KUBICKI-Gastbeitrag für „Focus Online“
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied WOLFGANG KUBICKI schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Warum der Staat die Zahlungen an die Kirchen stoppen muss
480 Millionen Euro zahlen die Bundesländer jährlich an die beiden großen Kirchen in Deutschland. Doch dieses System ist längst überholt – und muss endlich ein Ende finden. Franz-Peter Tebartz-van Elst ist in der Diskussion um die berühmte Baustelle in Limburg zur traurigen Inkarnation für ein aus dem Ruder gelaufenes Selbsterhebungsbedürfnis geworden. Dass es in der folgenden medialen Auseinandersetzung – wie es mittlerweile leider üblich geworden ist – zu deutlichen Grenzübertretungen gekommen ist und dem sogenannten „Protz-Bischof“ hierbei sogar eine krankhafte Persönlichkeitsstörung nachgesagt wurde, sollten wir allerdings nicht wortlos hinnehmen. Bei allem Verständnis für den Trubel über das Verhalten des Bischofs – eine mediale Hinrichtung hat in einem aufgeklärten Rechtsstaat niemand verdient.
Die Diskussion um die bemerkenswerten Limburger Verhältnisse hat jedoch – ganz nebenbei – auch ein anderes, sehr wichtiges Thema in den Fokus gerückt: die Frage der finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen.
Eindruck einer „Staatskirche“
14 der 16 Bundesländer leisten jährlich Zahlungen an die beiden großen Kirchen im Land, in einer Größenordnung von aktuell etwa 480 Millionen Euro. Die Grundlage für die Staatsleistungen ist in den sogenannten Staatskirchenverträgen verankert.
Der in diesem Wort enthaltene Begriff „Staatskirche“ ist etwas missverständlich. Natürlich haben wir keine Staatskirche, und wir hatten in der Bundesrepublik auch zu keinem Zeitpunkt eine. Wenn wir uns die finanziellen Leistungen des Staates in ihrer Gesamtheit anschauen, könnte ein entsprechender Eindruck allerdings entstehen.
Die staatlichen Leistungen, um die es hier geht, werden als Entschädigung gezahlt für die Enteignungen von Kirchenbesitz, die überwiegend zu Zeiten Napoleons geschahen und teilweise auch auf die Zeit der Reformation zurückzuführen sind. Die Geldleistungen aus den Staatskirchenverträgen fließen den Kirchen zu, ohne dass diese für einen konkreten Zweck verwendet werden müssen – seit fast zwei Jahrhunderten, jährlich ansteigend und alles andere als transparent. Leistungen für soziale Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Pflegeheime, Krankenhäuser usw. erfolgen im Übrigen zusätzlich und gänzlich unabhängig von den „Entschädigungszahlungen“.
Lobbyarbeit der Kirchen wirkt bis heute
Im Parlamentarischen Rat für die Bundesrepublik Deutschland waren sich die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes darüber im Klaren, dass die Staatskirchenleistungen irgendwann ein Ende finden müssen. Deshalb gaben sie den Verfassungsauftrag, der schon in die Weimarer Reichsverfassung Eingang gefunden hatte, an die Parlamentarier der Bonner Republik weiter (Art. 140 GG). Bis heute ist in dieser Frage jedoch nichts geschehen. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien – ich schließe meine Partei hier ausdrücklich ein – hat es vermocht, diesem Auftrag das nötige Gewicht zu verschaffen. Die Lobbyarbeit der Kirchen wirkt bis heute.
Neben diesem stetig schwelenden Verfassungsauftrag steht eine weitere Entwicklung, die die ernsthafte Diskussion über die Ablösung der Staatskirchenleistungen weiter rechtfertigt: Die Zahl der Mitglieder der christlichen Kirchen sinkt seit den 1960er Jahren kontinuierlich. Zum Stichtag 31. Dezember 2011 gehörten 58,8 Prozent der Bundesbürger den beiden großen christlichen Kirchen an. Mehr als ein Drittel der Menschen in unserem Land bekennt sich zu keiner der beiden Religionsgemeinschaften. In Sachsen-Anhalt ist noch nicht einmal mehr jeder Fünfte katholisch oder evangelisch. Auch im Lichte dieser Entwicklung wäre es an der Zeit, sich mit der Ablösung dieser Leistungen auseinanderzusetzen.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Selbstverständlich haben die Kirchen einen Anspruch darauf, dass sie für Enteignungen entschädigt werden. Alles andere wäre Willkür und eines Rechtsstaates nicht würdig. Aber es sollte dabei schon schlüssig dargelegt werden, wie viel ihnen genau zusteht, damit keine ungerechtfertigte Überkompensation entsteht.
Der Weg zum Ende der Zahlungen
Eine Lösung könnte daher die Einrichtung einer Kommission beim Bundesfinanzministerium sein, die einerseits in einer Art Eröffnungsbilanz die 1803 verstaatlichen Kirchengüter bewertet und anderseits die Summe der seitdem an die Kirchen geflossenen Entschädigungen ermittelt. Dabei sollte transparent, offen und für jeden nachvollziehbar dargelegt werden, welchen Wert die Kirchengüter damals hatten und wie viel an bisherigen Zahlungen geleistet wurden. Eine Überprüfung dieser Zahlen durch sachverständige Dritte sollte selbstverständlich möglich sein.
Am Ende dieses Prozess müsste der dann fällige Restbetrag abgelöst und somit der Auftrag aus dem Grundgesetz vollzogen werden. Dabei kann als Ergebnis auch herauskommen, dass mit den bisher geleisteten Zahlungen alles abgegolten ist. Die Steuerzahler haben es verdient, dass der Staat seiner im Grundgesetz verankerten Verpflichtung nachkommt und dieses Kapitel nun endlich abschließt.
Und selbst innerhalb der Kirche scheint es Stimmen zu geben, die sich nach einer entsprechenden Ablösung sehnen. So sagte Papst Benedikt XVI. vor zwei Jahren, die Kirche müsse sich „entweltlichen“. Und: Die damalige Enteignung habe „zur Läuterung wesentlich beigetragen“. Wenn wir den Verfassungsauftrag nicht jetzt erfüllen, wann dann?