BEER-Gastbeitrag: Mehr Eigenverantwortung der Schulen ist wichtiger als "Beruhigungspillen" für Eltern
Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Der Bundesvorsitzende Udo Beckmann des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) fühlt sich von der Politik bei den Herausforderungen wie Inklusion und Integration, Lernen in der digitalen Welt und Lehrermangel, vor denen unsere Schulen heute stehen, im Stich gelassen. Zeitgleich fordert der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, von den Kultusministerien, die „Inflation an guten Noten“ zu beenden und für gute Noten wieder mehr Leistung zu verlangen.
Wir Freien Demokraten weisen ebenfalls seit vielen Jahren mit großer Sorge darauf hin, dass die Schulen weitestgehend allein gelassen werden bei der Bewältigung der heutigen Anforderungen an sie. Insbesondere in den rot-grün regierten Ländern soll die Zufriedenheit mit dem Bildungssystem nicht durch optimale Bedingungen an den Schulen und die erzielten Bildungserfolge der Schülerinnen und Schüler erreicht werden, sondern durch die inflationäre Vergabe von guten bis sehr guten Noten. Augenscheinlichstes Indiz: jedes Jahr mehr Abiturienten mit einem jährlich besseren Abi-Schnitt. Das mag den Kultusministern schmeicheln und willkommenen Anlass für die üblichen Jubelmeldungen geben. Doch gute Bildung ist in unserer globalen Welt eine Frage des international wettbewerbsfähigen Niveaus und dies bei allen Bildungsgängen. Um weltbeste Bildung für jeden zu erreichen, reicht es nicht, Zeugnisse mit guten Noten aufzupeppen. Entscheidend ist allein, was unser Nachwuchs tatsächlich kann und ob er damit stark genug ist, um im internationalen Vergleich an der Spitze mithalten zu können.
Hierfür müssen wir endlich den erforderlichen Rahmen setzen, indem für eine bessere Ausstattung unserer Schulen – von Lehrkräften bis Gebäuden – und eine Überarbeitung der Inhalte sowie eine Modernisierung der Lehreraus- und –fortbildung entsprechend den Anforderungen unserer heutigen digitalen und globalen Welt gesorgt wird. Wir müssen bereits existierende innovative Lehr- und Lernmethoden nutzen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Lehrkräfte sie einsetzen können, um den Nachwuchs individueller zu fördern und zu fordern und selbst entlastet werden. Die letzte „didacta“ in Hannover hat eindrucksvoll gezeigt, was heute schon Realität in deutschen Klassenzimmern sein könnte. War vor nicht allzu langer Zeit „digital“ noch eine elektronisch lesbare PDF-Version des klassischen Schulbuches, so ist heute bereits eine große Bandbreite von neuen Lern- und Lehrmaterialien verfügbar, die Selbstlernen ebenso unterstützen wie die individuelle Förderung erleichtern und dazu noch die Zusammenhänge in der Welt der Algorithmen begreifbar werden lassen. Gerade für Menschen mit Lernschwierigkeiten bieten die neuen Methoden, etwa durch neue Diagnoseinstrumente oder adaptive Lernsoftware, große Chancen. Digital und sozial gehen so Hand in Hand.
Die Vermittlung des erforderlichen Wissens an unseren Nachwuchs hängt aber von einem, von dem entscheidenden Faktor ab: von unseren Lehrkräften. Ohne gut ausgebildete, motivierte Lehrkräfte und Schulleitungen kann auch die beste digitale Ausstattung und Methodik unsere Schülerinnen und Schüler nicht zur weltbesten Bildung führen. Unseren Lehrern und Schulleitern muss und darf mehr Eigenverantwortung gegeben werden. Nur sie wissen, was unsere Schüler in den jeweiligen Einrichtungen brauchen. Weder Berlin noch die Landeshauptstädte können besser beurteilen als die Fachkräfte vor Ort, was konkret benötigt wird.
Zentral muss aber endlich sichergestellt werden, dass unsere Schulen bundesweit überprüfbar weltbeste Bildung vermitteln. Dafür müssen bundesweit einheitliche Bildungsstandards nicht nur wie aktuell von der Kultusministerkonferenz vereinbart, sondern endlich auch bundesweit kontrolliert und durchgesetzt werden. Eine „zwei“ in Mathe oder Deutsch muss überall in unserem Land eine verlässliche Kompetenzaussage darstellen und nicht nur einen Schätzwert. Sie darf vor allem keine Beruhigungspille nur für die Eltern sein. Gleichzeitig sind Eltern bei Erziehungsaufgaben wieder stärker in die Pflicht zu nehmen. Schule ist kein Raum, um sich selbst der eigenen Pflichten zu entledigen.
Neben der dringend gebotenen grundsätzlichen Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Schulen und damit der Kollegien vor Ort, müssen diese auch die erforderlichen finanziellen Mittel an die Hand bekommen, um den jungen Menschen die weltbeste Bildung mit auf den Lebensweg geben zu können. Derzeit fehlt es bereits an Mitteln, flächendeckend funktionierende Toiletten bereitstellen zu können. Es geht aber um weit mehr als die baulichen Gegebenheiten. Eine ausreichende Anzahl an Lehrkräften, multiprofessionelle Teams mit Förderschullehrkräften und Sozialarbeitern, auch schnelles Internet und digitale Lernmaterialen etc. sollten heute kein Luxus mehr an Schulen sein. Schaut man sich in der Welt um, sieht man, in nicht wenigen Staaten ist das bereits Standard. Unsere Schülerinnen und Schüler werden abgehängt im internationalen Vergleich und das muss sich schnell ändern.
Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Kommunen, Länder und Bund sollten deshalb gemeinsam direkt in die einzelnen Bildungseinrichtungen vor Ort investieren. Man könnte zum Beispiel einen Mehrwertsteuerpunkt aus dem bestehenden Mehrwertsteueraufkommen, an dem alle drei Ebenen beteiligt sind, zusätzlich in die Bildung investieren. Das wäre eine wirkliche Bildungsoffensive.
Nur durch eine umfassende Modernisierung unseres Bildungssystems im Hinblick auf Inhalte und Rahmen können wir den Weg zur weltbesten Bildung für jeden einschlagen. Inflationäre Notengebung ist hingegen nur eine Beruhigungspille, die uns unsere Zukunft verschlafen lässt.