LINDNER-Interview für die „Ruhr-Nachrichten“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab den „Ruhr-Nachrichten“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Für Abweichungen der Druckfassung ist die Redaktion verantwortlich. Die Fragen stellte RASMUS BUCHSTEINER:
Frage: Die Große Koalition formiert sich. Wie bitter ist die Rolle der außerparlamentarischen Opposition im Bund für die FDP?
LINDNER: Sehr bitter. Aber wir stellen uns der Niederlage und erneuern uns jetzt. In großer Sorge bin ich aber um die Stärke unseres Landes. Die Große Koalition ist dabei, die Erfolge des Reformjahrzehnts seit der Agenda 2010 leichtfertig durch bürokratische Fesseln und neue Gefälligkeitspolitik zu verspielen: Es gibt mehr Posten, mehr Schulden, mehr Steuern, aber keinen Ehrgeiz für solide Finanzen oder einen marktwirtschaftlichen Neustart in der Energiepolitik. Die Große Koalition macht inhaltlich in Pepita.
Frage: Die Wirtschaftsweisen warnen Schwarz-Rot vor „einer rückwärtsgewandten Wirtschaftspolitik“. Was wäre jetzt das Gebot der Stunde?
LINDNER: Das ist ein beispielloser Weckruf an die künftigen Koalitionsparteien. Die Ausgangslage ist einmalig: Solides Wachstum, robuster Arbeitsmarkt, künstlich niedrige Zinsen. Jetzt wäre die Zeit, den Staat aus der Abhängigkeit seiner Gläubiger zu befreien und maßvoll etwa bei den Rentenbeiträgen zu entlasten. Stattdessen verteilt die Große Koalition Wahlgeschenke auf Pump und bläht den Staatsapparat auf. Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
Frage: Die FDP wurde abgestraft. Ist Schwarz-Rot nicht genau das, was die meisten Wählerinnen und Wähler wollten?
LINDNER: Die Union gibt nach der Wahl als erstes das Ziel des Schuldenabbaus auf. Einen solchen Politikwechsel nach links, wie wir ihn in den Koalitionsverhandlungen erleben, haben die Wählerinnen und Wähler der Union sicher nicht gewollt. Sie waren für eine Fortsetzung der Politik der letzten vier Jahre. Frau Merkel muss also erklären, warum die Union in der Großen Koalition quasi über Nacht und kampflos die marktwirtschaftlichen Prinzipien der christlich-liberalen Koalition aufgibt. Beispielsweise der von der Politik festgelegte Mindestlohn wäre eine Hürde für junge Menschen ohne Ausbildung, überhaupt einmal einen Einstieg zu finden.
Frage: Bei der Pkw-Maut verspricht Peter Ramsauer (CSU) als amtierender Bundesverkehrsminister, dass es keine Mehrbelastungen für deutsche Autofahrer geben werde. Wäre eine Vignette unter dieser Bedingung akzeptabel?
LINDNER: Das ist Symbolpolitik. Das geringe Aufkommen aus einer Vignette, das im Raum steht, löst kein Problem unserer Infrastruktur. Unverändert glaube ich auch nicht daran, dass eine Belastung für deutsche Autofahrer ausgeschlossen werden kann. Hier wird ein intransparenter Verschiebebahnhof geplant, aber am Ende wird es doch teurer für uns alle.
Frage: Sie hatten Ihrer Partei im Frühjahr empfohlen, Brücken zu anderen Parteien zu bauen anstatt Gräben zu festigen. Haben Sie sich schon mit SPD-Chef Sigmar Gabriel verabredet?
LINDNER: Ich will für die FDP Brücken zu den Bürgerinnen und Bürgern bauen. Sigmar Gabriel baut gerade an einer zur Linkspartei. Wir werden uns in Zukunft nicht mehr durch Nähe und Ferne zu politischen Mitbewerbern definieren. Die FDP braucht ein eigenständiges Profil. Wir bieten politische Lösungen aus der Perspektive des einzelnen Menschen und seinem Recht auf Selbstbestimmung an. Für andere steht der Staat oder das christliche Menschenbild oder die Ökologie oder ein kollektives Wir im Mittelpunkt. Für Liberale sind die Bürgerinnen und Bürger dagegen keine Opfer, die Politiker vor sich selbst schützen müssen.
Frage: Wo bleibt die Wertschätzung für das sozialliberale Erbe der FDP?
LINDNER: Es gibt natürlich auch Berührungspunkte mit der SPD. Ich begrüße zum Beispiel die Ankündigung von Manuela Schwesig, der Großen Koalition die Zustimmung zu verweigern, wenn es nicht zur vollen Gleichstellung von Ehe und homosexuellen Lebensgemeinschaften kommt. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass sich seit dem 22. September fast alle führenden SPD-Politiker bei mir gemeldet haben und trotz öffentlicher Rivalität im persönlichen Gespräch sehr angemessene Worte gefunden haben. Dennoch bleiben wir politische Wettbewerber. Und die SPD orientiert sich ja ohnehin Richtung Linkspartei.
Frage: Im Dezember kandidieren Sie für das Amt des FDP-Chefs. Was ist für Sie die wichtigste Lehre aus der historischen Wahlniederlage?
LINDNER: Wir müssen die FDP neu aufstellen, um wieder ein glaubwürdiges und kompetentes liberales Profil zu zeigen. Das Eintreten für Marktwirtschaft und gesellschaftliche Liberalität gleichermaßen, das bleibt unsere DNA. Seit der Bundestagswahl hat die FDP damit mehr als 1500 neue Mitglieder gewonnen. Das gibt mir Zuversicht.