29.01.2018FDPFDP

BEER-Interview: Die Grünen sind weiter als die CDU

Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt.

Frage: Frau Beer, die FDP hat das Projekt „Neue Generation Deutschland“ ausgerufen. Gehören die neuen Grünen- Vorsitzenden zu dieser Generation?

Beer: Die neue Generation, von der wir reden, will die Zukunft nicht mit Geboten und Verboten, sondern mit Innovation, Kreativität und Lust an neuen Technologien gestalten. Sie will Chancen schaffen und die, die sich bieten, nutzen, um die Zukunft mit Optimismus und in Verantwortung zu gestalten. Robert Habeck ist sicherlich kein Politikertyp, der in Schablonen denkt. Er ist nicht Jürgen Trittin. In Schleswig- Holstein haben Grüne sich unter seiner Führung an Jamaika beteiligen können. Das Bündnis dort aus FDP, CDU und Grünen strotzt vor Innovationskraft. Bei den Sondierungen im Bund habe ich den Eindruck gewonnen, dass er das tut, was er ankündigt, und Vertrauen schafft. Er ist also auf jeden Fall Teil einer neuen Generation innerhalb seiner Partei.

Frage: Sind die Konzepte der Grünen neu?

Beer: Das kommt darauf an. In Schleswig-Holstein war der Politikwechsel mit den Grünen möglich. Sicherlich auch, weil sich die CDU dort personell erneuert, für frischen Wind und Offenheit für neue Ideen gesorgt hatte. Im Bund hingegen war es nicht möglich, sich mit den Grünen auf ein Erneuerungsprojekt für Deutschland zu verständigen. Da spielten die Hinterzimmer eine Rolle, in denen grüne Verhandlungsführer sich Verhandlungsergebnisse genehmigen lassen mussten, was bekanntlich nicht immer gelang. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Parteivorsitzenden genug neues Denken mitbringen, das Programm ihrer Partei kräftig durchlüften und auch Autorität gegenüber den Bremsern in ihrer Partei entwickeln können: weniger Ideologie, mehr Vernunft und Pragmatismus.

Frage: Die neue Parteichefin Annalena Baerbock spricht von einer „populistischen Europaskepsis der FDP“...

Beer: Das Gegenteil ist der Fall. Die FDP ist eine glühende Europaverfechterin. Darum wollen wir ja, dass Europa stärker, besser, effizienter wird. Und dazu machen wir seit Längerem Reformvorschläge, wie etwa zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Das sollte auch Frau Baerbock wissen, spätestens aus den Sondierungsgesprächen. Uns populistische Skepsis zu unterstellen ist grüner Populismus.

Frage: Habeck sieht einen „schamlosen Reichtum“ in Deutschland und will Kapital und Vermögen deshalb härter besteuern.

Beer: Unser Steuersystem muss gerechter werden. Das bedeutet, endlich eine faire Balance durch Entlastung bei Steuern und Abgaben herzustellen, für kleine und mittlere Einkommen ebenso wie für die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Eine härtere Besteuerung von Kapital und Vermögen geht in die falsche Richtung, wenn dadurch der Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, geschwächt wird oder gar Arbeitsplätze vernichtet werden.

Frage: Werden die Grünen nun eher in Richtung SPD und Linke steuern? Oder sehen Sie die Chancen auf einen neuen Jamaika-Anlauf?

Beer: Robert Habeck und Annalena Baerbock werden versuchen, die Flügelkämpfe innerhalb ihrer Partei zu überwinden. Eine personelle Erneuerung der Partei könnte damit den Beginn der Überwindung des starren Flügeldenkens bedeuten. Das wird eine Herkulesaufgabe, denn das gehört zur DNA der Grünen schon seit ihrer Gründung. Neue Gespräche gibt es erst nach einer nächsten Wahl. Und dann wird man sehen, was geht, wie weit die anderen Partner mit ihrer Erneuerung gekommen sind.

Frage: Habeck postuliert, dass die Politik die brennenden Fragen nicht beantwortet. Immerhin das ist eine Schnittmenge mit der FDP, oder?

Beer: Die Grünen rufen schon nach Schutzvorschriften und Verboten, bevor es den Menschen in Deutschland überhaupt erst möglich gemacht wird, neue Chancen etwa der Digitalisierung zu nutzen. Die Grünen stellen mögliche Probleme in den Mittelpunkt, Freie Demokraten die Gestaltung der neuen Zeit. Beispielsweise können die Menschen in einer digitalen Arbeitswelt selbstbestimmter und flexibler arbeiten als bislang. Das finden wir großartig! Natürlich müssen wir Regelungen überarbeiten und in eine neue Arbeitswelt übersetzen. Auch eine globale und digitale Arbeitswelt braucht Normen. Nur sollen diese bitte nicht bremsen, sondern das Optimum an Chancen und Verbesserungen für die Menschen ermöglichen. Also, Mut und Optimismus statt Angstmacherei!

Frage: Habeck will aus den Grünen eine „gesellschaftliche Gesamtbewegung“ machen. Ist das ein grünes „Projekt 18“ wie einst bei der FDP?

Beer: Nun ja, die Grünen sind oft Umfragekönige, auch wegen freundlicher Begleitung in den Medien. Bei den Wahlen sieht es dann anders aus, vor vier Monaten haben sie knapp neun Prozent erreicht. Das sieht nicht nach einer gesellschaftlichen Gesamtbewegung aus. Die Diskussionen in allen linken Parteien zeigen, dass dort die Zeichen auf neue Ideen, auf Erneuerung stehen. Da sind sie weiter als etwa die CDU, die nur auf die Kanzlerschaft fixiert zu sein scheint. Doch nicht so weit wie die Freien Demokraten; wir haben uns bereits erneuert.

Frage: Am Freitag haben die Verhandlungen über eine neue große Koalition begonnen. Wie bewerten Sie den Auftakt der Gespräche?

Beer: Die Parteien stehen unter dem Druck, eine Regierung zu bilden, koste es, was es wolle. Vor allem Steuergeld. Es gibt keine Aufbruchstimmung oder gar sichtbare Impulse für Projekte, die das Land modernisieren. Vor allem vermisse ich, nachdem die GroKo bei den Wahlen 14 Prozent verloren hat, jedweden Ansatz, Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, was man denn nun grundlegend besser und anders machen will. Es geht offenbar nur um kleinste Reparaturmaßnahmen einer „Weiter so“- Koalition.

Frage: Wer wird von der erneuten GroKo am ehesten profitieren: Grüne, Linke, AfD oder FDP?

Beer: Die Wählerinnen und Wähler werden sich anschauen, welche Antworten eine GroKo etwa in der Europa- oder Einwanderungspolitik, bei der Digitalisierung und bei der Entlastung von Steuern und Abgaben hat. Wenn das Ergebnis ist, dass CDU, CSU und SPD beispielsweise die deutsche Position zur Wirtschafts- und Währungsunion mal eben ändern, ohne dafür ein Votum der Wählerinnen und Wähler zu haben, werden die Populisten rechts und links profitieren. Wir sprechen uns dagegen aus, dass der ESM in die Hände der EU-Kommission gelegt wird und damit Euro-Rettungsaktionen ohne die Beteiligung des Bundestages, aber zu Lasten des deutschen Steuerzahlers gestrickt werden können. Ich bin mir sicher, auch das Wahlvolk wäre mit einer solchen Entmachtung nicht einverstanden. Dasselbe gilt, wenn nicht endlich überzeugende Antworten auf die drängende Frage der Einwanderung gefunden werden.

Frage: Täuscht der Eindruck, dass die FDP seit ihrer Rückkehr in den Bundestag rhetorisch zurückhaltender geworden ist? Man hört zum Beispiel nichts mehr von einem Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingskrise, der im Wahlkampf noch eine größere Rolle spielte.

Beer: Wir können nicht alles auf einmal machen. Teilweise haben unsere Abgeordneten gerade erst Büros zur Verfügung gestellt bekommen. In den wenigen Sitzungswochen seit der Wahl haben wir schon Gesetzentwürfe zum Familiennachzug, zur Stärkung der Bürgerrechte und Abschaffung des NetzDG eingebracht. Wir legen gerade erst los!
 

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