03.01.2016FDPFDP

KUBICKI-Interview: Wir sind nicht an die Union gekettet

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „Sonntag Aktuell“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte NORBERT WALLET:

Frage: Herr Kubicki, viele Wähler, auch im Südwesten, stellen sich die Frage, was denn so neu an der angeblich neuen FDP sein soll ...

KUBICKI: Zum einen haben wir neues Personal. Und wir wissen, dass in der Regierungszeit mit der Union in der FDP eine gewisse Erosion ihrer Grundwerte stattgefunden hatte. Auf diese Grundpositionen konzentrieren wir uns jetzt neu. Dazu zählt: Wohlstand beruht auf guter Bildung. Eine florierende Wirtschaft ist die Basis für staatliche Leistungsfähigkeit. Aber Wettbewerb braucht Grenzen und Regeln. Und: Wir müssen unsere marode Infrastruktur auf Vordermann bringen. Dazu gehört auch Straßenbau. Mobilität ist eine Ausdrucksform von Freiheit.

Frage: Setzt die neue FDP noch immer auf das alte Steuersenkungsthema?

KUBICKI: Wir haben so viele Steuereinnahmen wie nie zuvor – und zwar auch deswegen, weil zwischen 2009 und 2013 eine moderate Steuerpolitik betrieben wurde. Was wir derzeit am dringlichsten brauchen, ist ein Abbau der kalten Progression und eine Tarifbegradigung. Ich bin derzeit kein Freund von allgemeinen Steuersenkungen. Aber einige Dinge müssen erledigt werden: Neben dem Abbau der kalten Progression muss vor allem der Soli-Zuschlag zurückgegeben werden. Die Bürger verlieren das Vertrauen in die Politik, wenn immer neue Begründungen für seine Beibehaltung gesucht werden.

Frage: Ist die neue FDP heute aufgeschlossener gegenüber Bündnissen mit der SPD? Dort liebäugeln selbst ausgewiesene Linke wie Ralf Stegner inzwischen eher mit der FDP als mit der Linkspartei ...

KUBICKI: Diese Wandlung nehme ich schon wahr. Aber das Addieren von Zahlen im Hinblick auf Wahlchancen hilft nicht weiter, man braucht gemeinsame Projekte.

Frage: Sehen Sie solche Gemeinsamkeiten?

KUBICKI: Mit großem Interesse habe ich die Äußerungen von SPD-Chef Gabriel zu TTIP vernommen. Auch bei seinen Bemerkungen zur Steuerpolitik habe ich gut zugehört. Er hat davor gewarnt, die Mitte der Gesellschaft durch eine Überbelastung zu verprellen. Es gibt also möglicherweise Ansätze zu einer engeren Zusammenarbeit, wenn die SPD diesen Vorgaben Gabriels folgen sollte. Selbstverständlich ist die FDP nicht bedingungslos an die Union gekettet.

Frage: Wirklich nicht?

KUBICKI: Die Union ist zwar momentan noch der Partner, mit dem wir die größten Schnittmengen haben. Aber angesichts der Politik von Frau Merkel und Frau von der Leyen verringert sich diese Schnittmenge deutlich. Die SPD bemüht sich ihrerseits, in der Rechtsstaats- und Bildungspolitik Schnittmengen mit der FDP zu vergrößern. Aber bitte: Ich würde Gespräche mit der SPD nicht ausschließen, aber all das käme nach Wahlerfolgen, nicht vorher.

Frage: Hat Sigmar Gabriel das Rüstzeug für die Kanzlerschaft?

KUBICKI: Gelegentlich versäumt er es, seine intellektuellen Sprünge ausreichend zu begründen. Das ist ein Problem. Aber er ist ein Politiker mit Format.

Frage: Flüchtlingskrise – schaffen wir das?

KUBICKI: Ja, aber dazu müsste sich einiges schnell ändern. Eine Million Flüchtlinge jedes Jahr – das würde den Staat, aber auch die ehrenamtlichen Helfer vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen. Wir können es schaffen, wenn wir unser Planungs- und Baurecht drastisch vereinfachen; wenn wir – nicht nur für Flüchtlinge – unseren Arbeitsmarkt flexibler machen. Aber natürlich müssen wir schnell dafür sorgen, den Zuzug zu steuern und zu verlangsamen.

Frage: Brauchen wir dazu einseitig nationale Maßnahmen, wenn die EU daran scheitert?

KUBICKI: Die Kanzlerin ist international gerade dabei, den europäischen Gedanken zu zertrümmern. Sie tritt auf, als sei Deutschland den anderen Nationen moralisch überlegen. Das ist nicht akzeptabel. Mehr Zurückhaltung wäre für Frau Merkel angebracht. Aber tatsächlich können wir national einiges tun. Die FDP tritt dafür ein, den Sonderschutzstatus für Flüchtlinge wieder einzuführen, den wir auch in den 90er Jahren zu Zeiten der Balkankrise eingeführt hatten. Der wäre auf drei Jahre begrenzt und bedürfte dann keiner weiteren komplizierten Prüfverfahren. Das würde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge drastisch entlasten. Und die Flüchtlinge könnten zügig in Ausbildung und Arbeit gelangen.

Frage: Das würde den Zustrom besser abarbeiten, aber gebremst würde er dadurch noch nicht.

KUBICKI: Die Asylanträge derjenigen, die nicht aus Kriegsgebieten kommen, könnten viel schneller bearbeitet werden. Das führte gegebenenfalls auch zu schnelleren Rückführungen – das würde seinen Effekt nicht verfehlen.

Frage: Der Protest gegen die Flüchtlingspolitik bündelt sich zum Teil bei der AfD. Welchen Umgang empfehlen sie den demokratischen Parteien mit der AfD?

KUBICKI: Die FDP hat mit denen keine Überschneidungen. Wir sind europafreundlich und weltoffen. Die AfD operiert mit Ängsten. Wir müssen uns offensiv mit der AfD auseinandersetzen. Kein Verschweigen, kein Brandmarken, keine Verbote – wir müssen eine offene Debatte führen, denn wir haben die besseren Argumente.

Frage: Halten Sie die AfD für eine rechtsradikale Partei?

KUBICKI: Sie ist durchweg rechtspopulistisch und in Teilen tatsächlich rechtsradikal bis hin zu offener Demokratiefeindlichkeit.

Frage: Terrorangst, Flüchtlingskrise – keine guten Zeiten für eine Partei wie die FDP, die einem starken Staat immer kritisch gegenübersteht ...

KUBICKI: Falsch. Die FDP war nie für einen schwachen Staat. Er muss so stark sein, dass er Bürgerrechte wirksam verteidigen kann. Aber nehmen Sie mal die Vorratsdatenspeicherung: Damit fangen Sie weder Einbrecher noch Terroristen. Sie schafft nicht mehr Sicherheit. Frankreich hat eine härtere Regelung, als wir sie je in Deutschland einführen wollten – die Anschläge konnten dennoch nicht verhindert werden.

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