FDPDas aktuelle Interview

Arbeitsmarkt für Flüchtlinge öffnen

Christian LindnerChristian Lindner
06.10.2015

Die Freien Demokraten sind überzeugt, dass Arbeit der beste Integrationsmotor ist. FDP-Chef Christian Lindner kritisierte: "Die Entscheidungen der Großen Koalition seit 2013 haben die Hürden für Flüchtlinge erhöht und die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt gebremst." Im Interview mit dem "Westfalen Blatt" sprach er außerdem über die Landtagswahlen im kommenden Jahr und Verfassungspatriotismus.

Lindner stellte klar: "In der Flüchtlingskrise geht es nicht um parteipolitische Profilierung, sondern um die Lösung von objektiven Problemen." Deutschland brauche schnell ein Einwanderungsgesetz, "das von einer ungeordneten in eine geordnete Zuwanderung führt". Darüber hinaus sei ein Bündnis aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und Politik erforderlich, um Flüchtlinge erfolgreich in den Arbeitsmarkt und das gesellschaftliche Leben zu integrieren. Gegenüber dem "Handelsblatt" forderte er mit Blick auf Mindestlohnregelungen für Flüchtlinge: "Hier brauchen wir eine pragmatische Lösung."

Auf innere Liberalität stolz sein

Der FDP-Vorsitzende rief dazu auf, die Liberalität Deutschlands zu verteidigen, "zum Beispiel gegen Leute, die braune Parolen skandieren". Auf der anderen Seite müssten die Menschen willkommen geheißen werden, die sich zu den deutschen Verfassungswerten bekennen. "Dazu gehört die freie Entfaltung des Einzelnen, aber bei uns darf eben auch Satire über den Religionsstifter Mohammed gemacht werden. Da kann es für niemanden Rabatt geben - egal, ob Deutscher oder Zuwanderer", verdeutlichte Lindner.

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Frage: Wie kann die FDP das Megathema Flüchtlinge für sich besetzen?

LINDNER: In der Flüchtlingskrise geht es nicht um parteipolitische Profilierung, sondern um die Lösung von objektiven Problemen. Ich glaube, dass Deutschland vor dem Jahr 2017 ein Einwanderungsgesetz braucht, das von einer ungeordneten zu einer geordneten Zuwanderung führt. Und ich halte ein Bündnis für Integration in Arbeit für erforderlich. Bundesregierung, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften müssen solch ein Bündnis bilden. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind nicht alle so qualifiziert, dass sie den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes von Anfang an genügen können. Die Entscheidungen der Großen Koalition seit 2013 haben die Hürden für Flüchtlinge erhöht und die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt gebremst. Das muss jetzt neu diskutiert werden, wenn die Flüchtlingskrise keine echte und dauerhafte Integrationskrise werden soll.

Frage: Welche Haltung nehmen Sie als FDP-Vorsitzender in der Flüchtlingskrise ein?

LINDNER: Es wird jetzt ja immer gesagt, Deutschland werde und müsse sich verändern. Als Bundesvorsitzender der FDP sage ich, dass ich gerne in diesem Deutschland lebe. In einem Land, das zu Recht Grund hat, auf seine innere Liberalität stolz zu sein. Was soll ich denn an dieser Identität verändern wollen? Im Gegenteil, wir müssen diese Liberalität unseres Landes verteidigen, zum Beispiel gegen Leute, die braune Parolen skandieren. Und auf der anderen Seite müssen wir die Menschen willkommen heißen, die sich zu unseren Verfassungswerten bekennen. Dazu gehört die freie Entfaltung des Einzelnen, aber bei uns darf eben auch Satire über den Religionsstifter Mohammed gemacht werden. Da kann es für niemanden Rabatt geben – egal, ob Deutscher oder Zuwanderer. Integration setzt Verständnis über die eigene Identität voraus. Und mit Blick auf unsere liberale Verfassung und die Soziale Marktwirtschaft möchte ich diese defensive Haltung gerne überwinden.

Frage: Teilen Sie den Optimismus der Wirtschaft, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen ein Mittel gegen Fachkräftemangel sein kann?

LINDNER: Das ist alles andere als ein Selbstläufer, ich warne vor Naivität. Wir müssen bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen damit beginnen, die Qualifikation der Flüchtlinge zu prüfen. Daran anschließen sollten sich Orientierungspraktika in deutschen Betrieben, und zwar auch längere Praktika ohne Bezahlung nach Mindestlohn. Das Mindestlohngesetz muss dringend flexibilisiert werden, weil Flüchtlinge sonst dauerhaft ausgeschlossen sind. Der Übergang vom Flüchtling zur Fachkraft braucht Anlaufzeit und Möglichkeiten zur Zusatzqualifizierung. Ich warne davor, die Fehler zu wiederholen, die wir bei den Spätaussiedlern in den 80ern und 90ern gemacht haben. Da glaubte man auch, dass eine Handwerksausbildung in der Sowjetunion deutschen Anforderungen entspräche. Dem war nicht so.

Frage: Also kein Mindestlohn für Flüchtlinge mit geringer Qualifikation?

LINDNER: Bei Orientierungspraktika geht es darum, dass Flüchtlinge aus Solidarität einen Einstieg in unsere Arbeitswelt erhalten – als Beitrag zur Integration von Zehntausenden Menschen. Ihre Produktivität ist noch nicht hinreichend, um den Mindestlohn zu bekommen. Das müssen Arbeits- und Wirtschaftsministerium mit den Gewerkschaften diskutieren und Lösungen finden, damit aus den Chancen der Zuwanderung durch Staatsversagen keine Belastung wird. Die Chance ist kein Versprechen, daran muss gearbeitet werden.

Frage: Befürchten Sie vorerst eine Zuwanderung in Sozialsysteme und Niedriglohnsektor?

LINDNER: Klar ist, dass nicht überwiegend der Ingenieurnachwuchs zu uns kommt. Deswegen muss es für Flüchtlinge die Chance geben, einfache Tätigkeiten auszuüben. Das darf politisch nicht von vornherein zerstört werden. Wenn wir die gleichen Anforderungen an Flüchtlinge wie an deutsche Arbeitnehmer stellen und deutsche Löhne zahlen, dann wird es nicht viele Unternehmer geben, die dazu bereit sind. Hier muss die Bundesregierung neue Rahmenbedingungen schaffen. Denn genau an dieser Stelle hat die Große Koalition den Arbeitsmarkt verriegelt. Das wurde wegen der bisherigen Hochkonjunkturphase nicht so deutlich. Deswegen halte ich die lapidare Erklärung der Bundesarbeitsministerin, dass durch die Flüchtlinge die Arbeitslosenzahlen steigen würden, für eine Kapitulationserklärung. Frau Nahles muss etwas tun, um das zu verhindern.

Frage: Brauchen wir jetzt eine deutsche Leitkultur?

LINDNER: Die traditionellen Prägekräfte der deutschen Gesellschaft werden nachlassen, weil sich das Gesicht unseres Landes verändert. Deswegen brauchen wir einen ethischen Minimalkonsens wie in anderen Einwanderungsländern. Wir brauchen einen Verfassungspatriotismus wie in den USA. Dafür kann das Grundgesetz die Basis sein, unsere großartige liberale Verfassung. Das sind keine Spielregeln für Monopoly, das ist eine Werteordnung, die wir noch viel stärker wertschätzen müssen.

Frage: Sehen Sie die Integrationskraft der Gesellschaft in Gefahr?

LINDNER: Ich habe den Eindruck, dass unser bürokratisch hochgerüstetes Gemeinwesen augenblicklich in die Knie geht. Wenn Bürgermeister der Grünen öffentlich darüber spekulieren, Privatwohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmen zu wollen. Wenn der Staat mit seinem Polizeirecht in privates Eigentum eingreifen würde, wäre das vielleicht das Ende der Solidarität mit den Flüchtlingen.

Frage: Was muss jetzt konkret passieren?

LINDNER: Der Westbalkan muss zum sicheren Herkunftsgebiet erklärt werden, dazu brauchen wir eine Visapflicht für diese Länder und eine konsequente Rückführung der abgelehnten Asylbewerber in ihre Heimatländer. Damit schaffen wir Platz in den Unterkünften für asylberechtigte Flüchtlinge, deren Altanträge nicht bearbeitet sind. Das bringt Tempo ins Verfahren und nimmt Druck von den Kommunen.

Frage: Wird die Flüchtlingskrise auch die für die FDP sehr wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März bestimmen?

LINDNER: Natürlich werden die Wahlen davon beeinflusst. Aber wir wenden uns an Wähler, die über die Flüchtlingskrise hinaus in Sorge um unser Land sind. Ich habe das Gefühl, dass Deutschland dabei ist, seine gegenwärtige Stärke schon wieder zu verspielen. Der Grund ist eine Regierung, die seit 2013 das einzige politische Problem in der Verteilung des Wohlstands sieht. Griechenland, Flüchtlinge, Chinas Krise, niedrige Zinsen – die Risiken nehmen zu. Deutschland braucht ein Update, um seine Wirtschaftsfähigkeit zu steigern.

Frage: Sie haben gesagt, dass Angela Merkel ihren Zenit überschritten habe. Wie haben Sie das gemeint?

LINDNER: Der Nimbus der Kanzlerin ist jetzt durch ihre folgenreichen Fehler im Zuge der Flüchtlingskrise beeinträchtigt. Sie hat ihre Arme für Flüchtlinge geöffnet und sie eine Woche später wieder geschlossen. Dadurch hat sie einen enormen Sog nach Deutschland provoziert und ihn dann bei unseren Nachbarn und Partnern belassen, die nicht in die deutschen Alleingänge eingebunden waren. Dieser Fehler wird uns lange beschäftigen.

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