SUDING-Interview: Ein Schwergewicht hat keine Chance
Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende KATJA SUDING gab der „Welt am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. STEFFEN FRÜNDT begleitete sie beim Thai-Box-Training und stellte folgende Fragen:
Frage: Da ist ja doch erstaunlich Druck dahinter. Seit wann machen Sie das denn?
SUDING: Erst seit vier Monaten.
Frage: Gehen Sie auch in richtige Kämpfe?
SUDING: Nur Sparring. Für mich ist das ein super Ausgleich, um mich auszupowern. Darüber hinaus habe ich keine größeren Ambitionen. Politisch spiele ich in einer anderen Liga als sportlich.
Frage: Schon mal so richtig Prügel kassiert? Muss da öfter was überschminkt werden vor Fernsehauftritten?
SUDING: Nein, eigentlich noch nie. Aber ich habe mal einem Gegner ein blaues Auge geschlagen. Versehentlich natürlich.
Frage: Eine politische Rivalin?
SUDING: Nein. Das war ein Mann. Er war nicht wendig genug, und dann traf es ihn eben. Beim Thai-Boxen hat ein Schwergewicht gegen ein schnelleres und beweglicheres Mittelgewicht keine Chance.
Frage: Ist Wendigkeit nun wieder die große Chance der FDP?
SUDING: Beim Boxen geht es darum, sich vor Schlägen zu ducken. Man ist ständig in Bewegung, um nicht getroffen zu werden. Das hat nichts mit der Wendigkeit im politischen Leben zu tun.
Frage: Aber Tiefschläge werden doch auch in der Politik ausgeteilt.
SUDING: Die Parallele ist eher, dass man beim Boxen lernt durchzuhalten. Man kriegt einen echt langen Atem. Und den braucht man auch in der Politik, wenn man Themen bewegen will.
Frage: Welche Kämpfe sind härter – die mit dem politischen Gegner oder doch die innerparteilichen?
SUDING: Aktuell mit dem politischen Gegner.
Frage: Dass Sie sich mit Männern hauen, ist nur konsequent. Schließlich gingen Sie ja auch als „Unser Mann für Hamburg“ für die FDP in den Wahlkampf.
SUDING: Da wurde viel zu viel hineininterpretiert. Das ist einfach eine klassische Text-Bild-Schere, die für maximale Aufmerksamkeit sorgen sollte in einer Zeit, in der wir in der Wahrnehmung bei zwei Prozent standen. Das hat keine tiefe politische Botschaft, aber warum sollen Frauen nicht mit vermeintlich männlichen Attributen wie Stärke und Durchsetzungskraft verbunden werden?
Frage: Sie sind als stellvertretende Bundesvorsitzende gerade in die politische Bundesliga aufgestiegen. Wird da mit härteren Bandagen gekämpft?
SUDING: Ich merke, dass ich sehr viel stärker unter Beobachtung stehe, durch den politischen Gegner ebenso wie medial.
Frage: Sie hatten da offenbar ein gutes Timing. Nicht einmal fünf Jahre nach Ihrem Einstieg in die Berufspolitik schon Vize-Vorsitzende. Ging das nicht erschreckend einfach?
SUDING: Ich habe schnell lernen müssen, wie das politische Geschäft funktioniert. Der größte Sprung war für mich eigentlich 2011 der Einzug in die Bürgerschaft. Die Neuwahlen kamen plötzlich, und ich wurde innerhalb von Tagen Spitzenkandidatin und damit aus einem ganz normalen Leben heraus in die Öffentlichkeit gezogen. Das war schon seltsam. Alles, was danach kommt, ist eigentlich nichts wesentlich Neues mehr. Das ist wie mit dem ersten Kind. Beim zweiten oder dritten kennt man das dann schon. Ich hatte eben nicht nur eine steile Karriere, sondern auch eine steile Lernkurve.
Frage: Das Erste, womit Sie bundesweit Aufmerksamkeit erregten, war allerdings ein „Tagesschau“-Schwenk über Ihre Beine samt dem anschließenden Aufschrei. Waren Sie auch empört?
SUDING: An dem Beitrag ist mir ehrlich gesagt zuerst gar nichts weiter aufgefallen. Da habe ich schon weitaus krassere Dinge erlebt. Einmal stand ich in einem knielangen in der Bürgerschaft am Rednerpult, und jemand filmte extrem langsam von unten nach oben an mir hoch, während ich redete. Das fand ich unangemessen, und ich habe mich darüber beschwert. Die des Beitrags war übrigens eine Frau.
Frage: Ist es als attraktiver Mensch schwerer, ernst genommen zu werden?
SUDING: Der Glaube ist noch immer verbreitet, dass eine Frau, die gut aussieht, unmöglich auch noch intelligent sein kann. In der Anfangszeit dachten viele, dass ich nur durch eine coole Kampagne ins Parlament gewählt wurde und den Job nicht hinkriegen würde. Aber mittlerweile wird längst gesehen, dass wir eine gute Oppositionsarbeit machen.
Frage: Haben Sie in der Politik viel gegen Männerseilschaften anzukämpfen?
SUDING: Nein.
Frage: Sind Sie Teil eines Frauennetzwerks?
SUDING: Auch nicht. Das Geschlecht spielt für mich keine Rolle in diesen Dingen.
Frage: Fühlen Sie sich von der Quote gestärkt?
SUDING: Es macht keinen Sinn, gesetzlich etwas vorzugeben, was Frauen auch so können. Ich kenne keine Frau, die eine Quotenfrau sein möchte. Die Quote greift extrem stark in die Vertragsfreiheit von Unternehmen ein, und ich halte sie für absolut falsch.
Frage: Ist Feminismus für Sie Quatsch?
SUDING: Der Feminismus einer Alice Schwarzer hatte seine Berechtigung. Aber wir befinden uns in einer anderen Zeit. Mir ist wichtig, dass ich als Frau die gleichen Chancen und Möglichkeiten habe wie jeder Mann. Da müsste eine Menge passieren. Wir haben eine Familienpolitik, die sich noch stark am klassischen Familienbild des Alleinverdieners mit Ehefrau und mehreren Kindern orientiert. Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung – das ist alles darauf ausgerichtet und schafft Anreize, dass Frauen nicht berufstätig sind. Die Politik muss sich darauf einstellen, wie Menschen leben.
Frage: Sie sind Mutter von zwei Kindern, die seit der Trennung beim Vater leben. Eine Angriffsfläche?
SUDING: Die wenigen negativen Reaktionen, die ich erlebe, kommen immer von Männern. Manche finden das ganz schlimm. Dann höre ich wirklich solche Sachen wie „Rabenmutter“ oder auch „Sie verlässt die Kinder für die Karriere“.
Frage: Trifft Sie das?
SUDING: Nein. Weil es nicht zutrifft. Ich sehe meine Kinder mehrmals die Woche und kümmere mich intensivst um sie. Ich habe sie niemals allein gelassen und werde das auch nie tun. Unsere Regelung machte in unserer Situation einfach Sinn. Es ist sehr viel sinnvoller, das Kind da aufwachsen zu lassen, wo der Elternteil planbarer zu Hause ist. Und das ist definitiv bei meinem Mann.
Frage: Ihre Söhne sind 11 und 13 Jahre alt. Der Ausbau des Kita-Angebots kam für Sie also zu spät.
SUDING: So viel hat sich da leider noch nicht gebessert. Obwohl wir wissen, dass in der frühkindlichen Bildung die Grundlagen für den späteren Bildungserfolg gelegt werden, hängen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. In den letzten Jahren wurde nur auf die Quantität geschaut. Der qualitative Ausbau ist auf der Strecke geblieben. Hamburg hat den schlechtesten Betreuungsschlüssel aller westlichen Bundesländer. Der typisch sozialdemokratische Weg: kostenlose Grundbetreuung auch für diejenigen, die es sich leisten könnten. Dafür fehlt dann das Geld für mehr Erzieher, die dringend benötigt würden. An den Unis genauso: Man streicht die Möglichkeit von Studiengebühren und sorgt zugleich mit Knebelverträgen dafür, dass sie real von Jahr zu Jahr weniger Geld haben.
Frage: Die FDP nicht mehr als Steuersenkungs-, sondern als Bildungspartei?
SUDING: Wir haben da eine lange Tradition. Das müssen wir wieder stärker nach oben holen. Wir wollen zum Beispiel das Kooperationsverbot angehen und die Möglichkeit schaffen, dass der Bund sich an der Bildungsfinanzierung beteiligen darf. Wir können uns auf Dauer nicht leisten, dass Kinder aus finanzschwächeren Bundesländern eben Pech gehabt haben und schlechtere Startchancen, weil die Bildungsbedingungen nicht die gleichen sind. Für eine umfassende Modernisierung unseres Bildungswesens braucht es eine finanzielle Beteiligung des Bundes.
Frage: Eine FDP-Politikerin fordert mehr Staat.
SUDING: Mehr Geld vom Bund und mehr Verantwortung für die einzelnen Schulen. Wir können nicht erwarten, dass eine Schule in Blankenese genauso funktioniert wie eine in Mümmelmannsberg.
Frage: Ah, Eliteschulen! Das klingt schon eher nach...
SUDING: Nein, das heißt Konzepte für die jeweilige Schülerschaft. Gerade wenn Sie Schulen in Problemvierteln die Möglichkeit geben, Konzepte zu entwickeln, sind die extrem erfolgreich. Bildungspreise gewinnen oft Schulen aus sogenannten schwierigen Stadtteilen. Selbstverantwortung der Bildungseinrichtungen auf der anderen Seite und zugleich eine zentrale und ausreichende Bildungsfinanzierung, wo auch der Bund einspringt. Das ist ein völlig neues Konzept.
Frage: Noch mal zu den Tiefschlägen. Als Ihr Vorsitzender Christian Lindner vor einigen Monaten im NRW-Landtag wegen seiner Pleite-Vergangenheit angegangen wurde, brach er eine Wutrede vom Zaun. Kam sehr gut an.
SUDING: Zu Recht. Wer scheitert, ist hierzulande stigmatisiert. Das habe ich selbst erlebt, als ein Start-up, für das ich gearbeitet habe, pleiteging. Da erntet man Hohn, Häme und Spott. In den ist das positiver besetzt. Hier gehört schon eine Menge dazu, wenn man nach einem Misserfolg noch einmal etwas Neues gründet. Und wenn jemand erfolgreich ist, dann wird gleich gefragt, ob er das Finanzamt betuppt. So sind die Deutschen. Aber glücklicherweise nicht alle, sonst wäre die Resonanz auf Lindners Rede nicht so groß gewesen.
Frage: Vielleicht gefiel den Leuten ja auch einfach, dass ein Berufspolitiker mal Emotionen zeigt.
SUDING: Dass Politik nur PR ist, ist doch ein Klischee. Natürlich wird sich da auch mal künstlich echauffiert, doch das ist nicht die Regel. Es gibt viele leidenschaftliche Politiker, in allen Parteien.
Frage: Aber so richtig emotional hat man Sie noch gar nicht erlebt. Sind Sie eher der Typ, der aus der gesicherten Deckung heraus angreift?
SUDING: Na ja. Ich halte beim Boxen die Deckung oben. Und politisch habe ich einen so klaren Kurs, dass ich Gegenschläge auch parieren kann.