12.09.2013FDPPartei

RÖSLER-Interview für das "Handelsblatt"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende Bundeswirtschaftsminister DR. PHILIPP RÖSLER, gab dem "Handelsblatt" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SVEN AFHÜPPE, THOMAS SIGMUND und KLAUS STRATMANN: Frage: Herr Rösler, sorgen Sie sich um die Loyalität der Bundeskanzlerin? RÖSLER: Nein. Wie kommen Sie auf die Idee? Die Kanzlerin hat immer wieder versichert, dass sie die Koalition fortsetzen will. Frage: Zwei Wochen vor der Bundestagswahl schielt die Union auffällig oft zur SPD. Die Neuauflage der Großen Koalition scheint für viele CDUler eine reizvolle Option zu sein. RÖSLER: Ich kann die Bürger vor einer Großen Koalition nur warnen. Sie sollten nicht vergessen, dass Union und SPD 2005 gleich zu Beginn der Legislaturperiode eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte verabredet haben. Diesmal würde es für die Steuerzahler sicher deutlich teurer. Frage: Worauf spielen Sie an? RÖSLER: Steinbrück ist ohnehin bald weg. Sie glauben doch nicht, dass SPD-Chef Gabriel dann in Koalitionsverhandlungen mit der Union ginge, ohne eine massive Erhöhung der Steuern zu fordern. Gabriel würde versuchen, einen großen Teil der steuerpolitischen Agenda der SPD im Koalitionsvertrag zu verankern. Vielleicht würde die SPD keine Einnahmensteigerung um 40 Milliarden durchsetzen können, aber ganz ohne höhere Steuern würde Gabriel keinen Koalitionsvertrag unterschreiben. Denn Gabriel weiß: Im Zweifel würde er bei einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei noch mehr bekommen. Frage: Die Kanzlerin verspricht doch, die Steuern nicht zu erhöhen. Gilt die Aussage nur bis zum Wahlabend? RÖSLER: Am Ende würde sie den Wünschen der SPD nachgeben müssen, wenn davon die Bildung einer regierungsfähigen Koalition abhinge. Schon jetzt gibt es genug Stimmen in der Union, die sich einen höheren Spitzensteuersatz vorstellen können. Da ist es nicht mehr weit zu anderen Zugeständnissen. Vor allem fürchte ich, dass die SPD dann auch das Finanzministerium für sich beanspruchen würde, um die Steuerversprechen des Koalitionsvertrags besser umsetzen zu können. Wer die Hand auf der Kasse hat, kann das Geld auch schneller ausgeben. Frage: Wo würde die Union noch einknicken? RÖSLER: Beim flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Darauf würden sich Union und SPD sehr schnell verständigen. Die Kanzlerin würde sofort um die Gunst der SPD-Anhänger buhlen, um weniger Angriffsfläche zu bieten. Das kommt dann ganz schnell. Frage: Ist die Große Koalition realistischer als eine rot-rot-grüne Regierung? RÖSLER: Nein. Wenn es für die Fortsetzung der christlich-liberalen Koalition nicht reichen sollte, wäre die erste Wahl Rot-Rot-Grün. Wir hatten die Duldung von Rot-Grün durch die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen. Warum soll das im Bund nicht möglich sein? Frage: Weil die SPD eine Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen hat. RÖSLER: Ich kenne Herrn Gabriel aus meiner Zeit in Niedersachsen. Versetzen Sie sich doch mal in seine Lage. Der lädt nicht zwei Tage nach der Bundestagswahl zu einem Parteikonvent ein, um über Koalitionen zu sprechen, die er ohnehin haben kann. Parteichef kann er nur bleiben, wenn er die SPD in die Regierung führt. Und für die Basis hätte er dann noch ein besonderes Angebot: Die SPD würde auf elegante Art und Weise der Union die Kanzlerin nehmen. Da würde so mancher Sozialdemokrat schwach. Frage: Die FPD hat heute selbst einen Konvent organisiert. Welche Botschaft will der Parteivorsitzende davon aussenden? RÖSLER: Wir werden eine Koalition mit SPD und Grünen definitiv ausschließen. Deren Steuerpläne passen nicht mit unseren liberalen Vorstellungen zusammen. Und mit den Grünen als Partei der Verbote und Bevormundungen geht es für uns Liberale schon gleich gar nicht. Wir wollen noch einmal deutlich machen, dass es nur mit der FDP keine weiteren steuerlichen Belastungen und keine Einmischung in das Alltagsleben der Menschen gibt. Frage: Aber auch keine spürbaren Entlastungen. RÖSLER: Moment. Wir sind die einzige Partei, die den Soli abschaffen will. Alle anderen wollen dieses Geld weiter beim Bürger einsammeln und damit etwas angeblich Gutes tun. Wir wollen das Geld bei den Bürgern belassen, die dieses Geld ja schließlich erwirtschaftet haben. Schon der Satz "Wir geben dieses Geld den Bürgern zurück" ist mir viel zu gönnerhaft und widerspricht meinem Staatsverständnis. Außerdem sind wir die Partei, die das Thema Haushaltskonsolidierung hoch hält. Damit schaffen wir die Voraussetzung, die Erhöhung von Steuern und Abgaben zu vermeiden. Frage: Im Fall einer Fortsetzung von Schwarz-Gelb würde die FDP dann auch um das Finanzministerium kämpfen? RÖSLER: Man soll das Fell des Bären erst verteilen, wenn er erlegt ist. Frage: An die Verabredung hält sich aber fast kein FDP-Minister. Die meisten haben schon öffentlich kundgetan, dass sie ihren Job gerne weitermachen würden. RÖSLER: Das ist doch normal. Wenn Sie vier Jahre gut gearbeitet haben, dann wollen Sie auch Ihre Arbeit fortsetzen. Rainer Brüderle und ich haben einen klaren Fahrplan: Erst müssen wir die Wahl gewinnen, dann wird mit der Union verhandelt, erst danach sprechen wir über Positionen. Vorher darüber zu reden halten wir für falsch. Frage: Angesichts der bescheidenen Umfragewerte wäre das auch etwas vermessen. RÖSLER: Bei den letzten drei Landtagswahlen haben wir gezeigt: Jenseits der Umfragen kann die FDP Wahlen gut gewinnen. Frage: Kommen wir zu einer etwas einfacheren Prognose: Wie weit sehen Sie die Schuldenkrise bewältigt? RÖSLER: Es gibt erkennbar erste Fortschritte in den Schuldenländern. Die Krise ist noch nicht zu Ende, aber wir sehen den Anfang vom Ende der Krise. Entscheidend ist jetzt, dass die Schuldenländer auf dem Reformkurs bleiben. Frage: Ist es ein Fehler, dass Spitzenpolitiker der Union bereits offen über ein weiteres Hilfsprogramm für Griechenland sinnieren? RÖSLER: In jedem Fall hat die FDP hier eine klare Haltung. Über ein neues Hilfsprogramm wird Ende 2014 zu entscheiden sein. Athen hat es selbst in der Hand. An Strukturreformen, etwa in der Verwaltung und bei der Privatisierung von Staatsbetrieben, führt kein Weg vorbei. Frage: Können Sie einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland kategorisch ausschließen? RÖSLER: Ein Schuldenschnitt würde den Reformdruck nehmen, er wäre auch das falsche Signal angesichts des gerade neu gewonnenen Vertrauens in die Eurozone. Deshalb bleibe ich dabei: Für einen Schuldenschnitt sehe ich keine Notwendigkeit. Frage: Neben der Euro-Krise sorgen sich die Bürger über steigende Strompreise. Wie soll die Energiewende noch zu einem Erfolg werden? RÖSLER: Indem wir die Bezahlbarkeit in den Vordergrund rücken. Das stärkt die Akzeptanz. Ich sehe darin die größte wirtschaftspolitische Herausforderung der kommenden Legislaturperiode. Wir brauchen dringend die sofortige Reform der Förderung erneuerbarer Energien. Die FDP ist auch in dieser Frage allen anderen Parteien voraus. Wir haben als einzige Partei dazu konkrete Vorschläge vorgelegt. Die Grünen dagegen sagen, es soll alles so bleiben wie es ist, die SPD will erst noch abwarten, und die Union erklärt, sie wolle das EEG weiterentwickeln. Das ist mir zu wenig. Es reicht nicht, an ein paar Stellschrauben zu drehen. Wir brauchen eine grundlegende EEG-Reform. Frage: Was ist Ihr Ziel? RÖSLER: Wir wollen ein Mengenmodell mit mehr Wettbewerb einführen. Die Politik gibt den Energieversorgern jährlich ansteigende Mengen Strom vor, die sie aus erneuerbaren Quellen beziehen müssen. Wo sie diesen Strom einkaufen, bleibt den Unternehmen überlassen. Die Energieversorger werden aus eigenem Antrieb den günstigsten Strom aus erneuerbaren Quellen einkaufen. Für die Kunden der Versorger, egal ob Privathaushalte oder Unternehmen, wird das zu erheblichen Kostenvorteilen führen. Frage: Ihre EEG-Reform ist nur ein Teil der Lösung. Sie müssen zugleich dafür sorgen, dass sich auch der Betrieb hocheffizienter, flexibler fossiler Kraftwerke wieder lohnt. Wie wollen Sie das erreichen? RÖSLER: Für ein Marktdesign für konventionelle Kraftwerke brauchen wir zunächst die EEG-Reform. Denn zwingend ist die Integration der Erneuerbaren in die Netze und in den Markt. Es muss eine verpflichtende Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Quellen geben. Das derzeitige Marktprämienmodell des EEG erlaubt jederzeit die Rückkehr in das System fester Einspeisevergütungen. Das muss sich ändern. Frage: Wie wollen Sie das bewirken? RÖSLER: Die Direktvermarktung muss für neue Anlagen zur Pflicht werden. Damit besteht erstmalig ein echter Anreiz für die Betreiber, den Strom dann ins Netz einzuspeisen, wenn auch wirklich Nachfrage besteht. Die Erzeuger würden sich zwangsläufig über Speichermöglichkeiten Gedanken machen und alle Instrumente des Marktes nutzen, um ihr Angebot besser auf die Nachfrage einzustellen. Dadurch kommt ein enormer Innovationsdruck ins Spiel. Ich bin davon überzeugt, dass sich da ganz neue technische Möglichkeiten und Vermarktungsmodelle auftun. Frage: Ist die Energiewende eine Wachstumsbremse? RÖSLER: Zumindest müssen wir aufpassen, dass sie nicht zu einer Wachstumsbremse wird, weil die Energiekosten zu hoch sind. Deshalb ist der schnelle Systemwechsel beim EEG so entscheidend. Die Energiepreise sind ein bedeutender Faktor mit Blick auf unsere Wettbewerbsfähigkeit. Die US-Regierung hat die Reindustrialisierung des Landes zu einem vorrangigen Ziel erhoben und ist auf dem besten Wege, dabei in großen Schritten voran zu kommen. Zu den Hauptgründen gehören die niedrigen Energiepreise, ausgelöst durch den Fracking-Boom in den USA. Der Kostenvorteil für energieintensive Unternehmen ist enorm. Frage: Die energieintensive Industrie wird im Moment noch durch Ausnahmeregelung weitestgehend von der EEG-Umlage befreit und bei den Netzentgelten entlastet. Lässt sich das noch lange durchhalten? RÖSLER: Strom muss in Deutschland für alle bezahlbar bleiben, für 40 Millionen Haushalte, aber auch für mittelständische Unternehmen, die keinen Anspruch auf eine Ausnahmeregelung haben. Dazu trägt eine grundlegende Reform des EEG bei. Gleichzeitig müssen wir aber alles dafür tun, der energieintensiven Industrie in Deutschland eine verlässliche Perspektive zu geben. An der energieintensiven Industrie hängen mehr als 800 000 Arbeitsplätze. Würde Deutschland einen wichtigen Teil seiner hoch entwickelten industriellen Wertschöpfungskette verlieren, hätte das dramatische Folgen auch für andere Industriezweige. Das dürfen wir nicht zulassen. Andere europäische Länder beneiden uns um den Anteil der Industrie an der Wertschöpfung von 23 Prozent. Ich kämpfe dafür, dass dieser industrielle Kern erhalten bleibt. Frage: Eine grundlegende EEG-Reform wird erst in einigen Jahren greifen, zunächst schieben wir den vom jetzigen EEG ausgelösten Kostenblock noch viele Jahre vor uns her. Halten Sie so lange an den Industrieprivilegien fest? RÖSLER: Verlässlichkeit ist eine Grundvoraussetzung für Investitionen. Wir werden unsere Industrie weiter da unterstützen, wo es notwendig ist. Außerdem möchte ich ein Missverständnis ausräumen. Hauptkostentreiber ist die jetzige Förderung der Erneuerbaren mit derzeit 5,3 Cent EEG-Umlage je Kilowattstunde. Die Ausnahmen hingegen machen nur rund ein Cent aus. Das muss uns der Erhalt von Jobs und Wertschöpfungsketten wert sein. Frage: Was wollen Sie kurzfristig gegen den Kostenanstieg tun? RÖSLER: Ich halte daran fest, dass zunächst ein Moratorium für den Ausbau der Erneuerbaren erforderlich ist. Das ist ein notwendiger kurzer Zwischenschritt bis zu einem Systemwechsel beim EEG. Denn nur so können wir den Druck aufbauen, den wir brauchen, um eine echte Reform zu erarbeiten. Private Haushalte und Unternehmen müssen dann die Gewissheit haben, dass diese Reform über viele Jahre Bestand hat. Frage: Muss das Thema Energiewende angesichts der Komplexität nach der Wahl nicht in eine Hand? RÖSLER: Gebündelte Zuständigkeiten im Wirtschaftsministerium wären wünschenswert, man muss aber auch sehen, dass es ohnehin eine Vielzahl von Beteiligten gibt. Die Energiewende lässt sich nicht allein auf Bundesebene regeln. Sie ist nur zu bewältigen, wenn die 16 Bundesländer, der Bund und Europa zu gemeinsamen Lösungen kommen. Darauf kommt es an. Frage: Kann das funktionieren? RÖSLER: Beim Netzausbau hat das Bundeswirtschaftsministerium gezeigt, dass das sehr wohl möglich ist. Wir haben die Länder davon zu überzeugt, dass es sinnvoll ist, Kompetenzen bei der Planung von Netzen abzugeben. Ich verspreche mir davon eine deutliche Beschleunigung des Netzausbaus. Frage: Welche Themen würden Sie jenseits der Energiewende im 100-Tage-Sofortprogramm einer neuen Bundesregierung nach oben auf die Tagesordnung rücken? RÖSLER: Mein Wunsch ist es, dass wir uns für die Infrastruktur auf ein Planungsbeschleunigungsgesetz verständigen. Nach der Wiedervereinigung hat das prima funktioniert. Wenn wir das für die Projekte der deutschen Einheit nicht gehabt hätten, wäre so manche Autobahn erst Jahre später entstanden. Wenn die öffentlichen Kassen nur über begrenzte Mittel verfügen, dann müssen diese möglichst effizient eingesetzt werden. Frage: Ist das eine Kritik an Bundesfinanzminister Schäuble? RÖSLER: Nein, das fällt gar nicht in seine Zuständigkeit. Mir geht es darum, die Infrastruktur in unserem Land zu stärken, indem wir die Planungszeiten kürzen und so Kosten sparen.

Social Media Button