19.06.2013FDPGesundheitspolitik

BAHR-Interview für die "Süddeutsche Zeitung"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesgesundheitsminister DANIEL BAHR gab der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte GUIDO SCHWEISS-GERWIN:

Frage: Herr Bahr, seit einigen Wochen gibt es einen Gesetzentwurf zur Förderung der Prävention. Worauf zielt das Gesetz ab?

BAHR: Wir wollen erreichen, dass deutlich mehr Menschen als bisher von qualitätsgesicherten Präventionsleistungen der Krankenkassen profitieren. Viele Krankheiten können vermieden werden, wenn frühzeitig auf bekannte Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel oder auf psychische Belastungen Einfluss genommen wird. Wir wollen künftig die Krankenkassen verpflichten, ihre Ausgaben für präventive Leistungen zu intensivieren, das gilt insbesondere in Kindergärten, Schulen, Senioreneinrichtungen und in Betrieben. Gerade vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft ist es notwendig, frühzeitig Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Auch die Unternehmen bleiben vom demografischen Wandel nicht verschont. Deshalb bilden wir bei der betrieblichen Gesundheitsförderung einen besonderen Schwerpunkt. Wir wollen gerade diejenigen Menschen erreichen, die bislang wenige oder gar keine Präventionsangebote in Anspruch genommen haben.

Frage: Sie sprechen die demografische Entwicklung in den Unternehmen an. Warum ist das neue Gesetz aus Ihrer Sicht ein hilfreiches Instrument im demografischen Wandel?

BAHR: Die betriebliche Gesundheitsförderung liegt im ureigenen Interesse der Unternehmen. Die Gesundheit der Versicherten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Produktivität und den Unternehmenserfolg. Auch die Belegschaften werden immer älter. Daher sollten auch die Unternehmen Maßnahmen ergreifen, damit die Beschäftigten länger gesund bleiben. Wer rechtzeitig in die betriebliche Gesundheitsförderung investiert, gewinnt. Er kann einen Anstieg der Fehlzeiten verhindern und die Unternehmensattraktivität im Wettbewerb um Fachkräfte erhöhen. Hier setzen wir klar neue Akzente: Für die Ausgaben der Krankenkassen zur betrieblichen Gesundheitsförderung wird erstmals ein Mindestwert eingeführt. Im Ergebnis müssen die Krankenkassen künftig dreimal so viel wie bisher für Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung ausgeben. Natürlich sind die Unternehmen gefordert. Sie müssen sich bei der konkreten Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitsförderung einbringen. Diese Leistungen sind aber nur dann effektiv, wenn zuvor die Situation im Unternehmen einschließlich der Risiken und Potenziale analysiert worden ist.

Frage: Wie wollen Sie speziell kleine und mittlere Unternehmen, die in der Regel keinen Betriebsarzt haben, unterstützen?

BAHR: Sie sprechen einen Punkt an, der mir besonders am Herzen liegt: Die Großunternehmen haben beim Thema betriebliche Gesundheitsförderung meistens keinen Nachholbedarf. Sie verfügen in der Regel bereits über gute Programme in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Stressabbau. Deshalb wollen wir vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen ansprechen. Diese Unternehmen benötigen oftmals noch Hilfestellungen. Das betrifft die konkrete Organisation der betrieblichen Gesundheitsförderung, insbesondere die Frage, wer als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Unser Gesetzentwurf sieht daher vor, dass gemeinsame regionale Koordinierungsstellen der Krankenkassen unter Beteiligung örtlicher Unternehmensorganisationen - insbesondere die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern - Antworten auf solche Fragen geben. Dies ist eine wichtige Unterstützung für die kleinen und mittleren Unternehmen. Sie sollen sich verstärkt in der betrieblichen Gesundheitsförderung engagieren.

Frage: Wie sieht Ihrer Meinung nach eine altersgerechte Arbeitswelt vor dem Hintergrund einer betrieblichen Gesundheitsförderung aus?

BAHR: Eine altersgerechte Arbeitswelt setzt zunächst voraus, dass betriebliche Gesundheitsförderung flächendeckend sowohl in kleinen und mittleren als auch in großen Unternehmen verbreitet ist. Dafür haben wir jetzt die Weichen gestellt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass sich an der konkreten Ausgestaltung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung alle Betroffenen beteiligen und einbringen: Arbeitgeber, Belegschaft, Personalrat, Krankenkassen und Unfallversicherungsträger. Bei den erfolgreichen Projekten funktioniert das bereits. Ich bin zuversichtlich, dass die vielen positiven Beispiele Schule machen und es gelingen wird, das Engagement der Unternehmen in diesem Bereich deutlich zu erhöhen.

Frage: Welche Maßnahmen für ältere Beschäftigte hinsichtlich der Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation halten Sie für notwendig?

BAHR: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Es ist immer abhängig von der zu verrichtenden Arbeit und der Struktur der jeweiligen Unternehmen. Bei Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes wird es vorrangig um die alters- und gesundheitsgerechte Ausgestaltung der Produktionsabläufe gehen. In Dienstleistungsunternehmen wird hingegen häufig die Frage im Vordergrund stehen, wie durch eine Veränderung der Organisationsstrukturen Stressfaktoren reduziert werden können.

Frage: Ich erreiche mein Rentenalter in 20 Jahren. Sie müssen noch rund 30 Jahre arbeiten. Ist der Renteneintritt mit 67 im demografischen Wandel weiter tragfähig oder müssen künftige Generationen noch länger beschäftigungsfähig gehalten werden? Wie ist dazu Ihre Einschätzung?

BAHR: Die Erhöhung der Altersgrenze auf 67 bis zum Jahr 2029 war und ist notwendig, denn in den letzten 50 Jahren ist die Lebenserwartung um 11 Jahre gestiegen.
Bis 2029 ist es noch ein weiter Weg, den wir zur Stärkung des Generationenvertrages nutzen müssen. Wir haben jetzt weniger als 3 Millionen Arbeitslose und noch nie waren so viele Bürger sozialversicherungspflichtig tätig. Uns geht nicht die Arbeit, sondern uns gehen die Arbeitskräfte aus. Die Rente mit 67 soll auch dazu beitragen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt noch genügend Fachkräfte haben. Dies unterstützen wir unter anderem mit der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Die älter werdenden Generationen müssen sich frühzeitig auf das Alter vorbereiten. Ältere Mitarbeiter haben einen Schatz an Lebenserfahrung, Kompetenzen und Betriebswissen. Mit diesem Knowhow können sie sich z.B. auf den Vertrieb, die Ausbildung oder den Arbeitsschutz spezialisieren. Das sind alles Tätigkeiten, die auch bei nachlassenden körperlichen Kräften erfolgreich ausgeübt werden können. Wir sind inzwischen eine Gesellschaft des langen Lebens. Kluge Politik ist nachhaltig und altersfest. Nur durch eine zukunftsfähige, nachhaltige und demografiefeste Politik werden wir unser Land auch gut voranbringen. Da ist es durchaus zumutbar, dass von der gewonnenen Lebenserwartung ein zusätzlicher Teil auch in den Arbeitsprozess eingebracht wird. Es geht darum, eine generationengerechte Ausgewogenheit zwischen Arbeitsleben und Ruhestand zu erhalten.

Social Media Button