KUBICKI-Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI schrieb für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Es gibt gewisse Grundlinien, die für Große Koalitionen in der Bundesrepublik bestimmend sind. Die wichtigste von allen ist das Vorhandensein eines intakten Vertrauensverhältnisses zwischen den Vorsitzenden der beiden regierungstragenden Fraktionen. So schrieb Helmut Schmidt vor einigen Jahren über seinen Fraktionsvorsitzendenkollegen aus der Zeit der ersten Großen Koalition (1966-69), Rainer Barzel: „Weil man sich aufeinander verlassen konnte, haben die drei Jahre der damaligen Großen Koalition insgesamt ein akzeptables Ergebnis gehabt“.
Das Verhältnis zwischen Peter Struck und Volker Kauder konnte – so berichteten es später beide Beteiligte – gar nicht besser sein. Auch hier erklärten Struck und Kauder unisono, das Zusammenwirken der beiden Schaltstellen sei der Hauptgrund für die gute Arbeit der von Merkel geführten Koalition von 2005 bis 2009 gewesen.
Vergleichen wir diese historischen Vorgaben, so kommen wir angesichts der aktuellen Ereignisse rund um den Fall Edathy nicht umhin, stark daran zu zweifeln, dass es den aktuellen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder und Thomas Oppermann gelingt, den ohnehin kompliziert zu manövrierenden Tanker namens „GroKo“ durch sämtliche Untiefen zu steuern. Denn mit der medial durchaus verunglückten Pressemitteilung von Herrn Oppermann vom vergangenen Donnerstag hat sich ein Graben zwischen Schwarz und Rot aufgetan, der unter der aktuellen Personalkonstellation höchstwahrscheinlich nicht mehr zugeschüttet werden kann.
Die Koalition hat deshalb jetzt die Wahl: Entweder die Sozialdemokraten geben das von der CSU lauthals geforderte „Personalopfer“, um den Weg frei zu machen für ein neues Tandem, oder die Koalition steuert – schon nach zwei Monaten – führungslos auf kommende politische Klippen zu. Wer glaubt, dass die Bundeskanzlerin in dieser Situation das Ruder in die Hand nehmen könne, täuscht sich über die Einwirkungsmöglichkeiten der Regierungschefin. Tatsächlich ist der parlamentarische Betrieb in seinem tagesaktuellen Geschäft weitgehend abgekoppelt vom Regierungshandeln. Das Parlament lässt sich aus bzw. von dem Kanzleramt nicht lenken. Abgesehen davon: Frau Merkel ist – bislang zumindest – nicht dafür bekannt geworden, dass sie entschlossen eine Führungsrolle annimmt.
Bedenkt man, dass sich die Vorgängerkoalition aus Union und FDP nach etwa einem Dreivierteljahr in gegenseitige Vorhaltungen („Wildsau“ versus „Gurkentruppe“) verlor, sind wir jetzt unter Schwarz-Rot in der Eskalationsstufe einen erheblichen Schritt weiter. Wenn Koalitionäre aus machtarithmetischen Gründen nach dem Rücktritt auf der einen, den Rücktritt auf der anderen Seite fordern, dann drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, dass der katastrophale Einstand, den die Koalition gegeben hat, gleichzeitig auch ihr frühzeitiges Ende einläutet. Denn um unter den gegebenen Umständen noch gegenüber dem Partner mit politischen Forderungen Wirkung zu erzielen, müssen die Forderungen entsprechend nach oben angepasst werden. Nur: Welche schärfere Forderung kann auf ein Rücktrittsverlangen noch folgen?
Wir konnten in den vergangenen Tagen viel darüber lernen, was es bedeutet, in einer Großen Koalition Politik zu machen. Vieles davon empfand auch ich trotz meiner 21-jährigen parlamentarischen Erfahrung als höchst erschütternd. Klar ist, dass Thomas Oppermann den BKA-Präsidenten Jörg Ziercke nicht in der Causa Edathy in der Erwartung hätte anrufen dürfen, eine – wie auch immer geartete – Bestätigung der vorliegenden Informationen zu bekommen. Klar ist ebenso, dass Ziercke keine – wie auch immer geartete – Bestätigung der Informationen geben durfte. Deshalb ist gleichsam klar, dass Thomas Oppermann als Vorsitzender einer der regierungstragenden Fraktionen nicht mehr haltbar sein kann.
Fassungslos jedoch bin ich über die Selbstverständlichkeit, mit der der damalige Parlamentarische Geschäftsführer Oppermann – von Beruf übrigens Richter – zum Telefonhörer gegriffen haben muss. Dass er dazu keinerlei Rechtsbefugnis hatte und immerhin einen Rechtsbruch zumindest versucht hat, ist aus meiner Sicht eindeutig; dass er aber meinte, dies in seiner Funktion als führender bundesdeutscher Politiker dennoch tun zu dürfen, zeigt, welches Selbst- und Rechtsstaatsverständnis bei den Sozialdemokraten offenbar vorherrscht. Der Rechtfertigungsgrund, Schaden von der SPD oder der Koalition abzuwenden, ist jedenfalls bisher nicht anerkannt. Das kennt man sonst eigentlich nur aus Bananenrepubliken.
Lernen konnten wir in den vergangenen Tagen ebenfalls, dass Dankbarkeit in dieser Großen Koalition bis jetzt noch einen großen Stellenwert hat. Da wird dem zurückgetretenen Bundesminister Hans-Peter Friedrich auch von linken Sozialdemokraten dafür gedankt, dass er seine Dienstpflichten verletzt hat, um Schaden vom künftigen Koalitionspartner SPD abzuwenden und um den Start der Großen Koalition nicht zu gefährden. Dass den Koalitionären dabei überhaupt nicht aufgefallen ist, welches Bild sie in der Öffentlichkeit durch die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze abgeben, ist bestürzend.
Die Kanzlerin hat jetzt ihrem Vizekanzler, Sigmar Gabriel, das Vertrauen ausgesprochen. Es ist eine politische Binsenweisheit, dass dies – sollte eine Situation so weit eskaliert sein – fast immer das Gegenteil bedeutet. Wir werden noch in dieser Legislaturperiode erleben, dass das enttäuschte Vertrauen zwischen Schwarz und Rot die weitere Zusammenarbeit dauerhaft vergiftet hat. Diese Mesalliance wird deshalb nicht alt. Die Kanzlerinnendämmerung hat eingesetzt.