16.12.2012FDPGesundheitspolitik

BAHR-Interview für die "Bild am Sonntag"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesgesundheitsminister DANIEL BAHR gab der "Bild am Sonntag" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MARTIN S. LAMBECK und MICHAEL BACKHAUS:

Frage: Herr Minister, wie fühlt man sich, wenn nicht nur das eigene Ministerium, sondern man selbst von Lobbyisten ausgespäht wurde, wenn die andere Seite die eigenen Gedanken kennt?

BAHR: Ich war natürlich sauer, als Dinge aus dem eigenen Haus, die ich selber noch nicht gesehen hatte, in der Öffentlichkeit auftauchten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen einen Beschäftigten eines externen IT-Dienstleisters. Ich bin erleichtert, dass ich weiter meinen Mitarbeitern vertrauen kann.

Frage: Trägt der Apothekerverband die politische Verantwortung für die Ausspähaktion?

BAHR: Ich stelle zum jetzigen Zeitpunkt niemanden unter Generalverdacht. Ich erwarte aber vom Apothekerverband eine vollständige Aufklärung, ob eine Verbindung besteht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und wir haben Anzeige gegen unbekannt erstattet.

Frage: Der Einsatz klassischer Spionagemethoden als Teil von Lobbyarbeit ist ein bislang einmaliger Vorgang.

BAHR: Sollte sich bestätigen, dass Lobbyisten Geld für die Ausspähaktion gezahlt haben, dann wäre das eine Sauerei und inakzeptabel. Die Vorgänge müssen jetzt vollständig aufgeklärt werden. Aber noch laufen die Ermittlungen.

Frage: Wie nahe sind Ihnen die Datendiebe gekommen?

BAHR: Nach meinen Erkenntnissen sind weder der E-Mail-Verkehr von mir noch der von meinem Amtsvorgänger Philipp Rösler ausgespäht worden.
Frage: Können Sie ausschließen, dass die jetzt bekannt gewordene Form der Lobbyarbeit dazu geführt hat, dass Gesetze zum Nachteil der Steuerzahler oder der Versicherten und zum Vorteil der Apotheken in Kraft getreten sind?

BAHR: Das kann ich ausschließen. Apotheker leisten eine wichtige Aufgabe. Fakt ist: Keine Regierung zuvor hat so ehrgeizig gerade bei den Medikamentenausgaben gespart wie diese. Derzeit sparen wir zwei Milliarden Euro pro Jahr. Da ist es kein Wunder, wenn Lobbyisten Sturm dagegen laufen. Davon lasse ich mich als zuständiger Minister nicht beeindrucken, weil es in der Sache richtig war und ist. Alle Gruppen mussten ihren Beitrag dazu leisten, das Gesundheitssystem zu stabilisieren. Das ist gelungen, wie die Zahlen eindrucksvoll beweisen. Ich denke an die Patienten: Wir haben die Praxisgebühr abgeschafft und die Menschen entlastet.

Frage: Kriminalität gibt es auch bei der häuslichen Krankenpflege und bei der Pflegeversicherung. Meist werden dabei abgerechnete Pflegeleistungen gar nicht erbracht. Was tun Sie dagegen?

BAHR: Durch eine neue Regelung kann man nun besser gegen entsprechende Verdachtsfälle vorgehen. Am Freitag hat der Bundesrat mein Gesetz beschlossen, damit Krankenkassen und Sozialhilfeträger ihre Daten austauschen können. So wird es in Zukunft leichter, solche Betrugsfälle aufzudecken. Wir akzeptieren nicht, wenn Versichertengelder für Betrügereien draufgehen. Es macht den Solidargedanken im Gesundheitswesen kaputt, wenn sich einige betrügerisch bereichern.

Frage: Wie kann das sein: Jede Pflegeleistung wird nach Minuten bemessen, abgerechnet und häufig überwacht, und hier zockte eine kriminelle Bande unbemerkt Millionenbeträge ab?

BAHR: Hier kommt vieles zusammen, vor allem kriminelle Energie. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen muss bei solchen Verdachtsfällen prüfen, ob die Leistungen tatsächlich erbracht wurden. In dem von Bild am Sonntag in der letzten Woche geschilderten Fall gab es offenbar viele Beteiligte mit krimineller Energie, die sich abgestimmt haben. Das ist jetzt aufgeflogen. Solche Zustände dürfen wir nicht akzeptieren, deshalb haben wir ja das Gesetz geändert.

Frage: Wie erklären Sie es sich, dass nach einer aktuellen Umfrage jeder zweite Bundesbürger den Satz unterschreibt: Lieber tot als ein Pflegefall?

BAHR: Das macht mich sehr betroffen, und für mich ist es die falsche Schlussfolgerung, weil wir in Deutschland eine Versorgung haben, um die uns andere Länder beneiden. Menschen wollen in Würde ihren Lebensabend erleben. Und genau das stärken wir. Wir arbeiten für eine bessere Pflege und auch bessere Bezahlung in der Pflege. Das Thema Pflege gehört in die Mitte der Gesellschaft, denn es betrifft fast jeden.

Frage: Sie planen eine umfassende Kampagne zur gesundheitlichen Vorbeugung. Worum geht es Ihnen dabei?

BAHR: Wir wollen Anreize für eine stärkere Vorsorge setzen. Wenn wir jetzt in Prävention investieren, dann bleiben Menschen gesund und wir sparen wir später auch noch Kosten. Die Krankenkassen müssen künftig 6 Euro pro Versicherten, also über 400 Mio. Euro, für Prävention ausgeben. Damit müssen sie mehr für betriebliche Gesundheitsvorsorge und Projekte für sozial Schwache tun. Über die bisherigen Vorbeugemaßnahmen werden viele Menschen nämlich nicht erreicht.

Frage: Wozu braucht Deutschland eine neue Kampagne, wo an jeder Ecke ein Fitness-Studio bereitsteht?

BAHR: Aber nicht jeder Yogakurs, den die Krankenkasse bezahlt, ist auch ein nachhaltiger Erfolg. Präventionsmaßnahmen, die aus Beitragsgeldern bezahlt werden, müssen einen nachhaltigen Erfolg haben. Deshalb verpflichten wir die Kassen zu qualitätsgesicherten Präventionsmaßnahmen und richten eine Ständige Präventionskonferenz ein, um die Maßnahmen abzustimmen.

Frage: Die WHO sagt, Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. Begrüßen Sie daher die Absicht der EU-Kommission, die Anti-Raucher-Vorschriften noch vor Weihnachten deutlich zu verschärfen?

BAHR: Maßnahmen, die dazu führen, dass Menschen für ihre Gesundheit sorgen, begrüße ich. Ich will die Bürger von gesundheitsbewusstem Verhalten überzeugen und nicht gängeln oder bevormunden. Die einzelnen Vorschläge müssen jetzt diskutiert werden.

Frage: Wann werden die neuen Vorschriften in Deutschland Realität?

BAHR: Es handelt sich um einen Entwurf des Kommissars, der jetzt erst in die Kommission eingebracht werden muss. In diesem Stadium kann man für Deutschland überhaupt keine Aussage treffen.

Frage: Waren Sie jemals Raucher und wenn ja, was haben Sie geraucht?

BAHR: Ich habe Zigaretten geraucht, habe aber damit aufgehört, weil ich häufig erkältet war und letztlich gemerkt habe, dass es meiner Fitness nicht guttut.

Frage: Was sagt der Gesundheitsminister: Ist die FDP noch ein Fall für ein Präventionsprogramm oder schon ein Pflegefall?

BAHR: Die FDP ist quicklebendig und sie wird - obwohl schon oft totgesagt - noch lange leben, weil sie gebraucht wird.

Frage: Trauen Sie Philipp Rösler einen Wahlerfolg bei der Bundestagswahl zu?

BAHR: Ja. Die Menschen spüren, dass es ihnen mit einer FDP in Regierungsverantwortung besser geht. Die Union ist der SPD doch in vielem immer ähnlicher. Denken Sie nur an die Einheitsrente. Die FDP wird gebraucht!

Frage: Angela Merkel und Horst Seehofer trauen Rösler nicht mehr viel zu, reden schon ein Jahr vor der Wahl darüber, dass sie im Fall eines Scheiterns von Schwarz-Gelb mit allen anderen außer der Linkspartei verhandeln werden . . .

BAHR: Ich stelle fest: Immer wenn die Union in der Vergangenheit die Wähler im Unklaren darüber gelassen hat, mit wem sie regieren will, hat sie die Wahl verloren. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hat sie rumgeeiert, auch mit den Grünen geflirtet. Die Union schadet sich selbst, wenn sie beliebig wird.

Frage: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die FDP mit Philipp Rösler als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl geht?

BAHR: Das ist keine Frage der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Philipp Rösler ist als Parteivorsitzender die Nummer 1. Anders als 2009 sollten wir den Wahlkampf aber nicht nur auf eine Person ausrichten. Wir haben erfolgreiche Minister und eine erfolgreiche Fraktionsführung. Das spricht für einen Teamwahlkampf im kommenden Jahr.

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