28.09.2015FDPAsylpolitik

SUDING-Interview: Wir brauchen eine Art Staatsbürgerkunde

Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende KATJA SUDING gab der „Thüringischen Landeszeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte GERLINDE SOMMER:

Frage: Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Wie muss die Bundesregierung handeln, auch mit Blick auf die immer deutlicher werdenden Ängste und Sorgen der Bürger im Land?

SUDING: Vor allem muss die Kanzlerin ihre Planlosigkeit hinter sich lassen. Zuerst die Dublin-Regelungen zu umgehen, um Flüchtlinge zu uns zu holen, dann aber die Grenzen zu schließen und damit das Schengen-Abkommen zu gefährden, ist chaotisches Handeln. Viele Menschen kommen über das Asylsystem zu uns, obwohl sie keine Chance auf Anerkennung haben.

Frage: Ein erster Schritt ist es, bestimmte Länder als sichere Herkunftsstaaten zu erklären ...

SUDING: ... und die Visa-Pflicht wieder einzuführen. Um legale Einwanderung aus diesen Ländern zu ermöglichen, fordern wir seit Langem ein Einwanderungsrecht mit klaren Kriterien. Die Qualifikation derer, die kommen wollen, und das, was wir auf dem heimischen Arbeitsmarkt brauchen, muss dabei im Vordergrund stehen.

Frage: Die Union bewegt sich nun auch hin zu einem Einwanderungsgesetz.

SUDING: Aber viel zu spät. Wir brauchen das Einwanderungsgesetz jetzt und nicht erst nach der nächsten Bundestagswahl. Da frage ich mich: Wozu haben wir eine große Koalition, wenn die ihre Mehrheit nicht nutzt, um große und drängende Vorhaben wie dieses jetzt zügig anzupacken?!

Frage: Die Kommunen stöhnen über die Kosten, die sich durch die Unterbringung und Integration von Asylbewerbern zu tragen haben. Was muss geschehen?

SUDING: Die Bundesregierung ist einen Schritt in die richtige Richtung gegangen, indem sie sich stärker an diesen Kosten beteiligen will. Aber es ist zu spät, erst 2016 damit zu beginnen. Die Flüchtlinge sind doch jetzt schon da, die Lage in den Kommunen ist sehr angespannt. Und die Länder müssen die Mittel auch an die Kommunen weiterreichen, das ist jetzt nicht überall der Fall.

Frage: Was ist wichtig im Umgang mit Flüchtlingen?

SUDING: Sie zu integrieren. Wir brauchen daher eine Arbeitserlaubnis für Asylbewerber vom ersten Tag an und die Abschaffung der Vorrangprüfung bei der Stellenvermittlung. Schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen die Qualifikationen der Menschen systematisch abgefragt werden. Neben Arbeit ist Sprache ein ganz wesentlicher Bestandteil der Integration. Dazu müssen alle nicht nur die Kinder vom ersten Tag an Deutsch lernen. Ganz wichtig ist eine Art Staatsbürgerkunde, in der unsere liberalen Grundwerte vermittelt werden: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religions- und Meinungsfreiheit ...

Frage: In Erfurt haben Sie sich mit den Junioren des Handwerks getroffen. Es heißt ja oft, dass viele Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden, weil es an Fachkräften mangelt. Ist es so einfach?

SUDING: Nein, viele Betriebe können ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen, gleichzeitig bleiben viele Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Das heißt: Wir haben ein Problem im Bildungssystem. Und es wird nicht leichter, wenn Menschen aus Ländern kommen mit anderen, teilweise auch niedrigeren Bildungsstandards. Umso mehr Anstrengungen müssen wir bei der Integration unternehmen. Und wir müssen über eine aktive Einwanderungspolitik die bestausgebildetsten Menschen zu uns holen. Denn klar ist: Wenn die Babyboomer in einigen Jahren in Rente gehen, werden wir den Fachkräftemangel zu spüren bekommen.

Frage: Gehen Sie denn davon aus, dass alle Flüchtlinge bleiben?

SUDING: Es ist nur ein sehr geringer Teil, der Asylrecht genießt. Die meisten sind Bürgerkriegsflüchtlinge, die zurückgehen müssen, wenn sich die Lage im Herkunftsland gebessert hat. Aber es ist nicht davon auszugehen, dass das eine Frage von Wochen oder Monaten sein wird. Das heißt, diese Menschen werden auf jeden Fall einige Jahre, vielleicht auch für immer bei uns bleiben.

Frage: Es gibt eine breite Willkommenskultur, aber in Erfurt gehen mittlerweile 5000 Menschen auf die Straße zur AfD-Demo, um deutlich zu machen, dass sie Angst vor der aktuellen Flüchtlingspolitik haben. Wie gefährlich ist, was da gerade passiert?

SUDING: Wir haben ganz viel Hilfsbereitschaft. Ohne das ehrenamtliche Engagement würde die gesamte Flüchtlingsunterbringung und Integration zusammenbrechen. Aber es wird den Menschen auch immer mehr bewusst, vor welch großer Herausforderung wir stehen. Wir müssen aufpassen, dass aus der Flüchtlingskrise keine Integrationskrise wird. Die Kanzlerin hat mit ihrer Konzeptlosigkeit erst alle Menschen rein zu lassen und dann wieder die Schotten dichtzumachen einen sehr schweren Fehler gemacht. Der Vorgang hat sicherlich nicht dazu beigetragen, dass die Menschen Vertrauen haben in die Kompetenzen der Regierung, diese Herausforderung wirklich stemmen zu können.

Frage: Es gibt den Vorstoß, Syrern einen zeitlich begrenzten Aufenthalt zuzubilligen, ohne sie dem Asylverfahren auszusetzen. Ist das sinnvoll?

SUDING: Unser Vorschlag ist ein pragmatischer Umgang mit der Viertelmillion an Asylverfahren, die sich aufgestaut haben. Bei Syrern, Irakern, Eritreern und Afghanen liegt die Anerkennungsquote bei etwa 99 Prozent. Bei den Altfällen sollte nach einer Sicherheitsprüfung und Identitätsfeststellung gleich der Anerkennungsstempel drauf.

Frage: Unter Rot-Rot-Grün hat sich in Thüringen nichts verbessert. Eine der Ängste ist, dass in die Eigentumsrechte eingegriffen werden könnte. Wie realistisch ist das?

SUDING: Olaf Scholz in Hamburg plant ein Gesetz, mit dem in die Rechte von Immobilienbesitzern eingegriffen werden soll. Absicht ist die Beschlagnahme leeerstehender Gebäude zur Unterbringung von Flüchtlingen. Ich halte das für brandgefährlich. Man muss sich dann nicht wundern, wenn irgendwann die Stimmung kippt. Dabei hören wir bei Bürgergesprächen in Hamburg ständig, dass Menschen Immobilien angeboten haben und der Senat dies ignoriert hat. Statt Zwangsmaßnahmen anzuordnen, sollte der Bürgermeister alle Beteiligten an einen Tisch holen.

Frage: Als FDP können Sie derzeit weitgehend nur außerparlamentarisch die Stimme erheben. Kommen die Liberalen auf Bundesebene zurück?

SUDING: Ja, bei der Bundestagswahl 2017. Viele Menschen fühlen sich politisch heimatlos und von keiner der sozialdemokratischen Parteien sei es CDU, SPD, Grüne oder wer auch immer vertreten. Bürger werden abkassiert: der Soli wird nicht abgeschafft, es gibt nur eine Mini-Entlastung bei der kalten Progression. Unternehmer werden durch Bürokratie erstickt, etwa durch ausufernde Dokumentationspflichten beim Mindestlohn oder die Arbeitsstättenverordnung. Bürgerrechte werden durch die anlasslose Datenvorratsspeicherung mit Füßen getreten. EEG und Mietpreisbremse stehen den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft entgegen. Also: Die FDP wird als Korrektiv auf Bundesebene dringend gebraucht.

Frage: Wie stellt sich für Sie Rot-Rot-Grün in Thüringen nach fast einem Jahr Regierungszeit dar?

SUDING: Die wirtschaftliche Dynamik des Landes lässt sehr zu wünschen übrig. Das Wirtschaftswachstum ist mit das niedrigste aller Länder derzeit. Thüringen spielt zudem mit dem Gedanken, im Zuge der Flüchtlingskrise die Schuldenbremse aufzuweichen. Das halte ich für sehr bedenklich. Und die Gebietsreform scheint von oben verordnet zu sein. Also: Dass sich hier irgendetwas verbessert, das sehe ich nicht ganz im Gegenteil.

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