FDPFlüchtlingeAnkara muss umdenken
Alexander Graf Lambsdorff06.10.2015Die Türkei ist ein wichtiges Transit- und Aufnahmeland für Flüchtlinge aus Syrien. FDP-Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff plädiert für mehr Dialog mit der Türkei: "Die Türkei ist durch ihre geografische Lage ein natürlicher, aber gleichzeitig schwieriger Partner. Aber es führt kein Weg daran vorbei, mit ihr darüber zu reden, wie man den Flüchtlingsstrom besser handhaben kann."
In der Türkei sind zwei Millionen Syrer in Flüchtlingslagern untergekommen, die Kosten hierfür betragen sieben Milliarden Euro. Der Vizepräsident des Europaparlaments erklärte gegenüber der "Funke-Mediengruppe": "Ankara leistet schon viel. Die Flüchtlinge werden im Großen und Ganzen vorbildlich aufgenommen. Das bessere Management des Flüchtlingsstroms einerseits und die Stabilisierung der Region andererseits sind Aufgaben, die man partnerschaftlich angehen sollte, und nicht nach dem Prinzip 'Gib du mir, dann geb ich dir'."
Lesen Sie hier das gesamte Interview
Frage: Graf Lambsdorff, EU-Ratspräsident Tusk fordert „die Politik der offenen Türen und Fenster zu korrigieren“. Ist die Türkei dafür der richtige Partner?
LAMBSDORFF: Die Türkei ist durch ihre geografische Lage ein natürlicher, aber gleichzeitig schwieriger Partner. Aber es führt kein Weg daran vorbei, mit ihr darüber zu reden, wie man den Flüchtlingsstrom besser handhaben kann. Klar ist: Ohne die Türkei ist eine längerfristige Lösung nicht denkbar.
Frage: Die Türkei lässt Schlepper gewähren – ist das eine Strategie, um die EU unter Druck zu setzen?
LAMBSDORFF: Das ist Spekulation. Tatsache ist, dass Erdogan die Türkei immer weiter von Europa entfernt hat. Seine Hauptsorge ist aber im Moment der nicht erklärte Krieg gegen die Kurden im Vorfeld der Wahlen, wo er seiner Partei eine verfassungsändernde Mehrheit sichern will.
Frage: Zwei Millionen Syrer haben in der Türkei Zuflucht gefunden, Kosten über sieben Milliarden Dollar. Die EU hat kaum Hilfe geleistet. Was sollte sie beisteuern?
LAMBSDORFF: Der EU-Gipfel hat eine Milliarde Euro freigegeben. Das wird nicht reichen, um über den bevorstehenden Winter zu kommen. Die Uno leistet Großes in den Flüchtlingslagern, es ist klar, dass sie dafür ausreichend finanziert werden muss. Und das ist erheblich weniger, als wir hier vor Ort ausgeben müssten, wenn noch mehr Menschen aus den Lagern zu uns kämen.
Frage: Welche Gegenleistung kann die EU für mehr Hilfe verlangen?
LAMBSDORFF: Ankara leistet schon viel. Die Flüchtlinge werden im Großen und Ganzen vorbildlich aufgenommen. Das bessere Management des Flüchtlingsstroms einerseits und die Stabilisierung der Region andererseits sind Aufgaben, die man partnerschaftlich angehen sollte, und nicht nach dem Prinzip „Gib du mir, dann geb ich dir“.
Frage: Ist die visafreie Einreise in die EU in diesem Zusammenhang diskutabel?
LAMBSDORFF: Es gibt hier keinen Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage. Als Freie Demokraten fordern wir seit langem Erleichterungen insbesondere für Geschäftsleute, Studenten, Künstler. Für vollständige Visafreiheit ist es zu früh. Wenn die Lage sich stabilisiert hat, kann man über freien Reiseverkehr reden – für viele Türkinnen und Türken ist das ja das Hauptproblem in den Beziehungen zu Europa.
Frage: Wird Erdogan versuchen, mit dem Migrationshebel den Widerstand gegen den EU-Beitritt zu brechen?
LAMBSDORFF: Es würde ihm jedenfalls nicht gelingen. Die Skepsis gegen einen Beitritt in der EU ist zu groß. So wie sich die Türkei derzeit darstellt, vor allem bei Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, passt sie nicht in eine EU, die diesen liberalen Grundwerten verpflichtet ist.
Frage: Müssen die wohlbegründeten Vorbehalte gegen Erdogan dem Interesse an Migrationskontrolle geopfert werden?
LAMBSDORFF: Nein. Wir brauchen einen respektvollen, konstruktiven Umgang mit der Türkei, auch wenn uns nicht alles gefällt, was der Präsident und seine Regierung tun. Aber die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist ein Thema. Die Bemühungen der AKP, vor den Wahlen die Pressefreiheit einzuschränken und die Opposition einzuschüchtern, sind ein anderes – die Kritik daran bleibt unverändert.
Frage: Auch wenn Erdogan Anfang Oktober nach Brüssel kommt?
LAMBSDORFF: Die Bundesregierung hat dazu in den letzten Jahren leider geschwiegen. Das muss man im Dialog mit der Türkei viel stärker ansprechen. Nur: Derzeit stehen die Flüchtlingsfrage und die Stabilisierung Syriens ganz oben – das sind die Prioritäten.
Frage: In Syrien bietet Russland, Schutzmacht von Präsident Assad, einen gemeinsamen Kampf gegen den IS an. Die Türkei betreibt den Sturz Assads. Was soll die EU tun?
LAMBSDORFF: Die Türkei, die EU, die USA und Russland müssen ähnlich wie im Atomstreit mit Iran eine diplomatische Kontaktgruppe bilden, um die Lage in Syrien zu stabilisieren. Das kann man nur mit, nicht gegen Assad erreichen. Insofern ist Ankara hier zum Umdenken aufgefordert.
Ankara muss umdenken
Alexander Graf LambsdorffDie Türkei ist ein wichtiges Transit- und Aufnahmeland für Flüchtlinge aus Syrien. FDP-Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff plädiert für mehr Dialog mit der Türkei: "Die Türkei ist durch ihre geografische Lage ein natürlicher, aber gleichzeitig schwieriger Partner. Aber es führt kein Weg daran vorbei, mit ihr darüber zu reden, wie man den Flüchtlingsstrom besser handhaben kann."
In der Türkei sind zwei Millionen Syrer in Flüchtlingslagern untergekommen, die Kosten hierfür betragen sieben Milliarden Euro. Der Vizepräsident des Europaparlaments erklärte gegenüber der "Funke-Mediengruppe": "Ankara leistet schon viel. Die Flüchtlinge werden im Großen und Ganzen vorbildlich aufgenommen. Das bessere Management des Flüchtlingsstroms einerseits und die Stabilisierung der Region andererseits sind Aufgaben, die man partnerschaftlich angehen sollte, und nicht nach dem Prinzip 'Gib du mir, dann geb ich dir'."
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Frage: Graf Lambsdorff, EU-Ratspräsident Tusk fordert „die Politik der offenen Türen und Fenster zu korrigieren“. Ist die Türkei dafür der richtige Partner?
LAMBSDORFF: Die Türkei ist durch ihre geografische Lage ein natürlicher, aber gleichzeitig schwieriger Partner. Aber es führt kein Weg daran vorbei, mit ihr darüber zu reden, wie man den Flüchtlingsstrom besser handhaben kann. Klar ist: Ohne die Türkei ist eine längerfristige Lösung nicht denkbar.
Frage: Die Türkei lässt Schlepper gewähren – ist das eine Strategie, um die EU unter Druck zu setzen?
LAMBSDORFF: Das ist Spekulation. Tatsache ist, dass Erdogan die Türkei immer weiter von Europa entfernt hat. Seine Hauptsorge ist aber im Moment der nicht erklärte Krieg gegen die Kurden im Vorfeld der Wahlen, wo er seiner Partei eine verfassungsändernde Mehrheit sichern will.
Frage: Zwei Millionen Syrer haben in der Türkei Zuflucht gefunden, Kosten über sieben Milliarden Dollar. Die EU hat kaum Hilfe geleistet. Was sollte sie beisteuern?
LAMBSDORFF: Der EU-Gipfel hat eine Milliarde Euro freigegeben. Das wird nicht reichen, um über den bevorstehenden Winter zu kommen. Die Uno leistet Großes in den Flüchtlingslagern, es ist klar, dass sie dafür ausreichend finanziert werden muss. Und das ist erheblich weniger, als wir hier vor Ort ausgeben müssten, wenn noch mehr Menschen aus den Lagern zu uns kämen.
Frage: Welche Gegenleistung kann die EU für mehr Hilfe verlangen?
LAMBSDORFF: Ankara leistet schon viel. Die Flüchtlinge werden im Großen und Ganzen vorbildlich aufgenommen. Das bessere Management des Flüchtlingsstroms einerseits und die Stabilisierung der Region andererseits sind Aufgaben, die man partnerschaftlich angehen sollte, und nicht nach dem Prinzip „Gib du mir, dann geb ich dir“.
Frage: Ist die visafreie Einreise in die EU in diesem Zusammenhang diskutabel?
LAMBSDORFF: Es gibt hier keinen Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage. Als Freie Demokraten fordern wir seit langem Erleichterungen insbesondere für Geschäftsleute, Studenten, Künstler. Für vollständige Visafreiheit ist es zu früh. Wenn die Lage sich stabilisiert hat, kann man über freien Reiseverkehr reden – für viele Türkinnen und Türken ist das ja das Hauptproblem in den Beziehungen zu Europa.
Frage: Wird Erdogan versuchen, mit dem Migrationshebel den Widerstand gegen den EU-Beitritt zu brechen?
LAMBSDORFF: Es würde ihm jedenfalls nicht gelingen. Die Skepsis gegen einen Beitritt in der EU ist zu groß. So wie sich die Türkei derzeit darstellt, vor allem bei Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, passt sie nicht in eine EU, die diesen liberalen Grundwerten verpflichtet ist.
Frage: Müssen die wohlbegründeten Vorbehalte gegen Erdogan dem Interesse an Migrationskontrolle geopfert werden?
LAMBSDORFF: Nein. Wir brauchen einen respektvollen, konstruktiven Umgang mit der Türkei, auch wenn uns nicht alles gefällt, was der Präsident und seine Regierung tun. Aber die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist ein Thema. Die Bemühungen der AKP, vor den Wahlen die Pressefreiheit einzuschränken und die Opposition einzuschüchtern, sind ein anderes – die Kritik daran bleibt unverändert.
Frage: Auch wenn Erdogan Anfang Oktober nach Brüssel kommt?
LAMBSDORFF: Die Bundesregierung hat dazu in den letzten Jahren leider geschwiegen. Das muss man im Dialog mit der Türkei viel stärker ansprechen. Nur: Derzeit stehen die Flüchtlingsfrage und die Stabilisierung Syriens ganz oben – das sind die Prioritäten.
Frage: In Syrien bietet Russland, Schutzmacht von Präsident Assad, einen gemeinsamen Kampf gegen den IS an. Die Türkei betreibt den Sturz Assads. Was soll die EU tun?
LAMBSDORFF: Die Türkei, die EU, die USA und Russland müssen ähnlich wie im Atomstreit mit Iran eine diplomatische Kontaktgruppe bilden, um die Lage in Syrien zu stabilisieren. Das kann man nur mit, nicht gegen Assad erreichen. Insofern ist Ankara hier zum Umdenken aufgefordert.