BRÜDERLE--Interview für den "Deutschlandfunk"
Berlin. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Präsidiumsmitglied RAINER BRÜDERLE gab dem "Deutschlandfunk" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte SANDRA SCHULZ:
Frage: Hat die Kanzlerin gut verhandelt?
BRÜDERLE: Ja, das ist ein gutes Ergebnis für die Bundesregierung. Eine solche Bankenaufsicht kann nur funktionieren, wenn sie solide aufgebaut ist. Das kann man nicht im Schnellschuss machen. Den rechtlichen Rahmen bis Ende des Jahres zu setzen, das ist ambitioniert, aber machbar. Da muss man natürlich die Kapazitäten auch bei der EZB erst ansiedeln. Man muss auch eine sogenannte "Chinese Wall" machen, dass es getrennt wird von den allgemeinen geldpolitischen Aufgaben. Insofern ist es ein realistisches und gutes Konzept. Wir sind einen weiteren Schritt nach vorn gekommen.
Frage: Das heißt, die Bankenaufsicht ist jetzt verabredet? Damit sind dann auch die Weichen für eine Transferunion gestellt?
BRÜDERLE: Nein, das ist etwas anderes. Es geht darum, dass man insbesondere bei grenzüberschreitend aktiven Banken nach gemeinsamen Kriterien von einer unabhängigen Instanz sucht. Die EZB ist unabhängig, insofern hat es schon einen gewissen Sinn, es dort anzusiedeln, damit sie beobachten und gegebenenfalls eingreifen kann. Ich stelle mir vor, dass ihre Rechte auch so weit gehen, dass sie gegebenenfalls, wenn das voll funktioniert, auch eine Bank schließen kann, wenn sonst die regionale Wirtschaft oder die Aktivitäten des Bankensektors ernsthaft gefährdet sind, wie es in Deutschland auch die BaFin kann. Es wird sehr selten vorkommen, aber die Möglichkeit besteht. Insofern ist es richtig.
Frage: Es soll ein Modell kommen, nach dem die Aufsicht bei der EZB liegt. Wieso kann eine Zentralbank Aufsicht durchführen?
BRÜDERLE: Das ist eine berechtigte Frage. Wir haben es in Deutschland getrennt. Während die BaFin eine gewisse Aufsichtsfunktion bei der Bundesbank hat, wollten wir beides bei der Bundesbank zusammenführen, haben uns national entschieden, es nicht zu tun. Von den 17 Euro-Staaten haben 14 die Bankenaufsicht bei ihren Notenbanken. Insofern ist es schwer, das alles in 14 Ländern wieder aufzubrechen und neu zu konstituieren, denn sie brauchen einen Unterbau. Die können nicht von Brüssel aus 6.000 Banken europaweit alle in eine Überwachung einbeziehen, sondern müssen das auch in großem Umfang auf die nationale Bankenaufsicht delegieren. Da sie so organisiert sind, war es auch nicht realistisch anzunehmen, dass alle europäischen Länder, die 14, die es schon über viele Jahre anders organisiert haben, sich den deutschen Vorstellungen komplett anschließen.
Frage: Offenbar kommen jetzt auch die 6.000 deutschen Institute zumindest flächendeckender unter die Kontrolle der EZB, als von Deutschland gewünscht. Wie sehen Sie das?
BRÜDERLE: In Schritten. 2014 sollen alle Banken der Aufsicht unterstellt sein. Aber auch das wird abgestuft erfolgen. Die EZB kann und wird sich auf die grenzüberschreitend systemrelevanten Banken konzentrieren. In der Praxis werden auch durch die Zusammenarbeit mit den nationalen Bankenaufsichten, die kleinen Sparkassen, Raiffeisenbanken nicht dem unmittelbaren Zugriff der europäischen Bankenaufsicht unterworfen. Wenn es Extremfälle gibt, die dann auch durch Infektionsgefahr, Ansteckungsgefahr durch die Interbankenverflechtung bergen, dann macht es aber auch Sinn, dass es in der europäischen Beobachtung drin ist. Wir müssen schon zu Regeln kommen, die noch halbwegs verständlich sind. Das ist ein Problem von Europa, dass wir uns hier in Schritten, in Zirkeln, in Teillösungen bewegen. Das ist immer noch besser als nichts. In der Praxis, glaube ich, wird sich das sehr vernünftig einspielen.
Frage: Was macht Sie so zuversichtlich, dass sozusagen die deutschen Wünsche da berücksichtigt werden? Der französische Präsident Hollande hat auch gesagt, es komme jetzt so, wie von ihm gewünscht.
BRÜDERLE: Das sagt jeder, weil man zu Hause sein Gesicht wahren muss. Das sind die europäischen Kompromisse, wo jeder ein Stück nach Hause tragen kann. Man darf bei der Zusammenarbeit in Europa - das ist keine politische Union, das ist ein Staatenbund, in dem wir uns bewegen - auch nicht erwarten, dass man komplett den anderen ihre Vorstellungen wegnimmt.
Frage: So macht es die Kanzlerin auch. Sie verabredet was und verkauft es dann in Deutschland positiver, als eigentlich ausgehandelt.
BRÜDERLE: Nein, sie verkauft es zu Recht positiv. Nein, ich möchte den Franzosen auch nicht das Gesicht wegnehmen und sagen, sie haben nichts erreicht. Natürlich haben sie auch ein Stück ihrer Überlegungen mit eingebracht. Kompromisse in einer Koalitionsregierung, in der Demokratie schließen, heißt auch, dass andere ein Stück ihrer Vorstellungen einbringen. Das ist kein Durchmarsch einer Position über alles. Demokratie heißt doch, Kompromisse zu finden. Hier ist ein guter Kompromiss gefunden worden. Zu den Sparkassen- und Raiffeisenbanken: Es sind europaweit weit über 6.000 Banken. Das ist schon gar nicht machbar, dass die EZB 6.000 Banken permanent in den Fokus nimmt. Das muss in einem gestuften Verfahren sein, wie wir es etwa auch bei Wettbewerbsfragen haben. Da hat die europäische Ebene Zugriffsmöglichkeiten, Fusionskontrollen und Ähnliches. Aber bei den kleineren Unternehmen und regionalen machen das nationale Kartellbehörden, auch unter Abstimmung der Prinzipien mit den europäischen Partnern. Ich glaube, das ist eine realistische, vernünftige und gut vertretbare Position.
Frage: Wenn wir auf die Verabredung der vergangenen Nacht schauen, dann bleibt es bei dem Schema, dass Deutschland in Brüssel erst bremst - so war es bei der Griechenland Rettung auch - und dann werden doch die Weichen in eine andere Richtung gestellt?
BRÜDERLE: Nein, das wäre die Niederlage. Es ist in hohem Prozentsatz eine Durchsetzung unserer Stabilitätskulturvorstellung. Das steckt dahinter auch bei den Bankenfragen. Wir wollen den Euro stabil halten. Wir haben in Deutschland versprochen, die neue Währung soll so stabil sein, wie die D-Mark es war. Die Notenbank soll so unabhängig sein, wie die Bundesbank war und ist. Das ist in sehr hohem Prozentsatz durchgesetzt. Dass man auch von Nachbarn ein Stück Erkenntnis aus ihrer Kultur, aus ihrer wirtschaftlichen Erfahrung mit einbringt, ist die europäische Idee. Man kann nicht immer 100 Prozent alle Forderungen durchsetzen. Davon lebt Europa durch seine Vielfalt, seine Elastizität. Das ist kein Zentralstaat. Wir haben keine Vereinigten Staaten von Europa, sondern einen Zirkel, eine sich in unterschiedlichem Tempo entwickelnde Struktur, von der ich überzeugt bin, sie ist langfristig einer zentralistischen Lösung überlegen, weil Europa Einheit in Vielfalt ist und Vielfalt in Einheit. Das ist ein anderer Weg, ein neuer, ein europäischer, aber ein erfolgreicher Weg.
Frage: Das kann man als Zirkel sehen, aber auch als Kehrtwende. Wenn wir über Griechenland sprechen, hat die Kanzlerin, die Regierung wirklich eine 180-Grad-Kehrtwende hingelegt. Erst vor anderthalb Jahren gemauert, jetzt ist sie oberster Griechenland-Retter im Staat und in der Union. Können Sie uns das erklären?
BRÜDERLE: Das sehe ich nicht so. Es ist immer der Grundsatz "Leistung gegen Gegenleistung" gewesen. Wir sind solidarisch in Europa. Aber der Empfänger der Solidarität, Griechenland, muss alles Mögliche tun, die Ursachen seiner Misere, unterlassene Reformen, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, zu beheben. Griechenland ist nicht in der Lage, sich das zu erarbeiten, was es ausgibt. Dies muss geändert werden. Es wird erst eine Auszahlung geben, wenn der Troika-Bericht vorliegt. Das beizubehalten, ist richtig. Dass Frau Merkel dorthin gereist ist, zeigt, wir haben am europäischen Nachbarn ein Interesse und empfinden mit, dass sie einen schweren Weg haben. Das ist richtig, ändert aber nichts an der Konditionalität, an den Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, damit weitere Tranchen des zugesagten Hilfsrahmens an Griechenland ausgezahlt werden können.