05.01.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für „Stern.de“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Stern.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Hans Peter Schütz:

Frage: Fühlen Sie sich eigentlich wie der neue Messias der FDP? Der Heilsbringer, der die Partei 2017 wieder ins parlamentarische Paradies des Bundestags zurückführen will?

Lindner: Das sind journalistische Etiketten, die mir zu spielerisch sind. Die Aufgabe ist ernst. Die Wählerinnen und Wähler haben den Neuanfang der FDP erzwungen. Dem haben wir uns gestellt. Liberale Politik muss wieder eine größere Bandbreite haben: Solide Finanzen. Starke Wirtschaft. Wirksame Bürgerrechte. Faire Bildungschancen. Bürgernahes Europa. Tolerante Gesellschaft. Als Parteivorsitzender war es mein erstes Ziel, dass diese Bandbreite in der Sache auch von vielen starken Persönlichkeiten repräsentiert wird. Personell haben wir uns inzwischen neu aufgestellt.

Frage: Immerhin, die FDP liegt erstmals wieder in Umfragen bei fünf Prozent. Weil die Röslers und Westerwelles weg sind und der Neuanfang glaubwürdig wirkt?

Lindner: Die FDP hat sich ihrer Niederlage gestellt, aber nicht persönlich abgerechnet. Ich erlebe, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereit sind, einer erneuerten liberalen Partei eine Chance zu geben. Denn viele Menschen teilen ja unser Lebensgefühl: selbstbestimmt leben und Verantwortung für sich und ihre Familie übernehmen. Die brauchen den Staat als Partner, nicht als Vormund. Das ist unsere Philosophie. Zuerst hat die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger eine Chance verdient, bevor nach dem Staat gerufen wird.

Frage: In welche politische Richtung wollen Sie die FDP aus der Krise führen? An welchen Stellen muss sich die FDP programmatisch erneuern?

Lindner: Erstens gibt es eine Lücke im Parlament. Der großen Koalition steht nur eine ökologisch-sozialistische Opposition gegenüber. Wenn die Regierung höhere Abgaben, mehr Staat und mehr Bürokratie beschließt, fordern Linke und Grüne noch mehr. Eine Stimme, die zu Maß und Mitte anhält, eine Partei der Sozialen Marktwirtschaft, der Bürgerrechte und der Toleranz fehlt. Zweitens muss die FDP ihre Wirtschaftskompetenz wieder zeigen. Dazu gehört natürlich weiter, die Bürgerinnen und Bürger vor alltäglicher Bürokratie und finanzieller Überforderung durch den Staat zu schützen. Aber eben nicht nur. Liberale dürfen nämlich zum Beispiel nicht schweigen, wenn Großbanken bei Zins- und Devisenkursen zu Schaden der Kunden manipulieren. Dann muss der Markt rechtsstaatlich so geordnet werden, dass der Fleißige und nicht der Rücksichtlose belohnt wird. Das muss wieder unsere Kernkompetenz werden.

Frage: Wollen Sie auf dem Drei-Königs-Treffen in Stuttgart die politische Wiederauferstehung der FDP inszenieren?

Lindner: Das Dreikönigstreffen ist keine Inszenierung, sondern seit 150 Jahren der traditionelle Auftakt der Liberalen für das politische Jahr.

Frage: Wer ist denn jetzt ihr politischer Hauptkonkurrent? Die „Alternative für Deutschland“?

Lindner: Nein, wir wenden uns an alle, die unsere Grundüberzeugungen teilen - egal, wen sie vorher gewählt haben. Eine liberale Partei kann sich nicht über die Nähe oder Distanz zu politischen Mitbewerbern definieren.

Frage: Muss die politische Distanz zur CDU/CSU nicht größer werden?

Lindner: Dafür sorgt die Union ohne unser Zutun selbst. Die Große Koalition macht Gefälligkeitspolitik auf Pump statt Schulden zu tilgen. Die Vorratsdatenspeicherung kommt nun doch – damit werden wir alle unter Generalverdacht gestellt. Die fällige Senkung des Rentenbeitrags wird Millionen Menschen verweigert. Man kann sich nur die Augen reiben, wie kampflos sich die Union von den Prinzipien der bürgerlichen Politik der letzten vier Jahre verabschiedet. Ich sage „leider“, weil damit die gegenwärtige Stärke unseres Landes riskiert wird.

Frage: Was halten Sie von der These, dass in der Bundesrepublik nicht die FDP in einer Krise steckt, sondern der Liberalismus? Benötigen Sie statt neuer Köpfe nicht eher ein neues Programm?

Lindner: Diese These teile ich nicht. Laut Umfragen halten dreißig Prozent der Deutschen eine liberale Partei für nötig, die auf Eigenverantwortung, Marktwirtschaft, Leistungsfreude, Fortschritt und Toleranz setzt. Das haben bei der Bundestagswahl nur zu wenige in der FDP gesehen. Also müssen wir diesem Anspruch wieder gerecht werden.

Frage: Wie sehr trifft Sie der Vorwurf des „Säusel-Liberalismus“? Beim Datenschutz und in der NSA-Affäre, war er ja wohl mehr als berechtigt. Und auch in der Bildungspolitik, für deren Verbesserung sich ihre Partei nicht so energisch eingesetzt hat wie für Steuersenkungen. Wo sehen Sie den Wählerauftrag und die Chancen für einen echten Liberalismus?

Lindner: Wir können die Regierungsbilanz noch länger diskutieren, aber das ist Geschichte. Bei der Bildung haben wir viel erreicht, denn nie hat eine Bundesregierung so viel in diesem Bereich investiert. Und auch bei den Bürgerrechten ist sie, im Vergleich gerade zur Politik der Großen Koalition, sehr vorzeigbar – Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Im Blick nach vorn ist hier aber noch viel zu tun. Die staatlichen und kommerziellen Datensammler gefährden unser Recht auf Privatheit. Hier brauchen wir neue Regeln, die den Staat binden, aber auch die Nutzerrechte gegenüber den privaten Online-Anbietern stärken. Ich halte das für eine Aufgabe, die Deutschland auf der europäischen Ebene angehen muss.

Frage: Wo sehen Sie die größten Erfolgs-Chancen der FDP und die Hauptkampflinie der FDP, wenn Sie in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition blicken?

Lindner: Die Große Koalition verbraucht Zukunft, statt Zukunft zu gestalten. Die Schuldentilgung ist abgesagt, stattdessen erfinden Union und SPD neue Staatsaufgaben und Staatsausgaben. In der Energiepolitik bleiben Subventionen und das aberwitzige Tempo, aber eine echte EEG-Reform kommt in dieser Wahlperiode nicht. Stattdessen gibt es eine Belastungsprobe für Arbeitsplätze und Wirtschaft. Mit bürokratischen Fesseln und neuer Bespitzelung im Privatleben stellt die Große Koalition den Bürgerinnen und Bürgern ein Misstrauensvotum aus. Dem setzen wir marktwirtschaftliche Konzepte und ein konsequentes Eintreten für Bürgerrechte entgegen.

Frage: Was erwarten Sie von den FDP-Mitgliedern, die einst für die Liberalität der Partei standen – etwa Gerhart Rudolf Baum oder Klaus Kinkel? Sollen Sie noch mitreden, damit die FDP irgendwann mal wieder ein bisschen sexy wird?

Lindner: Sie vergessen noch Hans-Dietrich Genscher. Ich freue mich, dass diese erfahrenen und verdienstvollen Persönlichkeiten uns unterstützen. Aber Verantwortung tragen heute wir. Wir müssen eigene Wege finden.

Frage: Können Sie hier noch einmal den Kern der Freiburger Thesen erläutern, die einst einmal den Kurs der FDP charakterisierten? Und was ist davon für Sie noch aktuell?

Lindner: Das ist ein über vierzig Jahre altes Programm. Was bis heute bleibt, das ist der Anspruch, jedem einzelnen Menschen faire Chancen zu eröffnen, etwas aus seinem Leben zu machen. Viele Forderungen und Formulierungen gehören aber ins Jahr 1971. Heute muss man diesen Anspruch mit anderen Antworten mit Leben füllen.

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