22.11.2013FDPJustiz

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER-Interview für das „Handelsblatt“

Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Bundesjustizministerin SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER gab dem „Handelsblatt“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte TILL HOPPE:

Frage: Frau Ministerin, fürchten Sie nach dem Kunstfund eine Welle der Rückgabe-Ansprüche?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Die Sammlung von Herrn Gurlitt ist zwar durch einen Zufall entdeckt worden. Der Fund verdeutlicht aber, dass in deutschen Wohnzimmern noch viele Bilder hängen könnten, deren Herkunft zweifelhaft ist.

Frage: Sehen Sie eine rechtliche Handhabe für die Restitution der Bilder?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Diese Frage kann man nur Bild für Bild beantworten. Es kommt sehr darauf an, welche Bilder wann mit welchem Wissen erworben wurden. In vielen Fällen wird es sich nachweisen lassen, wenn ein Kunstgegenstand widerrechtlich weggenommen wurde. Aber: Mit jedem Jahr und jedem Verkauf wird dieser Nachweis schwieriger. Die heutigen Besitzer werden sich auf die Verjährung oder darauf berufen, dass sie die Werke schon lange besitzen.

Frage: Ansprüche auf die Herausgabe geraubter Gemälde verjähren nach spätestens 30 Jahren. Lässt sich die Frist rückwirkend verlängern?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Nach der Willkür der NS-Zeit haben wir uns ein Grundgesetz gegeben, das strenge rechtsstaatliche Maßstäbe an unsere Gesetzgebung anlegt. Eine bereits eingetretene Verjährung per Gesetz nachträglich aufzuheben ist nur sehr schwer vorstellbar. Wenn ein solches Gesetz in Karlsruhe scheitert, ist niemandem geholfen.

Frage: Die Politik hat die Fristen trotz wiederholter Kritik des Auslands nicht verlängert. Hat sie versagt?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Unsere Fristen - zehn Jahre für gutgläubigen Erwerb, 30 Jahre für Verjährung - sind nicht kurz. Fristen dienen in der Regel dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herzustellen. Bei den Folgen der NS-Herrschaft ist das mit einem Fristablauf aber nicht zu erreichen. Daher ist in der Washingtoner Erklärung, der wir uns verpflichtet fühlen, von einem "fairen Ausgleich" die Rede.

Frage: Hat die Regierung die Verjährung so restriktiv geregelt, um Ansprüche abbügeln zu können, wie Experten glauben?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Das Schicksal der Gemälde muss für jeden Einzelfall geklärt werden. Wenn es nicht zu einvernehmlichen Regelungen kommt, werden wir langwierige, schwierige Prozesse erleben. Abbügeln lässt sich da nichts.

Frage: Gurlitt hat einen Deal ausgeschlagen. Haben Sie Hoffnung, dass er sich doch noch darauf einlässt?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Herr Gurlitt trägt neben rechtlichen auch moralische Verpflichtungen. Ich denke, dass er sich dieser Tatsache nicht ewig wird verschließen können. Es ist für einen 80-jährigen Mann auch nicht angenehm, so lange einem medialen Trommelfeuer ausgesetzt zu sein. Die Bundesregierung kann das Verfahren aber ohne die Mitwirkung von Herrn Gurlitt kaum beschleunigen. Ich hoffe, dass er und diejenigen Personen, die zu ihm Zugang haben, dies bald einsehen werden.

Frage: Und wenn nicht?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Kann sich der Fall noch lange hinziehen, zum Schaden aller Seiten.

Frage: Verkennt die Politik die Brisanz des Themas im Ausland?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Die Brisanz ist uns bewusst. Eine heftige innenpolitische Debatte würde die Suche nach einer einvernehmlichen Lösung aber eher noch erschweren.
 

Social Media Button