20.06.2014FDPFDP

BEER-Interview für die „Frankfurter Neue Presse“

Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER gab der „Frankfurter Neuen Presse“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten CHRISTOPH BARKEWITZ, KLAUS SPÄNE, DIETER SATTLER und SVEN WEIDLICH:

Frage: Frau Beer, anlässlich der WM kommen wir nicht an dieser Frage vorbei: Schauen Sie derzeit auch Fußball?

BEER: Natürlich, vor allem die Spiele der deutschen Mannschaft sind Pflicht. Aber wir haben in der Familie auch sehr starke Verbindungen nach Frankreich und nach Spanien. Von daher gibt es ein großes Interesse.

Frage: Kann man als Politiker vom Fußball lernen?

BEER: Ja, dass man immer wieder aufsteht, auch wenn es mal nicht so gut gelaufen ist. Dass es immer wieder eine neue Chance gibt. Auf jeden Fall lernt man Kampfesmut und Fairness. Das haben wir bei der FDP auch beides als Tugenden im Portfolio.

Frage: Als Sie kurz nach der Bundestagswahl als Generalsekretärin der Bundes-FDP angetreten sind, sollten Sie das neue Gesicht der FDP werden. Im vergangenen halben Jahr waren Sie aber nicht so stark wahrzunehmen wie erwartet. Ist Ihre Präsenz noch steigerungsfähig?

BEER: Sicherlich. Wir haben erst vor einem halben Jahr die komplette Mannschaft ausgetauscht. Außer Christian Lindner und Hermann Otto Solms ist keiner jemals im Bundespräsidium in der ersten Reihe gewesen. Von daher braucht das natürlich seine Zeit. Wir arbeiten aber weiter daran, die neuen Köpfe – und damit verbunden die jeweiligen Sachthemen – zu präsentieren. Zudem sind wir aus der Berichterstattung über den Bundestag herausgefallen. Wir versuchen trotzdem, die Themen immer zu kommentieren. Aber es ist nicht selbstverständlich, dass entsprechende Äußerungen von Präsidiumsmitgliedern – auch von mir – zitiert werden.

Frage: Es gibt Stimmen, denen die FDP im Bundestag fehlt. Andere sagen: Nun übernimmt die CDU-Mittelstandsvereinigung den Job der Liberalen und kritisiert zum Beispiel die Steuer- und Rentenpolitik der großen Koalition. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Partei am Ende der jetzigen Legislaturperiode nicht vermisst wird?

BEER: Nein. Wir bekommen ja heute schon die Rückmeldung, dass die bürgerliche Opposition komplett fehlt. Ich glaube, dass das noch zunehmen wird. Mit uns hätte es nicht solch ein Rentenpaket und keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gegeben. Es fehlt die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft im Bundestag. Spätestens dann, wenn die Leute das auf ihren Lohnzetteln merken, werden wir wieder mehr Gehör finden.

Frage: Aber mit der FDP hat es die umstrittenen Rettungspakete für Griechenland gegeben. Wenn sie nun die Erfolge der AfD betrachten: Wäre die FDP nicht seinerzeit besser beraten gewesen, wenn sie stärker dem Kurs ihres Euro-Kritikers Frank Schäffler gefolgt wäre?

BEER: Zunächst muss man sagen, dass das Rentenpaket von CDU und SPD eine viermal so große finanzielle Belastung des Staatshaushalts darstellt, als es die Rettungsmaßnahme für den Euro insgesamt im schlechtesten Fall darstellen würde. Unsere Positionen haben wir noch einmal im Europaprogramm vom Januar verankert. Dazu haben wir eine völlig einmütige Beschlusslage – auch Frank Schäffler hat dahintergestanden. In dem Programm haben wir klargestellt, dass wir ganz stark darauf beharren, dass es die Solidarität nur gegen entsprechende Einsparungen, Konsolidierungen in den Staatshaushalten und Reformbemühungen geben kann. Jetzt sehen wir anhand der Zahlen, dass es richtig war, Solidarität zu zeigen. Wir sind zwar noch nicht komplett aus der Krise raus, aber wir sind ein ganzes Stück weit vorangekommen. Und es hat uns unter dem Strich davor bewahrt, dass es auch Deutschland viel Geld kostet, und vor allem Arbeitsplätze. Diesen Kurs werden wir weiterverfolgen – anders als die Bundesregierung, die nun wieder Zugeständnisse machen will, zum Beispiel gegenüber Frankreich.

Frage: Mit der AfD ist Ihnen starke neue Konkurrenz erwachsen. Wie wollen Sie sich positionieren, damit Ihnen die Euroskeptiker nicht den Rang ablaufen?

BEER: Wir haben vor allem bei der Europawahl Stimmen, vor allem an die Nichtwähler verloren. 800 000 Wähler, die bei der letzten Wahl noch der FDP ihre Stimme gegeben haben, sind in das Lager der Nichtwähler abgewandert. Hingegen sind nur 60 000 Stimmen von der FDP an die AfD gegangen. Wir haben an SPD und Grüne mehr verloren als an AfD und CDU zusammen. Von daher ist die AfD nicht das Hauptangriffsfeld. Wir wollen vor allem diejenigen zurückgewinnen, die schon mal der FDP ihre Stimme gegeben haben und jetzt bei den Nichtwählern zu finden sind. Und das mit einem Kurs, der ganz klar proeuropäisch ist. Dieser setzt auf wirtschaftliche Vernunft, den gemeinsamen Schutz der Bürgerrechte wie dem europäischen Datenschutz, den europäischen Energiemarkt, eine Staatsschuldenkonsolidierung und klare Reformbemühungen. Das alles hat keine Schnittmengen mit der AfD. Diese ist eine rechtspopulistische Kraft, die auch gegen Freihandel, die unterschwellig ausländerfeindlich und homophob ist.

Frage: AfD-Chef Lucke hat seine Gruppierung als kleine Volkspartei bezeichnet. Der ehemalige FDP-Generalsekretär Dirk Niebel war im Wahlkampf 2009 sehr stolz darauf, dass die FDP nicht nur bei Gutverdienern, sondern auch bei Arbeitslosen relativ viel Zustimmung hatte. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die FDP auf diesem Gebiet ins Hintertreffen gerät?

BEER: Die AfD ist eine reine Protestpartei und hat Zulauf von der CDU, aber auch von ganz rechts bis ganz links. Wir haben eine komplett andere Positionierung. Und wir werden weiter auf unseren bisherigen Kurs setzen: auf Eigenverantwortung und die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten, dass wir über Bildung ermöglichen, dass diese Chancen ergriffen werden können. Dazu gehört auch, dass man sich verantwortungsvoll in die Gesellschaft einbringt, dass die richtigen Rahmenbedingungen in der sozialen Marktwirtschaft gesetzt werden. Und dazu gehört es, Bürgerrechte zu schützen – von Minderheiten bis zu Fragen des Datenschutzes. Das finden Sie bei der AfD nicht.

Frage: Noch einmal zum Absturz der FDP. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

BEER: Weil wir es in den vergangenen vier Jahren der Regierungsbeteiligung in Berlin nicht geschafft haben, genug von unseren Positionen durchzusetzen. Wir hatten es mit einer CDU zu tun, insbesondere in der Person des Finanzministers, die bei wesentlichen Themen, die uns wichtig waren, immer wieder bremste. Wir konnten Positionen erst zum Ende der Legislaturperiode im Bundestag durchsetzen, die dann wiederum im Bundesrat blockiert wurden, weil sich hier die Zusammensetzung geändert hatte. Ein Beispiel ist die Abschaffung der kalten Progression, also die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen.

Frage: Eines haben Sie durchgesetzt, das ist Ihnen auf die Füße gefallen – die Hoteliersteuer…

BEER: Das sollte der erste Schritt sein zu einer völligen Reform des Mehrwertsteuerrechts, was ich nach wie vor für richtig halte. Aber genau das ist mit der CDU nicht mehr verhandelbar gewesen, das Mehrwertsteuerrecht zu vereinfachen.

Frage: Wenn man sich die Politik der großen Koalition betrachtet, sollte man eigentlich mehr Zulauf für die FDP erwarten. Gerade bei der Rente mit 63 gibt es Stimmen, die vor hohen Kosten warnen. Das ist Ihr Klientel. Warum haben Sie dennoch nicht mehr Zustimmung?

BEER: Wir haben sehr viel Zulauf. Seit der Bundestagswahl haben wir mehr als 4000 Neumitglieder bekommen. Also völlig gegen den Trend bei den anderen Parteien. Nur jetzt sind ja keine Bundestagswahlen.

Frage: Zur Landespolitik. Wie fühlt es sich für Sie als ehemalige hessische Kultusministerin an, nun Ihren ehemaligen Stellvertreter Alexander Lorz (CDU) im Chefsessel zu sehen?

BEER: Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich hätte ich diese Funktion gerne weiter ausgeübt. Wir hätten noch ganz viele Ideen gehabt, um insbesondere die Frage der Qualitätsentwicklung im Unterricht voranzutreiben. Aber wenn es schon einen Nachfolger geben muss, dann ist Alexander Lorz der Richtige. Ich habe ihn mir ja sehr bewusst als Staatssekretär ausgesucht, die Zusammenarbeit war ausgezeichnet. Aber auch ihm werden wir, insbesondere der schulpolitische Sprecher der FDP, Wolfgang Greilich, sehr genau auf die Finger gucken. So werden wir zum Beispiel bei der angekündigten Abschaffung des Landesschulamts klar aufzeigen, dass es unserer Meinung nach falsch ist, mehr Verwaltungsstellen zu schaffen anstatt mehr Lehrerstellen.

Frage: Ist das Vorhaben, die Schulämter enger an das Kultusministerium anzubinden, nicht ganz förderlich?

BEER: Das ist im Rahmen des Landesschulamts aus unserer Sicht ja schon gelungen. Es geht darum, die Arbeit in den Schulämtern zu vereinheitlichen und mit den Bereichen Lehrerbildung und Qualitätssicherung zu verzahnen.

Frage: Sie persönlich wohnen in Frankfurt, haben einen Arbeitsplatz in Wiesbaden und einen in Berlin. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

BEER: Das ist insbesondere eine hohe Reisetätigkeit. Ich pendle zwischen den verschiedenen Orten. Zwei- bis zweieinhalb Tage die Woche bin ich in Hessen unterwegs, zwei Tage Berlin, die restlichen Tage geht es quer durchs Land. Zunächst geht mein Landtagsmandat vor, verbunden mit Fraktions-, Ausschuss- und Plenarsitzungen sowie Terminen, die ich wahrnehme. Dazu kommen die Anforderungen der strategischen Neuausrichtung und organisatorische Fragen der Bundespartei in Berlin, wo ich mir mit Christian Lindner ein Büro in unserer Bundesgeschäftsstelle teile. Außerdem reise ich quer durch die Landesverbände. Von daher sitze ich in sehr vielen Zügen, im Auto oder im Flugzeug, um das alles unter einen Hut zu bekommen. Ich bin sehr froh, dass meine Familie mich hierbei unterstützt, dass insbesondere meine Kinder dafür Verständnis haben, dass sie ihre Mutter noch weniger sehen als in der Ministerzeit.

Frage: Noch mal zur Bundes-FDP zurück. Wie geht es mit der Partei weiter?

BEER: Der zentrale Punkt ist die inhaltliche Wiederaufrichtung, vor allem das Zurückgewinnen des Vertrauens der Menschen. Das funktioniert nicht innerhalb eines halben Jahres. Das ist eine Marathonstrecke. Der Prozess, in dem wir uns jetzt befinden, ist, die Arbeits- und Diskussionsstrukturen in der Partei so umzustellen, dass wir möglichst viel Potenzial, Fachwissen und Kreativität in der Mitgliedschaft einbinden. Das Stichwort lautet hier „Mitmachpartei“. Es geht ferner darum, die Themen noch mal auf 100 Prozent FDP zu fokussieren. Wir wollen eine klare Werte- und Grundhaltung aufzeigen, die den Menschen und seine Chancen in den Mittelpunkt stellt. Dabei wird auch die Partei mit einbezogen, und zwar bis hin zur Ebene der Mitglieder. Das wird die Rampe sein, auf der wir den Anlauf für die Bundestagswahl 2017 starten.

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