FDPFlüchtlingspolitikAbschottung Deutschlands wäre ein Debakel
Alexander Graf Lambsdorff befürwortet eine gemeinsame europaweite Grenzschutzagentur20.01.2016Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, hat eine Schließung der Grenzen innerhalb Europas vehement abgelehnt. "Die Schließung der deutschen Grenzen wäre ein Debakel – für die Flüchtlinge ebenso wie für unsere Wirtschaft und die deutschen Bürger", stellte der Freidemokrat im "ZDF-Morgenmagazin" klar. Er fordert stattdessen gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung der EU-Außengrenzen.
"Es macht doch keinen Sinn, wenn unsere Bundespolizisten die deutsche Grenze schützen, aber der Druck in Griechenland wächst ins Unermessliche – das sind Bilder, die wir in Europa nicht wollen", mahnte Lambsdorff. Vielmehr müssten die europäischen Außengrenzen besser geschützt werden. Hier sei eine europaweite Grenzschutzagentur dringend nötig. Er rief die Bundeskanzlerin auf, entschlossen dafür einzutreten.
Deutschland hat Mitschuld an Flüchtlingskrise
Lambsdorff gab außerdem zu bedenken, dass auch Deutschland eine Mitschuld am Flüchtlingszustrom nach Europa habe. Der Freidemokrat verwies darauf, dass die Bundesregierung ihre Zuschüsse für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr um 50 Prozent zusammengestrichen hatte. Den Flüchtlingen, die sich in der Türkei, im Libanon und Jordanien aufhielten, habe deshalb die Mittel zur Ernährung ihrer Kinder gefehlt. "Das war ein ganz wesentlicher Faktor für die Flucht", konstatierte er.
Hier können Sie das Gespräch in voller Länge ansehen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview.
Was würde passieren, wenn es Grenzschließungen geben würde?
Also einige Bilder haben wir schon gesehen – Flüchtlinge würden an der Grenze in der Eiseskälte campieren müssen. Die deutsche Wirtschaft würde schwer leiden, weil viele Produktionsprozesse empfindlich gestört würden. Und wenn Sie aus Mallorca zurückkommen, dann würden Sie sich erst mal in Düsseldorf oder Stuttgart zwei Stunden in die Passkontrolle einreihen müssen, weil ja gleichzeitig die Maschinen aus Wien und Paris auch noch gelandet sind. Also das wäre in jeder Hinsicht eine ganz, ganz schlechte Nachricht – nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für unsere Wirtschaft und auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Man konzentriert sich ja jetzt auf die Sicherung der Außengrenzen, jeden Tag hört man das. Wie weit dürfen oder sollen die Länder eigentlich gehen dabei?
Ich bin etwas ärgerlich, wenn ich den österreichischen Außenminister diese Dinge da sagen höre, man wolle jetzt die nationalen Grenzen dichtmachen. Man merkt doch, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten alleine dieser Sache nicht mehr Herr werden. Man muss das gemeinsam europäisch machen. Und es sind Regierungen wie die österreichische, aber leider, das muss man so deutlich sagen, auch die deutsche, die 15 Jahre lang verhindert haben, das, was hier aus Brüssel vorgeschlagen wurde, nämlich einen echten europäischen Grenzschutz aufzubauen. Den brauchen wir jetzt dringender denn je. Wir müssen Griechenland helfen, unten die Außengrenze zu stabilisieren. Das ist das Gebot der Stunde.
Noch mal ganz konkret, man kann ja nicht jetzt 15 Jahre zurückschauen. Wer ist denn wirklich verantwortlich für das aktuelle Desaster?
Nun, für das aktuelle Desaster ist ganz klar die Bundesregierung und spezifisch die Bundeskanzlerin verantwortlich. Sie hat aus einem vielleicht nachvollziehbaren menschlichen Impuls, ohne sich mit den europäischen Partnern abzustimmen vorher, die Grenzen aufgerissen, eine Magnetwirkung entfacht in Deutschland. Die Leute kommen alle zu uns. Nach zwei Wochen wird die Grenze genauso chaotisch wieder geschlossen. Und jetzt ruft die Bundesregierung hilflos nach der Solidarität der anderen in der Europäischen Union. Die sagen natürlich: Ihr hättet vorher mit uns reden müssen; Frau Merkel hat bei uns nicht angerufen vorher; jetzt will sie unsere Hilfe. Und das ist natürlich schwierig, denn auch diese Länder haben ganz heftige demokratische Debatten. Und auch die haben Rechtspopulisten, die die Regierungen bedrängen.
Und daraus folgt?
Daraus folgt, dass es jetzt höchste Zeit ist, dass wir nicht nationale Optionen diskutieren, sondern endlich Ernst machen wirklich mit einer aktiven Unterstützung der Griechen, der Italiener, aller, die eine europäische Außengrenze haben. Es macht doch keinen Sinn, wenn unsere Bundespolizisten die deutsche Grenze schützen, aber der Druck in Griechenland und ab dem Sommer auch wieder in Italien wächst ins Unermessliche. Das sind Bilder, die wir in Europa nicht wollen. Wir brauchen einen europäischen Grenzschutz und, das gehört dazu, eine aktivere Außenpolitik als bisher. Wir haben beim Iran gesehen, dass Diplomatie funktionieren kann. Wir brauchen auch Erfolge in der Diplomatie zu Syrien.
Die Geduld ist wirklich am Ende und die Solidarität für viele auch. Das heißt, wenn jetzt die osteuropäischen Staaten nicht mitmachen wollen, zum Beispiel bei der Verteilungsquote, wie soll es dann überhaupt weitergehen in der Sache? Also Sie plädieren da tatsächlich auf „reden, reden, reden“?
Nein, ganz im Gegenteil Herr Sirin, das habe ich ja ganz deutlich gesagt. Als Freier Demokrat und als Europäer: Ich will die Reisefreiheit erhalten. Wenn die Reisefreiheit eingeschränkt wird, das ist Verlust von Lebenszeit, von Lebensqualität für Millionen von Menschen in Europa. Und deswegen brauchen wir den Aufbau einer Behörde, eine europäische Grenzschutzagentur mit eigenen Schiffen, mit eigenen Beamten, die auf eigene Initiative zum Beispiel auf griechischen Inseln aktiv werden kann, wenn dort tausendfach unkontrollierter Grenzüberschritt geschieht. Genau das ist jetzt nötig. Wir brauchen also mit anderen Worten die europäische Lösung, und zwar schnell. Das heißt, die Mitgliedsstaaten müssen sich jetzt bewegen. Und auch Thomas de Maizière und Angela Merkel müssen endlich den Fuß von der Bremse nehmen beim Aufbau dieses europäischen Grenzschutzes.
Wenn ich das richtig verstanden habe, hapert es oftmals auch an der Überweisung der Gelder. Und das kann man jetzt der Bundesregierung nicht gerade vorwerfen, dass man da jetzt nichts überwiesen hätte. Viele zieren sich und wollen einfach nicht überweisen oder investieren in einen gemeinsamen Grenzschutz.
Ja, das ist jetzt das Geld für die Türkei. Aber es hat eine viel schlimmere Nicht-Überweisung gegeben, wo die Bundesregierung dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in diesem Jahr beziehungsweise im letzten, 2015, die Zuschüsse um 50 Prozent zusammengestrichen hat. Das ist das Geld, das die Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon, in Jordanien bekommen haben, um ihre Familien zu ernähren. Deutschland hat die Hälfte gestrichen. Österreich hat 100 Prozent gestrichen. Und diese Leute hatten kein Geld mehr, um ihre Kinder zu ernähren, haben sich dann aufgemacht, auf die Flucht. Das war ein ganz wesentlicher Faktor für die Flucht. Verantwortlich dafür ist der CSU-Minister Gerd Müller, der Entwicklungshilfeminister. Der hat die Vereinten Nationen im Regen stehen lassen.
Abschottung Deutschlands wäre ein Debakel
Alexander Graf Lambsdorff befürwortet eine gemeinsame europaweite GrenzschutzagenturDer Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, hat eine Schließung der Grenzen innerhalb Europas vehement abgelehnt. "Die Schließung der deutschen Grenzen wäre ein Debakel – für die Flüchtlinge ebenso wie für unsere Wirtschaft und die deutschen Bürger", stellte der Freidemokrat im "ZDF-Morgenmagazin" klar. Er fordert stattdessen gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung der EU-Außengrenzen.
"Es macht doch keinen Sinn, wenn unsere Bundespolizisten die deutsche Grenze schützen, aber der Druck in Griechenland wächst ins Unermessliche – das sind Bilder, die wir in Europa nicht wollen", mahnte Lambsdorff. Vielmehr müssten die europäischen Außengrenzen besser geschützt werden. Hier sei eine europaweite Grenzschutzagentur dringend nötig. Er rief die Bundeskanzlerin auf, entschlossen dafür einzutreten.
Deutschland hat Mitschuld an Flüchtlingskrise
Lambsdorff gab außerdem zu bedenken, dass auch Deutschland eine Mitschuld am Flüchtlingszustrom nach Europa habe. Der Freidemokrat verwies darauf, dass die Bundesregierung ihre Zuschüsse für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr um 50 Prozent zusammengestrichen hatte. Den Flüchtlingen, die sich in der Türkei, im Libanon und Jordanien aufhielten, habe deshalb die Mittel zur Ernährung ihrer Kinder gefehlt. "Das war ein ganz wesentlicher Faktor für die Flucht", konstatierte er.
Hier können Sie das Gespräch in voller Länge ansehen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview.
Was würde passieren, wenn es Grenzschließungen geben würde?
Also einige Bilder haben wir schon gesehen – Flüchtlinge würden an der Grenze in der Eiseskälte campieren müssen. Die deutsche Wirtschaft würde schwer leiden, weil viele Produktionsprozesse empfindlich gestört würden. Und wenn Sie aus Mallorca zurückkommen, dann würden Sie sich erst mal in Düsseldorf oder Stuttgart zwei Stunden in die Passkontrolle einreihen müssen, weil ja gleichzeitig die Maschinen aus Wien und Paris auch noch gelandet sind. Also das wäre in jeder Hinsicht eine ganz, ganz schlechte Nachricht – nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für unsere Wirtschaft und auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Man konzentriert sich ja jetzt auf die Sicherung der Außengrenzen, jeden Tag hört man das. Wie weit dürfen oder sollen die Länder eigentlich gehen dabei?
Ich bin etwas ärgerlich, wenn ich den österreichischen Außenminister diese Dinge da sagen höre, man wolle jetzt die nationalen Grenzen dichtmachen. Man merkt doch, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten alleine dieser Sache nicht mehr Herr werden. Man muss das gemeinsam europäisch machen. Und es sind Regierungen wie die österreichische, aber leider, das muss man so deutlich sagen, auch die deutsche, die 15 Jahre lang verhindert haben, das, was hier aus Brüssel vorgeschlagen wurde, nämlich einen echten europäischen Grenzschutz aufzubauen. Den brauchen wir jetzt dringender denn je. Wir müssen Griechenland helfen, unten die Außengrenze zu stabilisieren. Das ist das Gebot der Stunde.
Noch mal ganz konkret, man kann ja nicht jetzt 15 Jahre zurückschauen. Wer ist denn wirklich verantwortlich für das aktuelle Desaster?
Nun, für das aktuelle Desaster ist ganz klar die Bundesregierung und spezifisch die Bundeskanzlerin verantwortlich. Sie hat aus einem vielleicht nachvollziehbaren menschlichen Impuls, ohne sich mit den europäischen Partnern abzustimmen vorher, die Grenzen aufgerissen, eine Magnetwirkung entfacht in Deutschland. Die Leute kommen alle zu uns. Nach zwei Wochen wird die Grenze genauso chaotisch wieder geschlossen. Und jetzt ruft die Bundesregierung hilflos nach der Solidarität der anderen in der Europäischen Union. Die sagen natürlich: Ihr hättet vorher mit uns reden müssen; Frau Merkel hat bei uns nicht angerufen vorher; jetzt will sie unsere Hilfe. Und das ist natürlich schwierig, denn auch diese Länder haben ganz heftige demokratische Debatten. Und auch die haben Rechtspopulisten, die die Regierungen bedrängen.
Und daraus folgt?
Daraus folgt, dass es jetzt höchste Zeit ist, dass wir nicht nationale Optionen diskutieren, sondern endlich Ernst machen wirklich mit einer aktiven Unterstützung der Griechen, der Italiener, aller, die eine europäische Außengrenze haben. Es macht doch keinen Sinn, wenn unsere Bundespolizisten die deutsche Grenze schützen, aber der Druck in Griechenland und ab dem Sommer auch wieder in Italien wächst ins Unermessliche. Das sind Bilder, die wir in Europa nicht wollen. Wir brauchen einen europäischen Grenzschutz und, das gehört dazu, eine aktivere Außenpolitik als bisher. Wir haben beim Iran gesehen, dass Diplomatie funktionieren kann. Wir brauchen auch Erfolge in der Diplomatie zu Syrien.
Die Geduld ist wirklich am Ende und die Solidarität für viele auch. Das heißt, wenn jetzt die osteuropäischen Staaten nicht mitmachen wollen, zum Beispiel bei der Verteilungsquote, wie soll es dann überhaupt weitergehen in der Sache? Also Sie plädieren da tatsächlich auf „reden, reden, reden“?
Nein, ganz im Gegenteil Herr Sirin, das habe ich ja ganz deutlich gesagt. Als Freier Demokrat und als Europäer: Ich will die Reisefreiheit erhalten. Wenn die Reisefreiheit eingeschränkt wird, das ist Verlust von Lebenszeit, von Lebensqualität für Millionen von Menschen in Europa. Und deswegen brauchen wir den Aufbau einer Behörde, eine europäische Grenzschutzagentur mit eigenen Schiffen, mit eigenen Beamten, die auf eigene Initiative zum Beispiel auf griechischen Inseln aktiv werden kann, wenn dort tausendfach unkontrollierter Grenzüberschritt geschieht. Genau das ist jetzt nötig. Wir brauchen also mit anderen Worten die europäische Lösung, und zwar schnell. Das heißt, die Mitgliedsstaaten müssen sich jetzt bewegen. Und auch Thomas de Maizière und Angela Merkel müssen endlich den Fuß von der Bremse nehmen beim Aufbau dieses europäischen Grenzschutzes.
Wenn ich das richtig verstanden habe, hapert es oftmals auch an der Überweisung der Gelder. Und das kann man jetzt der Bundesregierung nicht gerade vorwerfen, dass man da jetzt nichts überwiesen hätte. Viele zieren sich und wollen einfach nicht überweisen oder investieren in einen gemeinsamen Grenzschutz.
Ja, das ist jetzt das Geld für die Türkei. Aber es hat eine viel schlimmere Nicht-Überweisung gegeben, wo die Bundesregierung dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in diesem Jahr beziehungsweise im letzten, 2015, die Zuschüsse um 50 Prozent zusammengestrichen hat. Das ist das Geld, das die Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon, in Jordanien bekommen haben, um ihre Familien zu ernähren. Deutschland hat die Hälfte gestrichen. Österreich hat 100 Prozent gestrichen. Und diese Leute hatten kein Geld mehr, um ihre Kinder zu ernähren, haben sich dann aufgemacht, auf die Flucht. Das war ein ganz wesentlicher Faktor für die Flucht. Verantwortlich dafür ist der CSU-Minister Gerd Müller, der Entwicklungshilfeminister. Der hat die Vereinten Nationen im Regen stehen lassen.