LINDNER-Interview für die „Stuttgarter Zeitung“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS MARON:
Frage: Herr Lindner, vor zwei Jahren hielten Sie sich für zu jung für den Vorsitz. Jetzt sind Sie 34. Alt genug?
LINDNER: Ich habe damals einen anderen als Parteivorsitzenden für geeigneter gehalten. Mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag haben die Wähler einen Neustart erzwungen. Die FDP als Partei von wirtschaftlicher Vernunft und einer menschenbejahenden Gesellschaftspolitik wird aber gebraucht. Jeder muss jetzt seinen Beitrag leisten. Deshalb biete ich ihr an, sie zu führen.
Frage: Warum haben die Menschen Liberalität nicht mehr mit der FDP verbunden, warum wurden Sie nicht nur abgewählt, sondern am Ende von vielen mit Hass und Häme überschüttet?
LINDNER: Vielleicht war das auch ein Echo auf manchen schrillen Ton aus den Reihen der FDP? Unsere Grundwerte Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Chancengerechtigkeit sind unverändert attraktiv, aber sie waren unter Klientelvorwürfen und enttäuschten Erwartungen verschüttet. Manche bei uns mögen das ungerecht finden. Denn wahr ist, dass Millionen Menschen von unserer Regierungspolitik profitiert haben: zum Beispiel Familien, die ein höheres Kindergeld bekommen haben, Menschen, die einen Arbeitsplatz finden konnten, junge Männer, die nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen werden. Das Land steht gut da. Aber als Partei der Eigenverantwortung suchen wir die Schuld nicht bei anderen, sondern stellen uns der Niederlage. Und ziehen Konsequenzen.
Frage: Das Image der Marke FDP ist im Eimer, sie haben keine Stimme im Bundestag. Wie wollen Sie die Menschen zurück gewinnen?
LINDNER: Die FDP steht vor einer grundlegenden Erneuerung. Mit neuen Gesichtern und soliden Konzepten, aber den unverändert richtigen Werten Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Toleranz. Gerade dieser Tage sieht man doch, dass eine liberale Stimme im Bundestag fehlt. Beschließt Schwarz-Rot eine Gefälligkeitspolitik zu Lasten der Kinder und Enkel, dann will die linksgrüne Opposition nur mehr Bürokratie und mehr Geld umverteilen. Die FDP außerhalb des Parlaments ist die eigentliche Opposition. Es ist bedauerlich, dass wir unser marktwirtschaftliches Profil nicht schon im Wahlkampf an einem großen Thema geschärft haben.
Frage: Was wäre denn so ein großes Thema gewesen?
LINDNER: Es stimmt zwar, dass die Staatsschuldenkrise in Europa unsere Kräfte stark gebunden hat. In der Energiepolitik aber hätte die FDP viel mehr Durchsetzungskraft entwickeln müssen. Die Energiewende wird mit falschen, planwirtschaftlichen Instrumenten vollzogen. Das Ausbautempo ist zu hoch durch die versprochenen Dauersubventionen. Das macht die Energiewende physikalisch riskant und ökonomisch für jeden Stromkunden teurer als nötig. Auch die Große Koalition ändert daran nichts. Das bleibt also unsere Chance.
Frage: Die anderen Parteien sagen, sie seien liberal genug, um den Verlust der FDP auszugleichen. Wen wollen Sie da noch ansprechen?
LINDNER: Ich kann keine andere liberale Kraft ausmachen. Der Koalitionsvertrag zeigt es mit Blick auf Union und SPD: Wenn Parteien mit der Vorratsdatenspeicherung so massiv in die Privatsphäre eingreifen, wie das Union und SPD planen, kann ich da kein Gramm Liberalität erkennen. Nur in totalitären Gesellschaften fällt das Öffentliche und das Private zusammen. Die Menschen ändern ihr Verhalten, wenn sie das Gefühl haben, ständig betrachtet werden zu können. Auch bei den Grünen mit ihrer Neigung, uns das gute Leben diktieren zu wollen, erkenne ich keine Liberalität. Wir vertreten deshalb politische Werte, die sonst keine Partei ausreichend würdigt. Und wenn es die FDP als liberale Partei nicht schon gäbe, dann müsste man sie jetzt gründen.
Frage: Für die FDP schien es zuletzt nur noch Freunde und Feinde - sprich: Sozialisten - zu geben. Wie wollen Sie künftig mit anderen politischen Strömungen umgehen?
LINDNER: Da empfehle ich der FDP mehr Souveränität. Wir werden dort zusammenarbeiten, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Ich habe mit großer Zustimmung gelesen, wie technologiepolitisch aufgeklärt und innovationsfreudig sich der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, in den letzten Monaten geäußert hat. Wenn die Grünen, so wie wir, gegen die Vorratsdatenspeicherung kämpfen, muss man sich dessen nicht schämen. In der SPD erkenne ich eine Strömung, die industrie- und klimapolitisch realistisch ist. Und in der CDU gibt es noch einen kleinen Wirtschaftsflügel, zu dem ich freundschaftliche Kontakte unterhalte. Das alles sind Ansprechpartner für uns, nicht weil sie irgendeiner Partei zugehören, sondern weil wir ihre Positionen für vernünftig halten.
Frage: Ihr Herz schlägt also nicht mehr allein für die Union?
LINDNER: Mein Herz schlägt für die faszinierende liberale Idee von Eigenverantwortung und Chancengerechtigkeit. Wir haben ansonsten Berührungspunkte mit allen anderen demokratischen Parteien, aber jeweils auch Trennendes. Wenn es für uns noch ein Lager gibt, dann ist es unser eigenes. Und dort ist jeder herzlich willkommen, der sich mit unseren Ideen auseinandersetzen will.
Frage: Die AfD wirbt um enttäuschte Wähler. Nähern Sie Ihren europapolitischen Kurs der AfD an, wie es Euro-Skeptiker Frank Schäffler fordert, oder suchen Sie die harte Auseinandersetzung?
LINDNER: Wir stellen die AfD dort, wo sie glaubt, sie sei kompetent, nämlich im Feld der Ökonomie. Die AfD betreibt nationalökonomische Bauernfängerei. Der stabilitätsorientierte Kurs, den wir seit 2010 gefahren haben, Hilfen gegen Reformen zu gewähren, zeigt nun Zeichen der Erholung. Die Leistungsbilanzdefizite sind in Europa zurückgegangen. Die FDP will diese Stabilitätspolitik fortsetzen, damit irgendwann die Rettungsschirme eingeklappt und die finanzpolitische Eigenständigkeit wiedergestellt werden kann. Mit den Rezepten der AfD würde man dagegen aus ideologischen Gründen neue wirtschaftliche Turbulenzen auslösen. Darüber hinaus würde Deutschland einen unabsehbaren politischen Schaden erleiden. Die Herren Professoren haben offensichtlich noch nie politische Verhandlungen geführt und haben deshalb auch überhaupt keine Vorstellung davon, was ihre Ideen für andere Verträge in Europa bedeuten würden. Ich nenne zum Beispiel die Freizügigkeit, den Binnenmarkt, die Chance, einen europäischen Datenschutz zu verabreden. AfD-Politik wäre deshalb teuer und gefährlich. Sie ist alles andere als liberal.
Frage: Hans-Dietrich Genscher hat Schäffler – und damit indirekt allen, die mit ihm sympathisieren - den Austritt nahe gelegt. Tun Sie das auch?
LINDNER: Nein, die FDP ist die Partei der Meinungsfreiheit. Wir haben Wirtschaftsliberale, Bürgerrechtsliberale und wir haben auch diese kleine Gruppe der angelsächsisch inspirierten und theoretisch argumentierenden Libertären um Frank Schäffler. Die sind bei uns zu Hause. Aber sie bestimmen nicht unser Auftreten und unseren Kurs.