KUBICKI-Interview: Wir lehnen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung generell ab
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „Passauer Neuen Presse“ und der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANDREAS HERHOLZ:
Frage: Cyber-Angriff auf den Bundestag. Die Dimension ist viel größer als gedacht. War die Bundestagsverwaltung zu sorglos?
KUBICKI: Offenbar ist dem Aspekt des Schutzes der IT-Systeme im Bundestag zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Dass es einen flächendeckenden Cyberangriff auf den Bundestag gibt und nicht mal das genaue Ausmaß klar ist, ist nicht nur ein Armutszeugnis für die Bundestagsverwaltung, sondern ein Armutszeugnis für eine Industrienation wie Deutschland. Der Bundestag scheint noch nicht richtig in der Digitalen Welt angekommen zu sein. Dass Computersysteme gehackt werden können, weiß man nicht erst seit der NSA-Affäre. Der Bundestag droht sich hier lächerlich zu machen.
Frage: Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wird heute schon zur Beratung in den Bundestag eingebracht. Wird das Vorhaben im Schnelldurchgang durchgepaukt?
KUBICKI: Union und SPD wollen das Gesetz offenbar durchpeitschen und so schnell wie möglich durch den Bundestag bringen. Wir brauchen eine sorgfältige Beratung. Es gibt ja bereits Kritik selbst vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages.
Frage: Die Bundestags-Juristen haben verfassungsrechtliche Bedenken.
KUBICKI: Die Bundestagsjuristen halten den Gesetzentwurf für verfassungswidrig und beklagen genau wie die FDP den mangelnden Schutz der Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Abgeordnete, Anwälte oder Journalisten. Ich werde als Abgeordneter und in meiner Funktion als Anwalt juristisch dagegen vorgehen und nach Verabschiedung des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung ausdrücklich klargestellt, dass die Daten von Berufsgeheimnisträgern grundsätzlich nicht gespeichert werden dürfen. Die Bundesregierung sollte ihre Pläne besser wieder zurückziehen. Wenn der eigene Wissenschaftliche Dienst ein solches Gesetz für verfassungswidrig hält, darf der Bundestag ein solches Gesetz nicht verabschieden.
Frage: Welche Änderungen muss es aus Ihrer Sicht geben?
KUBICKI: Wir lehnen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung generell ab. Mit diesem Instrument erreicht man nicht die beabsichtigten Ziele. Die Behauptung, wir bräuchten sie dringend zur Terrorbekämpfung und zur Aufklärung schwerer Verbrechen, ist einfach falsch. In Frankreich gibt es seit 2006 die komplette Vorratsdatenspeicherung. Dennoch konnte das Attentat auf Charlie Hebdo nicht verhindert werden. Gäbe es die von der Bundesregierung geplante Vorratsdatenspeicherung, würde sich das Kommunikationsverhalten völlig verändern, weil man fürchten müsste, dass mit den gespeicherten Daten Schindluder getrieben würde.
Frage: Aber wie sollen Ermittler technisch Schritt halten, Terroristen und Kriminelle wirksam überwachen und auf ihre Spur kommen?
KUBICKI: Das Quick-Freeze-Verfahren wäre ein sinnvolles Instrument. Immer dann, wenn es konkrete Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende schwere Gewalttat gibt, könnten Daten vorübergehend erfasst, eingefroren und mit richterlicher Anordnung genutzt werden.
Frage: Bundesjustizminister Heiko Maas war angetreten, um die Vorratsdatenspeicherung zu verhindern. Jetzt hat er dennoch den Gesetzentwurf vorgelegt. Wie bewerten Sie diesen Kurswechsel?
KUBICKI: Heiko Maas muss mit sich selbst ins Reine kommen. Jemand, der erst so dezidiert die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt hat und sie jetzt dennoch auf den Weg bringt, hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Das ist kein Ruhmesblatt für Justizminister Heiko Maas und kein Ruhmesblatt für die Sozialdemokratie. Wenn es die SPD-Basis mit dem Schutz von Freiheits- und Bürgerrechten wirklich ernst meint, dann sollte sie auf ihrem Parteikonvent dafür sorgen, dass das Gesetz gestoppt wird.