19.12.2016FDPFDP

BEER-Gastbeitrag: Formvollendet streitbar

Berlin. Zum Tode der langjährigen FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher schrieb die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER den folgenden Gastbeitrag für das Wochenmagazin „Forum“:

Wenn ich an Hildegard Hamm-Brücher denke, fällt mir der Begriff Haltung ein. Wie sie am Rednerpult stand: kerzengerade, aber nicht stramm. Eine Aufrechte, keine Parteisoldatin. Eine, die mit erhobenem Haupt für ihre Meinung und ihr Politikverständnis einstand, der ein erhobener Zeigefinger jedoch fremd war. Wo andere der öffentlichen Meinung hinterherliefen, handelte sie aus Überzeugung.

Hildegard Hamm-Brücher, die engagierte Protestantin mit jüdischen Wurzeln, definierte und verkörperte Liberalismus im Sinne von geistiger Unabhängigkeit. Unbeugsam und unbequem war sie, für politische Gegner genauso wie für politische Freunde. Die FDP hatte es nicht immer leicht mit ihr und umgekehrt. Genau das machte sie wohl zu dieser prägenden und wichtigen Persönlichkeit der Liberalen. Man konnte sich an ihr reiben und wuchs daran. „Nicht nur mit der Macht kann man Dinge verändern, sondern auch mit dem Wort, der eigenen Haltung und Einstellung“, sagte Hamm-Brücher und handelte danach.

Unvergessen ist ihre Rede anlässlich des konstruktiven Misstrauensvotums gegen Helmut Schmidt. Sie wollte Neuwahlen, brüskierte damit ihren Förderer Hans-Dietrich Genscher. In der viel beachteten Rede betonte sie, Helmut Schmidt verdiene es nicht, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Helmut Kohl verdiene es nicht, ohne ein solches Kanzler zu werden. Trotz belegter Verfassungskonformität des Instrumentes sah sie die Demokratie durch den Regierungswechsel qua Misstrauensvotum beschädigt. Hören wir heute, angesichts radikaler Ränder und zunehmenden Vertrauensverlustes in politische Institutionen und Parteien noch einmal hinein in ihren Plenarbeitrag vom 1. Oktober 1982: „Wir alle beklagen ja gemeinsam den Vertrauensschwund, vor allem bei der jungen Generation, und wir alle denken darüber nach, wie wir das ändern können, und wir alle haben die Pflicht, daraus dann auch Konsequenzen zu ziehen. Ich glaube, wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, wie wenig gefestigt unsere Demokratie immer noch ist und wie wenig überzeugend es für unsere Bürger ist, wenn in unserem Parlament immer nur vorgestanzte Partei- und Fraktionsmeinungen vom Blatt gelesen werden.“ Auch wenn die Wende von 1982 richtig war, verdient Respekt, dass Hildegard Hamm-Brücher in dieser historischen Stunde ihrem Gewissen gefolgt ist. Ihre Worte von damals sind heute aktueller denn je, geradezu visionär.

Bildung und Kultur waren für Hamm-Brücher unbestrittene Bestandteile, ja Grundlage einer demokratischen Gesellschaft. Als Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium und später im Bundesbildungsministerium kämpfte sie für faire Bildungschancen. Als Studentin hatte sie Kontakt zur Weißen Rose der Geschwister Scholl, wusste, dass Bildung kritische, hinterfragende Geister erschafft, die weniger empfänglich sind für demagogische Verführer. Sie wusste auch, dass Bildung allen Menschen offen stehen muss, damit sie unabhängig von finanziellen Voraussetzungen etwas aus ihrem Leben machen können. Auch hier zeigte sie sich als Visionärin, auch hier benannte sie früh Voraussetzungen, die heute noch aktuell sind. Kurz vor ihrem Tod haben zwei Bildungsstudien wieder belegt, dass Bildung in Deutschland immer noch eine Frage des sozialen Standes ist. Und deshalb kämpfen Freie Demokraten auch heute wie damals Hildegard Hamm-Brücher für die weltbeste Bildung für alle.

Mich hat geschmerzt, dass sie 2002 wegen einer antiisraelischen Episode die Partei verließ. Mein Mentor war Ignatz Bubis, der sich stets deutlich vernehmbar für das Existenzrecht des Staates Israel einsetzte und mich zum Engagement für eine versöhnte Gesellschaft über religiöse Grenzen hinweg motivierte. Er hätte zu den damaligen Debatten, wären sie zu seinen Lebzeiten geführt worden, bei den Freien Demokraten lautstark seine Stimme erhoben. Ich habe daher nicht verstanden, warum Hildegard Hamm-Brücher nicht weiter für ihre Sicht der Dinge kämpfte. Ihr Wort hätte Gewicht gehabt. Doch eine Loslösung bedeutete es nicht. Der Liberalismus eines Theodor Heuss, der einst die junge Journalistin aufgefordert hatte, in die Politik zu gehen, stellte trotz aller Kritik, trotz aller Enttäuschungen ein unlösbares Band dar zwischen der Partei und der Grande Dame der Liberalen. In der öffentlichen Wahrnehmung, wie auch parteiintern. Ein Band, das über den Tod hinaus reicht. Ich verneige mich mit Respekt und Dankbarkeit vor einer großen Persönlichkeit.

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