NIEBEL-Interview für die "Neue Osnabrücker Zeitung"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte CHRISTIAN SCHAUDWET:
Frage: Herr Niebel, im Jahr 2015 sollen nur noch 10 000 bis 12 000 ausländische Soldaten in Afghanistan sein, davon 600-800 deutsche. Wer sorgt dann für Sicherheit der zivilen Helfer?
NIEBEL: In manchen Bereichen, in denen wir arbeiten, ist die Bundeswehr schon lange abgezogen. Dort ist die Lage stabil und die Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte übertragen. Einen großen Beitrag leistet auch unser eigenes Risikomanagement. Den größten Schutz gibt uns die Einbindung unserer Projekte in die Gesellschaft Afghanistans.
Frage: Die Taliban schlagen weiter zu, und an der Zuverlässigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte hegen Fachleute Zweifel. Das Land könnte nach Abzug der ausländischen Kontingente rasch kippen.
NIEBEL: Wir gehen davon aus, dass die Sicherheitslage sich für unsere Experten nicht deutlich verändern wird. Die Sicherheit im Norden Afghanistans, wo die deutsche Entwicklungszusammenarbeit aktiv ist, wird im Kern bereits heute von afghanischen Kräften gewährleistet. Für Extremsituation brauchen wir aber NATO-Kräfte. Zentral ist für uns, Evakuierungsmöglichkeiten zu haben. Es wäre uns natürlich am liebsten, wenn es deutsche Evakuierunsgskräfte gäbe. Die Bundeswehr kann das, es müsste aber Bestandteil des militärischen Operationsplans sein.
Frage: Es gibt immer wieder Berichte über afghanische Mitarbeiter, die im Auftrag deutscher Ministerien als Übersetzer u.ä. arbeiten und sich von Taliban bedroht fühlen. Wie geht Ihr Ministerium damit um?
NIEBEL: Wir haben etwa 1800 Ortskräfte bei den Durchführungsorganisationen, die alle gebraucht werden für den Aufbau Afghanistans und die Verbesserung der Lebensbedingungen - womit sie helfen, dem Terrorismus den Boden zu entziehen. Es gibt bislang keine afghanischen Mitarbeiter der GIZ oder der KfW, die sich auf Grund einer persönlichen Bedrohungslage an uns gewandt haben. Die Debatte bezieht sich auf die afghanischen Mitarbeiter der Bundeswehr, da sich ja das deutsche Kontingent deutlich verkleinert und entsprechend weniger Ortskräfte gebraucht werden. Der deutsche zivile Beitrag setzt pro Jahr rund 430 Millionen Euro in Afghanistan ein. Das bleibt auch in den kommenden Jahren so. Kurz: Wir brauchen unsere Ortskräfte. Klar ist aber auch: Sollten einzelne Mitarbeiter bedroht sein, lassen wir - wie auch die anderen Verantwortlichen in der Bundesregierung - sie nicht im Stich.
Frage: Der Bundesverteidigungsminister ist offen für die Idee, mit den Taliban zu verhandeln. Sie auch?
NIEBEL: Ich bin immer der Ansicht, dass politische Lösungen gegenüber einer militärischen zu bevorzugen sind. Dazu gehören auch Gespräche. Wie will ich sonst politische Lösungen erreichen?
Frage: Gespräche der USA mit den Taliban?
NIEBEL: In erster Linie müssen die afghanischen Protagonisten miteinander reden. Das halte ich für die zentrale Aufgabe, denn sie sind es, die in ihrem Land gemeinsam leben müssen.
Frage: Ist für Sie eine Entwicklungszusammenarbeit mit Taliban-Gruppierungen denkbar?
NIEBEL: Meine Fantasie kennt keine Grenzen. Aber auf praktischer Ebene tun wir, was für das Land notwendig ist. Wir teeren Straßen, wir qualifizieren junge und ältere Menschen, tragen dazu bei, dass sich die Lebensbedingungen verbessern. Und wir freuen uns über jeden ehemaligen Talib, der in die Gesellschaft zurückkehrt.
Frage: Die afghanische Wirtschaft ist auf die Präsenz ausländischer Truppen und Organisationen ausgerichtet. Wie soll sie sich auf dieser Basis eigenständig entwickeln können?
NIEBEL: Das ist nicht richtig. Die afghanische Landwirtschaft bringt weltmarktgängige Produkte hervor. Damit meine ich nicht den Drogenanbau, sondern etwa Nussöl und Rosenöl, auch Kunsthandwerk. Als "least developed country" ist Afghanistan von Einfuhrzöllen in die EU befreit. Wir unterstützen Auftritte auf der Grünen Woche, um diese Produkte bekannter zu machen. Ebenso beim Knüpfen von Geschäftskontakten, damit diese Warenströme intensiviert werden.
Frage: Aber die Exportmengen sind winzig.
NIEBEL: Wir werben für Investitionen. Insbesondere im Rohstoffsektor liegen enorme Chancen. Es gibt unterschiedlichste Stoffe, wie etwa Lithium und Seltene Erden, die für einen Industriestandort wie Deutschland relevant sind. Wir möchten eine internationale Rohstoffkonferenz ausrichten und sind für eine Rohstoffpartnerschaft zwischen Deutschland und Afghanistan. Voraussetzung ist allerdings, dass das afghanische Parlament ein Rohstoffgesetz verabschiedet. Wir versuchen, das zu beschleunigen - unter anderem mit einer Dialogveranstaltung in den nächsten Tagen, an der deutsche Unternehmen und zwei afghanische Minister teilnehmen.
Frage: Rohstoffexport trägt derzeit zum wirtschaftlichen Aufschwung in Teilen Afrikas bei. Was bedeutet das für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit?
NIEBEL: Deutschland hat Afrika viel zu lange verpennt. Wir haben uns mit der Wiedervereinigung und der Osterweiterung der EU beschäftigt und unseren Nachbarkontinent kaum wahrgenommen. Er hat enorme Chancen - auch wegen einer immer größeren, besser gebildeten und international vernetzten Mittelschicht. 2040 werden dort 1,1 Milliarden Menschen im erwerbsfähigen Alter leben. Das können 1,1 Milliarden Partner und auch Kunden sein - es können aber auch 1,1 Milliarden Flüchtlinge werden. Der beste Weg, unsere Partner dort zu stabilisieren, sind der wirtschaftliche Austausch und insbesondere die Qualifizierung.
Frage: Wollen Sie dieses Ministerium im Falle eines Wahlsiegs weiter leiten?
NIEBEL: Noch mal vier Jahre könnten manche Reform unumkehrbar machen. Das wäre gut für die Entwicklungszusammenarbeit. Wir müssen aber dringend über eine Kabinettsstrukturreform nachdenken. Wir haben immer noch die Kabinettsstruktur von Helmut Kohl. In der Zwischenzeit hat sich die Welt verändert, Beispiel Klimaschutz. Kompetenzen sind so vergeben, dass ein Ressort in seinem Zuständigkeitsbereich kaum noch allein eine eigenständige Entscheidung treffen kann. Es gibt zu viele Mischzuständigkeiten. Die ewigen Abstimmungsrunden führen dazu, dass die wichtigste politische Position in Deutschland der verbeamtete Staatssekretär ist, weil auf dieser Ebene zwischen den Ressorts Entscheidungen vorbereitet werden.