09.11.2013FDPLiberalismus

BEER-Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

Berlin. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied NICOLA BEER schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

 

Wem gehört der Liberalismus?

 

„Es ist erstaunlich, welche Leidenschaft derzeit das Label „liberal“ hervorruft. Konservative und Sozialdemokraten, die gerade den Superstaat ausverhandeln, ja selbst Grüne beanspruchen ein vermeintliches Erbe, obwohl die FDP in Kommunen, Ländern und in Europa quicklebendig arbeitet. Ihr Ausscheiden aus dem Bundestag hinterlässt offenbar ein programmatisches Vakuum, das als attraktive Marktlücke empfunden wird.

 

Mehr denn je steht die FDP vor einer Bewährungsprobe; es geht um die Deutungshoheit ihres Identitätskerns. Wie keine andere politische Strömung ist Liberalismus erklärungsbedürftig. Nicht, weil diese Idee zu kompliziert oder zu abstrakt wäre. Es fehlt ihr aktuell an der Verankerung in Köpfen und Herzen. Zu sehr schmerzen gebrochene (Wahl-)Versprechen und fehlende Standhaftigkeit. Die Vasallentreue zur Union hat vor allem negative Zuschreibungen hervorgerufen; die FDP hat keine Lorbeeren dafür geerntet, Schlimmeres verhindert zu haben. In der Abgrenzung zu anderen Parteien hat sie den Eindruck erweckt, als sei sie marktgläubiger als der Wirtschaftsflügel der CDU und „unsozialer“ als die Agenda 2010.

 

Die FDP muss deshalb zuerst Respekt und Vertrauen zurückgewinnen. Sie hat zurzeit ein Image, das ihrer Sache nicht gerecht wird. Liberalismus ist keine kalte Idee, die Menschen allein lässt. Sein Ziel ist vielmehr, ausgehend vom Einzelnen, seinem Wohlergehen und seinen persönlichen Zielen, die Voraussetzungen eines selbstbestimmten Lebens zu gewährleisten. Werte, von denen Menschen in der ganzen Welt träumen und für die sie auf die Straße gehen. Eine Idee, die Volksparteien, erst recht grüne oder hellblaue Protestler nicht verkörpern.

 

Freie Demokraten unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von allen anderen, die liberale Ideen reklamieren: Für uns „gewährt“ nicht der Staat die Freiheit, sondern andersherum: Menschen sind frei, und darin findet der Staat seine Grenze. Die Befähigung des Einzelnen zu einem selbstbestimmten Leben ist Grundlage liberaler Politik, das heißt, dort zu handeln, wo Menschen am „Ausüben“ ihrer Freiheit gehindert werden – durch fehlende Bildungsangebote, mangelnde Chancen (beziehungsweise Chancengerechtigkeit), Arbeitslosigkeit, verkrustete wirtschaftliche Strukturen oder ausufernde Staatsverschuldung.

 

Wir müssen die liberale Idee nicht neu erfinden. Aber wir müssen den Menschen besser zuhören, wo und wie sie der Schuh drückt. Ultimativ und anlasslos vorgetragene Freiheitsbeschwörungen helfen den Menschen nicht, sie verkommen zu bloßen Worthülsen.

 

Liberale müssen sich wieder stärker um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft kümmern. Die FDP hat jede Kompetenzzuschreibung auf diesem Gebiet verloren. Dabei ist es urliberal, wenn von wirtschaftlichem Aufschwung alle profitieren: vom Arbeiter bis zum Unternehmer und auch diejenigen, die solidarischer Sicherung bedürfen. Dazu müssen wir beispielsweise mit denen, die eine Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich befürchten, gerade weil man anderer Meinung ist, engagiert debattieren, warum die Soziale Marktwirtschaft „Wohlstand für alle“ eher möglich macht als die andauernde Umverteilung.

 

Neben den Spiegel der Selbstkritik werden wir den Spiegel des Alltags aufstellen. Wir wollen dort ansetzen, wo Menschen sich unfair behandelt und unfrei fühlen. Wir werden dort anpacken, wo Menschen – gleich, ob Schulabgänger oder Rentnerin, Handwerksmeisterin oder Migrant – gehindert werden, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben.

 

Freiheit ist kein Privileg einer gut verdienenden oder gut ausgebildeten Schicht. Sie ist vielmehr ein Anspruch eines jeden Bürgers, Verantwortung für sich selbst, seine Familie, aber auch für seine Um- und Nachwelt übernehmen zu können. Dafür wollen wir klare rechtsstaatliche Regeln und faire Chancen gewährleisten. Dies bedeutet, sich auch um denjenigen zu kümmern, der Anschub oder Unterstützung benötigt. Hieran zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen FDP und AfD: Wir lassen niemanden zurück! Weder in Deutschland noch in Europa. Für uns sind Eigenverantwortung und Solidarität keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille.

 

Unser Weg zurück in den Bundestag führt mit Mut, Fleiß und frischen Ideen über den Alltag, über Angebote für und aus der Mitte der Gesellschaft. Eine neue Kultur des Dialogs nach innen und außen auf der Basis von Werten und Vernunft, vor allem aber den Menschen zugewandt; ohne belehrenden und bevormundenden Zeigefinger, sondern mit der ausgestreckten Hand der Partnerschaft.

 

Dass andere Parteien beanspruchen, liberal zu sein, ist Chance und Herausforderung zugleich. Gegenüber politischen Mitbewerbern haben wir einen enormen Vorteil: Für uns ist Liberalismus ein Lebensgefühl, nicht nur eine Marktlücke auf der Hatz nach Wählerstimmen.“

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