FDP.
Frage: Sie werden also vor die Wähler treten und sagen: Wir haben unsere Wahlversprechen eingehalten.
BRÜDERLE: Wir werden die Wahlen zu einer klaren Richtungsentscheidung machen: Wollen sie die Fortsetzung der erfolgreichen christlich-liberalen Koalition mit stabilem Wachstum und stabilem Geld und ohne Steuererhöhungen oder wollen sie ein rot-grünes Experiment mit immer mehr Schulden und immer höheren und neuen Steuern. Die rot-grüne Opposition hat ja gerade wieder weitergehende Entlastungen bei der Einkommensteuer im Bundesrat blockiert.
Frage: Für diesen Fall hatten Sie einen Plan B: die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Greift dieser Plan jetzt?
BRÜDERLE: Den Solidaritätszuschlag wollen wir uns in der nächsten Wahlperiode vornehmen - im Rahmen einer größeren Steuervereinfachungsreform.
Frage: Wollen Sie im Bundestagswahlkampf wieder Steuersenkungen versprechen?
BRÜDERLE: Weitere Steuersenkungen im großen Umfang können wir angesichts der Lage in Europa nicht seriös versprechen. Wir wollen im Gegensatz zu Rot-Grün aber keine Steuern erhöhen oder neue Steuern in Milliardenhöhe einführen.
Frage: In den Umfragen liegt die FDP konstant unter fünf Prozent, in den Landesverbänden gibt es Hauen und Stechen um die oberen Listenplätze. Sie werden noch ein Kaninchen aus dem Hut zaubern müssen...
BRÜDERLE: Wir setzen nicht auf Zaubertricks. Wir arbeiten weiter seriös und solide. Damit begegnen wir den Ängsten der Menschen und gewinnen wieder ihr Vertrauen.
Frage: Bedeutet?
BRÜDERLE: Für mich stehen drei Themenblöcke im Vordergrund: Soziale Marktwirtschaft, Bildung und Bürgerrechte. Zur Sozialen Marktwirtschaft gehört ganz zentral die Geldwertstabilität. Wenn das Geld schlecht wird, wird alles schlecht. Die FDP ist der Garant dafür, dass wir keine Vergemeinschaftung der europäischen Schulden haben werden.
Frage: Als Krisenmanager werden eher Kanzlerin Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wahrgenommen...
BRÜDERLE: Die Kanzlerin genießt zu Recht hohes Ansehen in Deutschland und Europa für ihre unermüdliche Arbeit zur Euro-Stabilisierung. Wir unterstützen sie dabei. Denn für Geldwertstabilität steht zuallererst die liberale Partei. Wir sind keine kurzfristigen Krisenmanager, sondern vertreten klar unsere ordnungspolitischen Überzeugungen. Und Herr Steinbrück ist ja eher mit dem Management seiner eigenen Krise beschäftigt.
Frage: Am Montag wollen die europäischen Finanzminister über neue Hilfen für Griechenland entscheiden. Worauf kommt es jetzt an?
BRÜDERLE: Wir brauchen strikte Konditionalität. Ohne echte Fortschritte bei den Reformen darf es keine weiteren Hilfen für Athen geben.
Frage: Wer kontrolliert das?
BRÜDERLE: Zuerst einmal die Troika. Und wenn deren Bericht vorliegt: der Deutsche Bundestag.
Frage: Sie wollten den Griechen höchstens ein paar Wochen Reformaufschub gewähren. Gilt das noch?
BRÜDERLE: Ich bin immer noch der Auffassung, dass man die Zeitachse nicht beliebig dehnen darf. Ich würde mir wünschen, dass Griechenland nicht die zwei Jahre länger braucht, die jetzt im Gespräch sind.
Frage: Wann kommt das dritte Hilfspaket?
BRÜDERLE: Ich sehe im Deutschen Bundestag keine Mehrheit für ein drittes Hilfspaket. Vorstellbar sind allenfalls Maßnahmen im Rahmen der beschlossenen Pakete. Damit könnten wir die Schuldentragfähigkeit Griechenlands verbessern.
Frage: Sehen wir das Geld jemals wieder?
BRÜDERLE: Die Rettung Griechenlands wird mittelfristig finanzielle Konsequenzen für Deutschland haben. Da sollten wir uns nichts vormachen.
Frage: In welcher Größenordnung?
BRÜDERLE: Das kann derzeit niemand seriös sagen. Es ist ja auch nicht unser Ziel. Im Gegenteil: wir arbeiten daran, dass Griechenland durch eigene Reformen schnell wieder auf die Beine kommt und unsere Hilfen nicht mehr benötigt.
Frage: Trotzdem wollen Union und FDP im Bundestag den Beschlüssen der europäischen Finanzminister zustimmen. Wird es dieses Mal eine Kanzlermehrheit?
BRÜDERLE: Ich gehe davon aus, dass es eine Mehrheit sein wird wie bei den vergangenen Abstimmungen über europäische Rettungspakete. Eine Kanzlerinmehrheit haben wir bei der Wahl der Kanzlerin.
Frage: Ist ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone vom Tisch?
BRÜDERLE: Griechenland entscheidet selbst, ob es in der Währungsunion bleibt oder nicht.
Frage: Der Bundespräsident hat jetzt die Polen gelobt. Sie seien fleißiger als die Deutschen...
BRÜDERLE: Beide Völker sind fleißig: Die Polen holen mit Riesenschritten auf, die Deutschen stehen dank ihres Fleißes in Europa am stabilsten da.
Frage: Während Polen aufholt, wird unser westlicher Nachbar mehr und mehr zum Problemfall.
BRÜDERLE: Die Entwicklung in Frankreich sehe ich mit großer Sorge - zumal die neue sozialistische Regierung die Weichen falsch stellt. Steuererhöhungen und die Rücknahme von Sozialreformen sind keine Beiträge zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Es ist ein Alarmsignal, dass zwei Ratingagenturen das Land herabgestuft haben. Die Huldigungsreise der SPD-Troika zu Francois Hollande wirkt da nur noch peinlich.
Frage: Sie üben schon für den Lagerwahlkampf. Dabei geben die Umfragen weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün her.
BRÜDERLE: Wir haben eine erfolgreiche Regierung, die weitermachen will. Die Gefechtslage ist eindeutig: Die FDP ist der Garant für die Fortsetzung der bürgerlichen Koalition.
Frage: Ihr Partner, die CDU, lotet schwarz-grüne Möglichkeiten aus.
BRÜDERLE: Die schwarz-grünen Gedankenspiele einiger CDU-Politiker sind quasi ein Förderprogramm für die FDP. CDU-Wähler, die eine bürgerliche Koalition wollen und Schwarz-Grün fürchten, müssen für uns stimmen.
Frage: Umgekehrt können sich die Wahlsieger von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Christian Lindner und Wolfgang Kubicki, ein Ampelbündnis mit SPD und Grünen vorstellen...
BRÜDERLE: Ich sehe keine inhaltlichen Schnittmengen für eine Ampel. Auch Christian Lindner spricht sich klar für die Fortsetzung der christlich-liberalen Regierung aus.
Frage: Lieber Opposition als Ampel?
BRÜDERLE: Jedenfalls nicht regieren um jeden Preis. Ich setze auf einen schwarz-gelben Sieg - in Niedersachen und im Bund.
Frage: Gibt es Politiker von SPD und Grüne, die Sie schätzen?
BRÜDERLE: Ich schätze viele Menschen, aber deshalb muss ich sie nicht gleich heiraten.
Frage: Was halten Sie von Peer Steinbrück?
BRÜDERLE: Ein respektabler Mann. Er wird allerdings einen hohen Preis dafür zahlen müssen, dass die SPD-Linke zu seinen aktuellen Problemen schweigt.
Frage: Und Katrin Göring-Eckart?
BRÜDERLE: Wer sie wählt, bekommt Jürgen Trittin. Und der trägt unter dem Jackett noch immer die Mao-Weste mit den Rezepten von gestern in der Tasche: nämlich abkassieren und umverteilen. Wer den Bürgern 40 Milliarden Euro abnehmen will, bei dem ist die Ideologie klar erkennbar.
Frage: Würde Philipp Rösler eine Urwahl in der FDP gewinnen?
BRÜDERLE: Die Grünen haben diese Wahl doch nur gemacht, weil sie sich auf keine Lösung einigen konnten. Uns wird das gelingen. Ich darf nur einmal daran erinnern: Philipp Rösler ist mit 95 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt worden.
Frage: In der FDP ist zu hören, dass der Ehrenvorsitzende Genscher an der Inthronisierung einer Doppelspitze Lindner / Brüderle arbeitet.
BRÜDERLE: Das sind Spekulationen von außen. Der Ehrenvorsitzende trägt engagiert dazu bei, dass wir gemeinsam erfolgreich sind.
Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP mit Rösler an der Spitze in den Wahlkampf zieht?
BRÜDERLE: Ich gehe fest davon aus. Der Vorsitzende ist immer auch Spitzenkandidat. Die endgültige Entscheidung fällt auf unserem Parteitag im Mai.
Frage: Was ist, wenn im Januar die niedersächsische Landtagswahl schief geht?
BRÜDERLE: Das wird nicht passieren.
Frage: Gibt es junge Liberale, auf denen ihre Hoffnung ruht?
BRÜDERLE: Die ruht auf dem Team. Die Mischung aus erfahrenen und jüngeren Leuten macht¹s. Und die haben wir.
Frage: Sie sind in diesem Jahr 67 geworden. Haben Sie sich schon Gedanken über Ihr persönliches Renteneintrittsalter gemacht?
BRÜDERLE: Alles hängt davon ab, wie gesund man ist, und ob einen die Leute gern wählen. Adenauer fing mit 73 Jahren erst an. Und wie sagte er? "Man soll der Güte des lieben Gottes nicht vorzeitig enge Grenzen setzen."
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