StiftungBrennpunkt

Tunesien liberalisiert sich langsam

Wahlzettel
03.11.2014

Bei den Parlamentswahlen in Tunesien hat sich die säkulare Partei Nidaa Tounes, ein Sammelbecken verschiedener politischer Kräfte, gegen die islamische Ennahda-Bewegung durchgesetzt. Ennahda, die bei den postrevolutionären Wahlen im Herbst 2011 noch als stärkste Kraft hervorging und seitdem das politische Leben im Land dominierte, wurde für ihre unbeliebte Politik in der Regierung abgestraft. Im Brennpunkt analysiert Stiftungsexperte Ralf Erbel die politische Stimmung im Land.

"Für eine kleine Überraschung sorgte die sozial-liberale Partei Afek Tounes, mit der die FNF gute Beziehungen unterhält und die als fünft-stärkste Partei aus den Wahlen hervorgeht", berichtet der Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Tunis, Erbel. Afek Tounes ist in der neuen Volksvertretung mit acht Abgeordneten doppelt so stark vertreten wie bislang.

Ein Lichtblick in der arabischen Welt

Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), hatte die Wahlergebnisse begrüßt und betont, der Wahlsieg der weltlich orientierten Partei Nidaa Tounes beweise, dass der Übergang zu Demokratie und Stabilität nach den Ereignissen des arabischen Frühlings trotz allem erfolgreich sein könne. "Die erfolgreichen Wahlen und eine hoffentlich friedlich ablaufende Machtübergabe sind ein Lichtblick in einer sonst krisengeschüttelten Region", so der Liberale. Zugleich werde deutlich, dass die Unterstützung der EU für eine starke Zivilgesellschaft, die religiöse Überzeugungen respektiert und demokratische Werte fördert, der richtige Weg sei.

Tunesien steht vor großen Herausforderungen

Das Klima in Tunesien, dessen Volksaufstand im Jahr 2011 den Arabischen Frühling einleitete, sei allerdings angespannt, so Erbel: "Anders als 2011 ist die Euphorie der Jugend so gut wie verflogen, Desillusion und Apathie sind weit verbreitet." Kaum seien die Wahlergebnisse veröffentlicht, mache sich bereits große Skepsis in der Bevölkerung breit. Viele Tunesier hätten nicht aus reiner Überzeugung ihre jeweilige Partei gewählt, sondern vielmehr aus nüchternem Kalkül, um die Macht des politischen Gegners zu mindern.

"Tunesien steht vor kolossalen Herausforderungen, die demokratische Entwicklung ist kein Selbstläufer", betont der Stiftungsexperte. Eine tiefgreifende Wirtschaftskrise und die Perspektivlosigkeit der tunesischen Jugend bildeten den gefährlichen Nährboden für die Radikalisierung junger Tunesier. So hätten sich geschätzt 3.000 junge Kämpfer aus Tunesien der Terrormiliz IS in Syrien und dem Irak angeschlossen – das größte ausländische Kontingent.

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