FDPDas aktuelle Interview

Athen muss seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen

Christian LindnerChristian Lindner
02.06.2015

Allein diesen Monat soll Athen seinen Gläubigern 1,6 Milliarden Euro überweisen. Premierminister Alexis Tsipras solle Finanzminister Yannis Varoufakis feuern, fordert FDP-Chef Christian Lindner im „Handelsblatt“-Interview. „Das würde die Glaubwürdigkeit Griechenlands verbessern, wenn es auf den Reform-Pfad zurückkehren will“, verdeutlicht der Freidemokrat.

Dass Varoufakis noch im Amt sei, wertet Lindner als Indiz dafür, „dass es bis dato keinen Politikwechsel gegeben hat“. Eine 180-Grad-Wende von Tsipras wäre sowohl für die EU als auch für Griechenland gut, „denn der Grexit wäre unverändert politisch und ökonomisch riskant“, unterstreicht der FDP-Chef. Gefährlicher wäre allerdings falsches Entgegenkommen, da sonst auch andere Staaten in Europa ermutigt würden, „sich ebenfalls aus der Verantwortung zu stehlen“.

Lindner hebt hervor, dass die Krisenstrategie der EU, Finanzhilfen im Gegenzug zu Reformen bereitzustellen, dringend fortgesetzt werden müsse. „Wenn die Regierung Tsipras dazu jetzt bereit sein sollte, gut. Wenn nicht, kann es kein zusätzliches Geld geben, dann verabschiedet sich Athen selbst aus dem Euro.“

Völkerrecht verteidigen und im Dialog bleiben

Mit Blick auf den Ausschluss Russlands vom G7-Gipfel in Schloss Elmau gibt Lindner zu bedenken: „Die entschlossene Verteidigung des Völkerrechts darf nicht ausschließen, dass man Foren des Dialogs nutzt.“ Er machte deutlich, dass es in Europa nie wieder unfreie Vasallenstaaten geben dürfe. „Russland hat einen Platz im Haus Europa. Aber eben nur, wenn es sich an die Hausordnung hält und die Destabilisierung Mittel- und Osteuropas unterlässt.“

Christian Lindner im Interview mit dem "Handelsblatt"

Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Handelsblatt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten NILS RÜDEL und OLIVER STOCK:

Frage: Herr Lindner, eine gute Nachricht für Sie: Die AfD sagt den Parteitag ab, Ihr Konkurrent zerfleischt sich gerade selbst. Profitieren Sie davon, und spüren Sie Genugtuung?

LINDNER: Nein, die AfD ist mir egal. Das ist nicht unser Wettbewerber. Für uns sind Individualität, Weltoffenheit und Fortschritt wichtig. Damit sind die Freien Demokraten das Gegenteil der AfD.

Frage: Heißen Sie denn Ex-AfDler, die in die FDP eintreten wollen, bei Ihnen willkommen?

LINDNER: Es gibt tatsächlich Kommunalpolitiker der AfD, die einen Wechsel zu uns sondieren. Wir haben unserer Basis deshalb empfohlen, jedes Eintrittsgesuch aus der AfD kritisch zu prüfen. Die Aufnahme wird eher die Ausnahme bleiben.

Frage: Sie prüfen bei der AfD besonders streng?

LINDNER: Ja, wir würden es bei Eintritten aus der Linkspartei ja genauso halten. Wer die AfD bis in diese Tage noch gut gefunden hat, mit ihren Ressentiments und ihren völkischen Ideen, der passt nicht zu uns. Wir wollen liberale Überzeugungstäter.

Frage: Um wie viele Fälle geht es?

LINDNER: Ich habe kein Interesse daran, irgendwelche Zahlen zu verbreiten.

Frage: Würden Sie (AfD-Chef) Bernd Lucke aufnehmen?

LINDNER: Er sagt ja von sich selbst, er sei kein Liberaler. Das stimmt.

Frage: Und (EU-Parlamentarier) Hans-Olaf Henkel wieder zurücknehmen?

LINDNER: (lacht) Auch da habe ich meine Bedenken. Ich weiß, auf welche Schlagzeile Sie hinauswollen, aber das ist wirklich kein Thema.

Frage: Die AfD kann bei ihrem einstigen Kernthema, der Euro-Kritik, trotz griechischen Schuldendramas nicht punkten. Stattdessen fielen Sie zuletzt durch schärfere Töne Richtung Athen auf...

LINDNER: Die Krisenstrategie, die wir seit 2010 verfolgen, muss dringend fortgesetzt werden. Ja zu Hilfen –aber nur im Gegenzug zu marktwirtschaftlichen Reformen. Wenn die Regierung Tsipras dazu jetzt bereit sein sollte, gut. Wenn nicht, kann es kein zusätzliches Geld geben, dann verabschiedet sich Athen selbst aus dem Euro. Die Pläne der griechischen Regierung müssen also genau geprüft werden.

Frage: Tsipras und Finanzminister Varoufakis wollen ihre Wahlversprechen halten...

LINDNER: ...aber doch nicht auf Kosten Europas. Das ist das alte Denken, das die Krise verursacht hat – die Ausdehnung von Wohlfahrtsstaaten auf Pump. Dass Varoufakis noch im Amt ist, ist schon ein Indiz dafür, dass es bis dato keinen Politikwechsel gegeben hat. Als vertrauensbildende Maßnahme von Herrn Tsipras erwarte ich, dass dieser Finanzminister-Darsteller gefeuert wird. Das würde die Glaubwürdigkeit Griechenlands verbessern, wenn es auf den Reform-Pfad zurückkehren will.

Frage: Mit Tsipras selbst ist es aber auch nicht gerade leicht.

LINDNER: Europa darf sich nicht mehr erpressen lassen. Wir hoffen bei Herrn Tsipras auf eine 180-Grad-Wende. Das wäre gut für Griechenland und auch für uns, denn der Grexit wäre unverändert politisch und ökonomisch riskant. Aber gefährlicher wäre ein falsches Entgegenkommen gegenüber einer linkspopulistischen Regierung. Die Folge wäre doch, dass andere in Europa ermutigt werden, sich ebenfalls aus der Verantwortung zu stehlen.

Frage: Griechenland muss von sich aus wachsen. Wollen Sie nicht dabei helfen und dort Urlaub machen?

LINDNER: Wenn das helfen würde, würde ich das natürlich gerne machen. Aber alleine werden meine Frau und ich die Finanzmisere nicht lösen können (lacht). Entscheidend ist doch, dass die Standortbedingungen generell verbessert werden, damit wieder investiert wird. Wachstum kann der Staat nicht kaufen, aber durch gute Rahmensetzung ermöglichen. Also schlanke Bürokratie, besseres Gerichts- und Steuerwesen, Öffnung von geschlossenen Märkten, Privatisierungen und Kreditversorgung für den Mittelstand.

Frage: Lassen Sie uns kurz über Russland sprechen. Eckhard Cordes, Ostausschuss-Chef der deutschen Wirtschaft, vermisst Wladimir Putin beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Es sei ein Fehler gewesen, Russland aus dem Klub der G8 auszuschließen. Wie sehen Sie das?

LINDNER: Ich kann die Meinung von Herrn Cordes nachvollziehen. Es wäre sinnvoll, den Gesprächsfaden mit Putin nicht abreißen zu lassen.

Frage: Der Rauswurf Putins war eine Reaktion auf die Annexion der Krim im vergangenen Jahr.

LINDNER: Den Neoimperialismus von Putin kann man nur durch harte Sanktionen beantworten, selbst wenn sie unsere Wirtschaft treffen. Nie wieder darf es in Europa Vasallenstaaten geben, deren Selbstbestimmungsrecht beschnitten wird. Aber die entschlossene Verteidigung des Völkerrechts darf doch nicht ausschließen, dass man Foren des Dialogs nutzt.

Frage: Also bestrafen und gleichzeitig reden?

LINDNER: Wir wollen partnerschaftliche Beziehungen mit Russland. Ich kann mir auch Freihandel von Vancouver bis Wladiwostok vorstellen. Russland hat einen Platz im Haus Europa. Aber eben nur, wenn es sich an die Hausordnung hält und die Destabilisierung Mittel- und Osteuropas unterlässt.

Frage: Wer läuft sich eigentlich in der FDP als Außenpolitiker warm?

LINDNER: Wir haben mit Alexander Graf Lambsdorff einen exzellenten Mann, der unsere außenpolitische Linie sehr klug formuliert. Dialog Richtung Osten, aber in den Werten klare Verankerung im Westen.

Frage: Der nächste Außenminister? In den Umfragen reicht es ja jetzt rechnerisch für Schwarz-Gelb.

LINDNER: Ich freue mich über eine erste Stabilität in Umfragen, aber wir müssen nun noch viel konzentrierter arbeiten. Deshalb sind weit entfernt davon, über ein Regierungsprogramm, geschweige denn über Ressorts nachzudenken. Wir wollen Verantwortung übernehmen, aber nicht um jeden Preis.

Frage: Ist die Union der natürliche Partner?

LINDNER: (lächelt) Die sozialdemokratische Spielart der Union ist uns sicherlich näher als die sozialdemokratische Spielart der SPD. Aber es sind eben beides doch sozialdemokratische Parteien. Schauen Sie, jetzt sollten die Paternoster mit Führerscheinen ausgestattet werden, obwohl unsere Großeltern und Eltern über Jahrzehnte die Fahrten überlebt haben.

Frage: Die Paternoster-Debatte ist ein Glücksfall für die FDP.

LINDNER: Sie war ein Symbol. Ich wünsche mir einfach ein Land, das mehr Vertrauen in den Einzelnen setzt, den Einzelnen stark macht durch Bildung, dass er geschützt wird vor der Überbürokratisierung des Lebens und dass er nicht vom Staat abkassiert wird. Dafür suchen wir Verbündete.

Frage: Wollen Sie nach der Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen bleiben und ein paar Monate später nach dem erhofften Wiedereinzug nach Berlin gehen?

LINDNER: Ich will meine Arbeit ab Herbst 2017 im Deutschen Bundestag fortsetzen. Darüber lasse ich niemanden im Unklaren.

Frage: Wirtschaftspolitiker der Union haben Ihnen zu den Wahlerfolgen in Hamburg und Bremen gratuliert und freuen sich, dass die FDP wieder da ist. Schimmert da Schwarz-Gelb am Horizont auf?

LINDNER: Ich habe auch aus der SPD freundliche Nachrichten erhalten. Wir unterhalten Kontakte in alle Parteien hinein, natürlich insbesondere in die Union und mit kleinen Abstrichen auch in die SPD. Weniger zu den Grünen.

Frage: Wo liegen denn die Schnittmengen mit der Union?

LINDNER: Außenpolitisch bin ich mit der Bundeskanzlerin zufrieden. Gesellschaftspolitisch sehe ich bei der Union keinen Erneuerungsimpuls, nehmen Sie etwa die Tatsache, dass das katholische Irland bei der Homo-Ehe weiter ist als die CDU. Und in der Wirtschaftspolitik hat die Union keine eigenständige Linie. Gäbe es die, müsste man jetzt auf den Solidaritätszuschlag verzichten und Bürokratie abbauen.

Frage: Letzte Frage: Was machen wir denn mit der Fifa?

LINDNER: Einen Gegenverband gründen. Oder wenigstens damit drohen. Wenn die sauberen Verbände mit den sportlich besten Mannschaften, also die Europäer, sagen, wir machen bei dieser Blatter-Fifa nicht mit und organisieren mit den USA eine Gegenveranstaltung, dann hat das Potenzial, innerhalb der Fifa Veränderungen anzustoßen.

Frage: Sollten sich die Sponsoren zurückziehen?

LINDNER: Die Sponsoren können auch nicht mehr mit dieser Fifa zusammenarbeiten, übrigens auch nicht die öffentlich-rechtlichen Sender. Ich bin da für eine harte Linie. Wir müssen aufpassen, dass uns dieser großartige Sport nicht aus den Händen gleitet.

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