KUBICKI-Interview für das „Handelsblatt“
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied WOLFGANG KUBICKI gab dem „Handelsblatt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten TILL HOPPE und THOMAS SIGMUND:
Frage: Herr Kubicki, hat sich die CDU in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD kleiner gemacht, als sie ist?
KUBICKI: Der Sozialflügel der Union hat sich in den Verhandlungen jedenfalls gegen den Wirtschaftsflügel durchgesetzt. Die Kanzlerin hätte auch stärker eingreifen können, hat sie aber nicht. Ihre Politik besteht ja darin, Konflikten möglichst auszuweichen. Ihre Taktik ist die einer Aikido-Kämpferin - sie nutzt den Schwung des Gegners. Ihrer inneren Grundüberzeugung nach ist sie ohnehin eher Sozialdemokratin als Ordnungspolitikerin, die den Staat lediglich als Schiedsrichter des Marktes sieht.
Frage: Sind Sie enttäuscht?
KUBICKI: Die Union ist ordnungspolitisch auf einem gefährlichen Weg. Der Koalitionsvertrag steht für mehr Staatsdirigismus, mehr Subventionen und weniger Marktwirtschaft. Bei der SPD wundere ich mich über die Jubelarien, eigentlich hat sie doch nichts erreicht: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der flächendeckende Mindestlohn 2017 tatsächlich kommt, wenn sich Konjunktur und Arbeitsmarkt bis dahin eintrüben.
Frage: Mit welchen Themen will denn die FDP auf dem Parteitag am kommenden Wochenende punkten?
KUBICKI: Drei Themen. Das eine liegt mir als Strafverteidiger besonders am Herzen: der Schutz von Bürgerrechten und die Abwehr von Willkür. Besonders bedrückt mich, dass die Großkoalitionäre die anlasslose Vorratsdatenspeicherung einführen wollen. Da braucht die NSA ja gar nicht mehr zu spionieren - wir liefern ihnen die Daten von 82 Millionen Bundesbürgern frei Haus.
Frage: Und in der Wirtschaftspolitik?
KUBICKI: Wir brauchen schnellstens mehr marktwirtschaftliche Prinzipien bei der Umsetzung der Energiewende. Wir ruinieren derzeit über die Preissteigerungen nicht nur den Industriestandort Deutschland, sondern überfordern auch viele Menschen.
Frage: Und drittens?
KUBICKI: Wir müssen eine neue Euphorie für Europa entwickeln, damit sich nationalistische Tendenzen nicht durchsetzen. Wir erleben ja gerade, dass Europa nur gemeinsam stark genug ist, um sich mit Amerikanern oder Chinesen zu messen - nicht nur wirtschaftlich, siehe Airbus, sondern auch bei der Durchsetzung des eigenen Rechtsempfindens, siehe NSA. Dort brauchen wir vor der Wahl des Europaparlaments im Mai ein scharfes Profil.
Frage: Wer kann diese Euphorie als FDP-Spitzenkandidat vermitteln?
KUBICKI: Die Wahlen dazu finden erst am 19. Januar statt. Aber ich gehe davon aus, dass Alexander Graf Lambsdorff unser Spitzenkandidat wird. Er spielt auf europäischer Ebene bereits eine bedeutende Rolle für die Liberalen. Jetzt wird er auch in Deutschland innenpolitisch stärker in Erscheinung treten müssen. Aber ich bin sicher, dass ihm das gelingt.
Frage: Graf Lambsdorff wird innerhalb der FDP kritisch gesehen, weil er für Euro-Bonds eingetreten ist.
KUBICKI: Moment, er selbst ist nicht für eine Vergemeinschaftung der Schulden eingetreten, das waren Teile der liberalen Fraktion im EU-Parlament. Graf Lambsdorff hat immer für den Grundsatz geworben, Hilfe nur gegen Reformen, und Euro-Bonds abgelehnt. Das steht so auch im Entwurf unseres Programms für die Europawahl, das er mitverantwortet hat.
Frage: Sie stehen nicht zur Verfügung?
KUBICKI: Ich stehe definitiv nicht zur Verfügung. Ich kandidiere auf dem Parteitag als stellvertretender Bundesvorsitzender, weder mein Herz noch meine Verantwortung gegenüber der Partei ziehen mich in Richtung Europa.
Frage: Wie ist die Stimmung in der FDP nach dem Aus für die Partei bei der Bundestagswahl?
KUBICKI: Ich bin zurzeit viel auf Landesparteitagen unterwegs, die Stimmung an der Basis ist wirklich kämpferisch. In der Führungsetage ist sie dagegen eher depressiv, was nach dem katastrophalen Wahlergebnis auch nachvollziehbar ist. Aber der Bundesparteitag wird sich hoffentlich nur kurz mit der Aufarbeitung der Vergangenheit aufhalten - es ist ja völlig egal, wer an der Niederlage schuld ist. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir die Partei im öffentlichen Bewusstsein halten und die Europawahl erfolgreich bestreiten können.
Frage: Der Euro-Kritiker Frank Schäffler kandidiert fürs Parteipräsidium, wird er es schaffen?
KUBICKI: Ich habe Zweifel, dass er es schaffen wird. Aber ich bin sicher, dass es für ihn locker für den Bundesvorstand reichen wird. Und ich unterstütze ihn darin, weil ich finde, dass die Partei das gesamte Meinungsspektrum abbilden muss. Ich bin schon aus eigener Erfahrung dafür, dass wir abweichende Meinungen nicht nur zulassen, sondern respektieren müssen. Deshalb werbe ich dafür, Frank Schäffler und Holger Zastrow, den ich gerne als Parteivize sehen würde, zu unterstützen.
Frage: Wie stark wird die FDP auf den euro-kritischen Kurs der Alternative für Deutschland (AfD) einschwenken?
KUBICKI: Gar nicht. Wir haben in der Euro-Rettung völlig andere Auffassungen als die AfD. Und wenn man dieses Monothema wegnimmt, bleibt von der AfD nicht mehr viel übrig.
Frage: Die Personaldecke der FDP war schon zur Regierungszeit dünn. Wie wollen Sie das Comeback schaffen?
KUBICKI: Auch Westerwelle, Rösler oder Brüderle waren einmal Namenlose. Außerdem hat ihre Bekanntheit auch nicht ausgereicht, um mehr als fünf Prozent der Wähler zu überzeugen. Wir haben immer noch interessante Persönlichkeiten mit Außenwirkung.
Frage: Wie lange wird die FDP brauchen, um den Vertrauensverlust in ihrer Wählerklientel wettzumachen?
KUBICKI: Wenn alles beim Alten bliebe, sehr lange. Die Große Koalition löst aber weder bei den eigenen Leuten noch bei überhaupt irgendjemand große Begeisterung aus. Im täglichen Regierungsgeschäft wird deshalb die Sehnsucht nach der FDP und anderen politischen Lösungsmöglichkeiten aufkommen. Wenn Union und SPD weitere Sozialleistungen versprechen, deren Finanzierung auf tönernen Füßen steht, werden Linke und Grüne noch einen draufsetzen. Die Liberalen sind dann die Einzigen, die danach fragen, wie das Geld denn erwirtschaftet werden soll. Ich würde mir größere Sorgen um die FDP machen, wenn es zu einer Koalition zwischen Union und Grünen gekommen wäre.
Frage: Warum?
KUBICKI: Erstens wäre das Gewicht des Wirtschaftsflügels innerhalb der Union größer gewesen. Zweitens sind die Grünen pragmatischer geworden, in der Energiewirtschaft oder in Fragen der Infrastruktur sind sie nicht mehr solche Hardliner wie noch vor einigen Jahren.