02.08.2015FDPEinwanderung

LINDNER-Interview: ESM wird zu einer Art Länderfinanzausgleich

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „B.Z. am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ULRIKE RUPPEL:

Frage: Herr Lindner, Union, SPD und Grüne wollen Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland. Hätte die FDP im Bundestag ebenfalls zugestimmt?

LINDNER: Nein, weil die Bundesregierung die Strategie in der Euro-Politik grundlegend verändert hat. Der Internationale Währungsfonds hat erstmals erklärt, dass Griechenland seine Schulden nicht mehr tragen kann. Wenn man jetzt weiter Geld gibt, verschenkt man es. Der Rettungsschirm ESM wird dadurch von einem Instrument der Krisenhilfe zu einer Art Länderfinanzausgleich.

Frage: Jetzt wollen Sie den Grexit?

LINDNER: Ich will eine andere Strategie. Ich hätte gern gesehen, dass man den Grexit vermeidet und Griechenland auf den Pfad der Reformen zurückkehrt. Das ist nicht geschehen. Der richtige Weg für Athen wäre: Umschuldung und raus aus dem Euro! Dann mit EU-Strukturhilfen eine funktionierende Verwaltung aufbauen, die Wirtschaft stärken und die neue Währung abwerten. In ein paar Jahren kann man dann sehen, ob Griechenland bereit ist, in den Euro zurückzukehren.

Frage: In Brüssel denkt man über einen Eurozonen-Finanzminister mit eigenem Haushalt und einer eigenen Steuer nach. Was sagen Sie?

LINDNER: Da schrillen bei mir die Alarmglocken. Wir erleben doch gerade, dass die Regeln in der Euro-Zone wieder weichgemacht werden. Ohne feste Regeln, die für alle gelten, kann man die Integration nicht weiter vorantreiben. Ich hätte auch die Sorge, dass ein solcher Super-Finanzminister sich kaum an unserer freiheitlich-sozialen Marktwirtschaft, sondern an einem Mix aus französischer Industriepolitik und südeuropäischer Improvisation orientieren würde.

Frage: Wie zufrieden sind Sie mit der Regierungsarbeit der CDU?

LINDNER: Die CDU sozialdemokratisiert sich zunehmend. Der Unterschied zur SPD ist kaum noch zu erkennen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein CDU-Finanzminister ein Erbschaftssteuergesetz vorantreibt, das kleine und mittlere Betriebe in ihrem Bestand gefährdet.

Frage: Immerhin schafft Schäuble den Abbau der kalten Progression, den Schwarz-Gelb nur versprochen hatte.

LINDNER: Einspruch! Wir hatten im Bundestag eine Entlastung von mehr als 7 Milliarden im Jahr durchgesetzt. Das hat die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat verhindert. Jetzt wird die kalte Progression um gerade mal 1,5 Milliarden abgebaut – obwohl die Steuereinnahmen in 10 Jahre um fast 70 Prozent gestiegen sind. Das ist nicht mehr als eine Taschengelderhöhung. Herr Schäuble muss den Kurs wechseln!

Frage: Was meinen Sie?

LINDNER: Die großen Risiken der Euro-Rettungspolitik für Deutschland erfordern eine Kehrtwende der Haushaltspolitik. Schäuble müsste auf einem sparsamen Kurs bestehen, statt ein teures SPD-Wahlgeschenk nach dem anderen zu bezahlen. Die niedrigen Zinsen schrumpfen die Erträge der Lebensversicherungen, während sie dem Staat ohne eigenes Zutun zehn Milliarden Euro Einsparungen bringen. So schafft Herr Schäuble die schwarze Null: auf Kosten der Einkommen und der Altersversicherungen der Bürger.

Frage: Neuerdings wirbt der SPD-Chef um die Mitte und für Leistungsgerechtigkeit. Gefällt Ihnen dieser neue Sigmar Gabriel?

LINDNER: Das Thesenpapier von Herrn Gabriel hat nichts mit der SPD und ihrer Regierungspraxis zu tun. Er schreibt, er wolle etwas für die 30- bis 50-Jährigen tun, und dann knüppelt er ihnen die Rente mit 63 zwischen die Beine. Bei Sigmar Gabriel klafft eine riesige Lücke zwischen Worten und Taten. Ich würde mir wünschen, dass Sozialdemokraten à la Helmut Schmidt und Wolfgang Clement mehr zu sagen hätten. Aber es sind die Nahles', Schwesigs und Stegners, die den Kurs der SPD bestimmen. Und das geht eher in Richtung Linkspartei als in Richtung FDP.

Frage: Gerade war Gabriel als Wirtschaftsminister im Iran. Gefällt es der wirtschaftsfreundlichen FDP, dass er die Chancen der Annäherung nutzen will?

LINDNER: Ich bin immer für Dialog und Entspannung. Aber diese Reise erschien mir doch etwas früh. Fragen von Menschenrechten, der Sicherheit in der Region und des Existenzrechts Israels wiegen schwerer als wirtschaftliche Interessen. Ich glaube, dass der Iran in Israel immer noch den kleinen Satan und in den USA den großen Satan sieht. Deshalb rate ich zu größter Vorsicht.

Frage: Das Thema Flucht und Asyl bewegt zurzeit die Gemüter. Was ist das Konzept der FDP?

LINDNER: Die Aufnahmeverfahren und die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sind eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht Sache von Ländern und Kommunen. Deshalb muss der Bund die Kosten komplett übernehmen und eine faire Lastenverteilung innerhalb Deutschlands und Europas erreichen. Innerhalb Deutschlands macht es keinen Sinn, in Ballungsräumen immer mehr Flüchtlinge unterzubringen, wenn im ländlichen Bereich Liegenschaften brach liegen. Wir brauchen jetzt eine Managementplattform auf Bundesebene, die das zentral steuert.

Frage: Die Politik kann sich keine Sommerferien erlauben. Sie haben Ihre schon hinter sich. Was haben Sie gemacht?

LINDNER: Ich war mit meiner Frau und unserem Freundeskreis auf Mallorca. Wir machen gern Urlaub mit vielen Leuten! Morgens habe ich zwei Stunden Sport gemacht, mittags haben wir am Strand wunderbar zu Mittag gegessen und abends die Insel unsicher gemacht.

Frage: Welchen Sport treiben Sie?

LINDNER: Ich trainiere mit Gewichten und steige zuhause jeden Tag ein Stündchen auf die Rudermaschine. Dabei schaue ich amerikanische Serien, zurzeit am liebsten Sense8 auf Netflix. Im Urlaub bin ich aufs Laufband und auf den Crosstrainer gegangen.

Frage: Schwimmen ist nicht so Ihr Ding?

LINDNER: Lieber bewege ich mich auf dem Wasser, am liebsten mit dem Motorboot. Ich habe zwar einen Segelschein, aber ich kriege das Benzin nicht aus dem Blut!

Frage: Sie sind stets gut gekleidet, sehen topfit aus, haben sich sogar Haare transplantieren lassen. Wie wichtig ist Ihnen Ihr Äußeres?

LINDNER: Danke für die Blumen (lacht). Aber manchmal ist es eine Frage der Alternative. Als die Haare immer weniger wurden, stand ich vor der Wahl: Alles ab oder eingreifen lassen. Bekanntlich gehöre ich zu denjenigen, die sagen, dass man Chancen nutzen sollte.

 

 

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