BRÜDERLE-Interview für "Die Welt"
Berlin. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Präsidiumsmitglied RAINER BRÜDERLE, gab der "Welt" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN GAUGELE:
Frage: Herr Brüderle, fühlen Sie sich wirklich als Sieger?
BRÜDERLE: Wir alle können mit den einzelnen Ergebnissen sehr zufrieden sein. Es hat sich wieder gezeigt: Schwarz-Gelb wirkt. Deutschland wird gut regiert unter dem Dreiklang: Konsolidieren, Entlasten, Investieren. Wir sorgen für Stabilität.
Frage: Reichen Wahlgeschenke, um die Liberalen aus dem Tal zu führen?
BRÜDERLE: Diese Kritik der SPD ist doch völlig unglaubwürdig. Wir werden bereits im nächsten Jahr die Schuldenbremse einhalten, also drei Jahre früher als vom Grundgesetz vorgeschrieben. Die SPD hat unter den Ministern Eichel und Steinbrück immer nur neue Schulden gemacht. Wir bauen die Neuverschuldung ab und konsolidieren den Haushalt.
Frage: Sie haben die Wirtschaft gegen sich aufgebracht. Arbeitgeberpräsident Hundt sagt: "Wer die Staatsfinanzen wirkungsvoll sanieren und mehr Netto vom Brutto schaffen will, darf keine neuen Wohltaten verteilen." Haben Sie das Gespür für Ihre Kernwählerschaft verloren?
BRÜDERLE: Für manche mag die Abschaffung der Praxisgebühr kein Thema sein, für gesetzlich versicherte Familien, Kranke und viele ältere Menschen ist das sehr wohl eine spürbare Entlastung. Wir sind auch nicht den Wirtschaftsverbänden verpflichtet, sondern dem Gesamtwohl des Landes. Außerdem haben wir ja gerade die Senkung des Rentenbeitrages beschlossen. Damit senken wir die Arbeitskosten in Deutschland
zusätzlich. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden entlastet und die Renten gestärkt.
Frage: Die Abschaffung der Praxisgebühr wirkt wie ein verzweifelter Versuch, die Bürger doch noch zu entlasten. In Wahrheit belasten Sie die Kassen und damit die Versicherten in Milliardenhöhe...
BRÜDERLE: Die Krankenkassen haben Milliardenüberschüsse. Durch die Abschaffung der Praxisgebühr geben wir den Krankenversicherten zurück, was ihnen gehört. Die Krankenkassen sind keine Sparkassen. Wir entlasten die Kassenpatienten um circa zwei Milliarden Euro im Jahr und die Arztpraxen von überflüssiger Bürokratie.
Frage: Der Finanzminister war beim Koalitionsgipfel nicht dabei. Wie wollen Sie Schäuble von den neuen Ausgaben überzeugen?
BRÜDERLE: Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende saß mit am Tisch. Und der Bundesfinanzminister hat sicher nichts dagegen, dass wir noch schneller den Haushalt konsolidieren wollen.
Frage: Wie wäre der Koalitionsgipfel ausgegangen, hätte die CSU nicht mit am Tisch gesessen?
BRÜDERLE: Hätte, hätte, Fahrradkette! Die CSU ist Partner dieser Koalition und das ist sehr gut so. Wir haben die Entscheidungen zusammen getroffen und wir werden sie jetzt auch gemeinsam vertreten. Sie werden von mir kein negatives Wort hören. Ich schätze die Zusammenarbeit mit Gerda Hasselfeldt sehr. Und mit unseren Beschlüssen können alle drei Partner dieser Regierung gut leben. Vor allem aber die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Und darum geht es doch!
Frage: Wie liberal ist eine Regierung, die Eltern subventioniert, wenn sie ihre Kinder zu Hause erziehen?
BRÜDERLE: Bislang ist es ja eher umgekehrt. Das Betreuungsgeld war nicht unser Herzensanliegen, aber wir haben jetzt eine gute Lösung gefunden, die die Wahlmöglichkeiten der Eltern stärkt und den Haushalt schont. Die SPD hatte in der großen Koalition einem bedingungslosen Betreuungsgeld zugestimmt. Wir haben jetzt für eine Bildungskomponente und für die Stärkung der privaten Altersvorsorge gesorgt.
Frage: Wäre es nicht besser gewesen, die Regierung hätte das Gipfeltreffen dazu genutzt, eine gemeinsame Linie bei den wichtigen Themen - der Eurokrise oder der Energiewende - zu finden?
BRÜDERLE: Wir haben auch über Energiepolitik gesprochen und vereinbart, bis zum März Ergebnisse für eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu vereinbaren. Wir wollen die Energiewende so gestalten, dass Strom sicher und bezahlbar bleibt. Und über die notwendigen Maßnahmen und richtigen Entscheidungen zur
Euro-Stabilisierung reden wir ohnehin fortlaufend und intensiv.
Frage: Hat der Koalitionsgipfel die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die FDP mit Philipp Rösler an der Spitze in die Bundestagswahl zieht?
BRÜDERLE: Es war ein guter Tag für Deutschland und ein Erfolg für alle Beteiligten. Dieses Ergebnis stärkt die gesamte FDP.
Frage: In der FDP ist zu hören, dass der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher an einer Neuaufstellung arbeitet - mit Ihnen als Parteichef und Christian Lindner als Spitzenkandidat. Ein Hirngespinst?
BRÜDERLE: Solche Berichte kommentiere ich nicht. Wir konzentrieren uns auf die Sacharbeit und führen keine Personaldebatten.