BRÜDERLE-Interview für den Deutschlandfunk:
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem Deutschlandfunk heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Christoph Heinemann.
Frage: Die EU-Finanzminister haben bei der Bankenaufsicht einen Kompromiss erzielt. Wolfgang Schäuble ist zufrieden, Sie auch?
BRÜDERLE: Gut, es ist ein wichtiger Teilschritt. Es hat immerhin gezeigt, dass man auch in kurzer Frist eine Einigung hinkriegen kann. Für mich ist das Wichtigste, dass offensichtlich der deutsch-französische Motor wieder richtig anspringt, man vorankommt. Denn ohne die Einigung von Élysée und der Bundesregierung im Vorfeld wäre dieser Kompromiss wohl nicht auf den Weg gebracht worden. Das ist ein gutes Zeichen.
Frage: Müssen nicht alle Banken kontrolliert werden?
BRÜDERLE: In einer Endstufe ja. Aber es macht keinen Sinn, dass jetzt eine europäische Bankenaufsicht - wir haben in der Eurozone 6.000 bis 7.000 Banken -, ein Apparat, den es noch nicht gibt, den sie erst aufbauen, anfängt, jede kleine Sparkasse oder jede kleine Raiffeisenbank zu kontrollieren. Es war schon eine Schieflage bei der deutschen Bankenaufsicht BaFin, dass sie bei den Kleinen relativ pingelig jede Überweisung kontrolliert und bei den Großen die Fehler nicht bemerkt hat. Systemgefährdend, systemrelevant sind die großen, die grenzüberschreitenden Banken. Deshalb ist es richtig, dass man eine Grenze mit der 30-Milliarden-Bilanzsumme fixiert hat. Aber es ist eine kleine Öffnungsklausel darin. Wenn man der Überzeugung ist, eine kleine Bank mit weniger als 30 Milliarden Bilanzsumme - das sind die meisten Sparkassen, Volks- oder Raiffeisenbanken - kann eine Gefährdung auslösen, dann kann auch - so habe ich jedenfalls die Formulierung, die Presseerklärung von heute Nacht gelesen - die europäische Bankenaufsicht aktiv werden. Aber sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist richtig. Das ist erst ein Schritt für weitere. Endpunkt wird sein, dass man eine Bankenaufsicht hat, die auch Eingriffsrechte in die nationalen Bankensysteme hat, die notfalls auch eine Bank in Spanien schließen kann. Da ist man noch ein Stück von entfernt.
Frage: Sie sagten die kleinen Sparkassen. Einige sind aber gar nicht so klein. Warum bleiben die außen vor?
BRÜDERLE: Wenn die Landesbanken, soweit sie noch existieren, 30 Milliarden Euro überschreiten, sind sie erfasst. Man muss irgendwo eine Grenze festlegen. Man hätte genauso gut 28 Milliarden oder 32 Milliarden Euro sagen können. Das ist immer ein Stück Willkür, wenn man eine Grenze festsetzt. Aber die normale Standardsparkasse hat drei bis fünf Milliarden Euro Bilanzsumme. Die fallen nicht darunter. Sie haben auch nicht die Relevanz, dass sie das Finanzsystem in Europa gefährden, wenn eine Schieflage kommt. Sie haben insbesondere in Deutschland eigene Sicherungssysteme. Wir sind in der Entwicklung viel weiter fortgeschritten als die anderen europäischen Länder. Wir haben das Drei-Säulen-Konzept. Wir haben die Genossenschaftsbanken, die Sparkassen, die Privatbanken. Alle drei haben für sich genommen ein eigenes Sicherungssystem. Sie haben es bis jetzt immer gut verstanden, wenn eine Schieflage war, das in der Familie quasi zu regulieren. Wir bauen mit der Bankenabgabe in Deutschland einen weiteren Sicherungsfonds für solche Fälle auf. Insofern ist Deutschland relativ gut aufgestellt. Aber die Gedanken, die hinter dieser Bankenunion stehen, dass man am liebsten eine europaweite Einlagensicherung hätte, also die Oma in Berlin haftet mit ihrem Sparbuch für spanische Bankenabenteuer, kann es so nicht geben. Dazu sind die Unterschiede zu groß, die Kulturen des Wirtschaftens zu verschieden. Deshalb ist der Teilschritt richtig, dass man jetzt ein Insolvenzrecht schaffen muss. Wir haben Europa immer schrittweise entwickelt. Ich hoffe, dass es jetzt mit dem deutsch-französischen Motor wieder ein bisschen schneller geht. Die Welt wird keine Pause in der Entwicklung einlegen, bis die Europäer das gerichtet haben.
Frage: Sie schließen vollkommen aus, dass es langfristig mal eine gemeinsame Einlagensicherung geben wird?
BRÜDERLE: Das kann nur ein Endpunkt einer ganz langfristigen Entwicklung sein, weil wir schon zwei Ebenen innerhalb der Bankengruppensysteme, der Abgabensicherungssysteme haben. Ich schließe nicht aus, wenn man eine solche unabhängige Behörde hat, dass man dann auch ein weiteres Einlagensicherungssystem aufbauen könnte. Aber es darf nicht am Anfang stehen - da war immer die Begehrlichkeit unserer europäischen Partner und Freunde, an die gut gefüllten deutschen Kassen, auch die Sicherungskassen heranzukommen -, das kann nur ein Endpunkt sein. Erst mal muss das Prozedere, müssen die Spielregeln und die Spielkulturen aneinander angepasst werden, bevor man solch einen Gedanken näher in Betracht ziehen kann.
Frage: Sind die Interessen der Nicht-Euroländer unter den EU-Staaten und auch die Mitarbeit ausreichend gewahrt?
BRÜDERLE: Sie werden sicherlich nicht in dem Umfang mitwirken können, wie sie es vielleicht wollen. Unsere britischen Freunde - wir möchten sie auf jeden Fall in der Europäischen Union haben - geben uns permanent Ratschläge, was wir in der Eurozone für unser Geld tun sollen, aber sie beteiligen sich nicht aktiv dabei. Sie sind nicht mal bereit, die Regeln für die Finanzmärkte miteinander richtig abzustimmen. Wir haben permanent Probleme, weil Großbritannien - 40 Prozent der Aktivitäten am Finanzmarkt sind in London - eine Sonderstellung für sich reklamiert. Sie haben einen Rabatt, einen Discount bei den Beiträgen, die sie an die europäischen Kassen zahlen. Sie wollen aber die Vorteile des Binnenmarkts voll nutzen. Gerade bei den britischen Konservativen, neuerdings auch bei der Labour Party, sieht man bedenkliche Entwicklungen der Desintegration aus den Strukturen Europas hinaus. Wir brauchen aber mehr Integrationsfortschritte, nicht weniger. Sie können nicht bei den Spielregeln für Länder, die eine gemeinsame Währung haben, voll mitreden, aber keine Haftung übernehmen. Da muss man auch einen Mechanismus finden.
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