FDPEU-Kommission

FDP nimmt Junckers Sorgenkinder unter die Lupe

Alexander Graf Lambsdorff und Michael TheurerDie Liberalen sehen die Auswahl der EU-Kommissare kritisch
08.10.2014

Insgesamt 81 Stunden lang wurde die neue EU-Kommission gegrillt. Jeder der 27 Kandidaten, die der künftige Kommissionschef Jean-Claude Juncker für einen bestimmten Aufgabenbereich nominiert hat, mussten sich drei Stunden den Fragen der Europaabgeordneten stellen - fünf davon saßen nach, einer fiel durch. Die FDP hat die Chance genutzt, um die Prioritätensetzung der Kandidaten streng zu prüfen.

Die 27 designierten EU-Kommissare mussten die Anhörungen im EU-Parlament überstehen. Bei einigen von ihnen ist strittig, ob sie das ihnen zugedachte Amt überhaupt unbefangen ausüben können. Fünf mussten denn auch nachsitzen, einer fiel am Ende durch.

Der FDP-Abgeordnete Michael Theurer etwa wollte fragen, was Jonathan Hill, der britische Kandidat für das Ressort Finanzmärkte „mit geheimen Informationen über Banken der Eurozone machen könnte". Auch der Vorsitzende der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, empfindet die Übertragung der Verantwortung für die Reform des Finanzsektors an den Kommissar aus Großbritannien als echte Provokation: „Kein Land hat so konsequent versucht, den Finanzsektor vor Reformen zu bewahren wie das Vereinigte Königreich.“

Verfolgen Sie die Anhörungen per Twitter:

Juncker macht Bock zum Gärtner

Auch der designierte Kulturkommissar Tibor Navracsics stößt auf wenig Begeisterung bei den Liberalen. Er musste harte Fragen zu seinen Überzeugungen beantworten, der Ungar ist Mitglied der rechtskonservativen Fidesz-Partei von Premierminister Viktor Orban. Lambsdorff sagt: „Tibor Navracsics war als Orbans Justizminister für den systematischen Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn verantwortlich. Bleibt nur zu hoffen, dass sich CDU/CSU und mit ihnen die gesamte Europäische Volkspartei nicht wieder schützend vor Orban und seine Fidesz-Partei stellen.“

Das Europaparlament hat den Ungarn Tibor Navracsics nun durchrasseln lassen. Die Parlamentarier entschieden nach zwei Anhörungen, dass er das Amt als EU-Kommissar für Kultur nicht ausüben kann. Die Mitglieder des Kulturausschusses lehnten den designierten Kommissar für den Posten ab - akzeptierten ihn aber grundsätzlich als Mitglied der neuen EU-Kommission, wie mehrere Volksvertreter am Montagabend in Brüssel mitteilten.

Lambsdorff sieht aber auch Pierre Moscovici kritisch. Der frühere Finanzminister Frankreichs habe „nicht ein einziges Mal die Maastricht-Kriterien eingehalten. Während Juncker als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen noch das hohe Lied der Haushaltsdisziplin sang, macht er jetzt den Bock zum Gärtner.“

Oettinger hat noch keine Strategie

FDP-EU-Parlamentarier Michael Theurer nahm zur Befragung des designierten Kommissars für Digitales, Günther Oettinger, Stellung. Zwar setze er die richtigen Akzente bei der schnellstmöglichen Vollendung des digitalen EU-Binnenmarkts, in Sachen Netzneutralität, Cloud Computing und Google bleibe Oettinger allerdings hinter den Erwartungen zurück. Auf die Frage nach Möglichkeiten, die Marktmacht von Google zu begrenzen, habe Oettinger leider keine befriedigende Antwort liefern können.

„Die Liste an Herausforderungen, die auf Oettinger warten, ist lang“, konstatierte Theurer. Im globalen Wettbewerb in der digitalen Welt und dem IT-Bereich sei Europa weit zurückgefallen, „sei es mit Blick auf Handys, Computer, Tablets, Betriebssysteme oder Prozessoren“. Theurer forderten die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Forschung, „damit Europa in den aktuellen oder sich anbahnenden großen Entwicklungen mitmischen kann, etwa dem Internet der Dinge, smart Cities oder e-Health“.

Jonathan Hill im Kreuzverhör

Von Jonathan Hill wollte Theurer im Hearing wissen, wie er Interessenkonflikte auszuschliessen gedenkt. Mit den Antworten war er nicht zufrieden. Per Twitter hielt er fest:  "Hill surft meisterhaft auf Allgemeinplätzen." Gefragt nach Bausteinen der Kapitalmarktunion habe man nicht konkretes gehört.

Sein Fazit lautet: "Jonathan Hill hat sich bei seiner Anhörung zwar ruhig und rhetorisch brillant präsentiert, aber ohne Substanz in Detailfragen und leidenschaftslos mit Blick auf das europäische Einigungswerk. Dass er noch nicht einmal eine Meinung zu Eurobonds hat, disqualifiziert ihn im Prinzip."

Für ihn wiegt aber am schwersten: "Den Verdacht des Interessenkonflikts konnte Hill auch mit dem Ehrenwort des britischen Gentleman nicht entschärfen. Konkrete Fragen nach seiner Vergangenheit als Lobbyist beantwortete er ausweichend, Namen ehemaliger Kunden nannte er nicht."

Moscovici fällt auch durch

Auch der designierte EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Pierre Moscovici, kann in der Anhörung nicht überzeugen. "Starke Fragen – schwache Antworten", fasst Theurer zusammen.

"Seine Antworten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politische Bilanz der französischen Regierung kein Empfehlungsschreiben für das Währungsressort der EU-Kommission ist", so der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Delegation im Europaparlament. Für ihn ist die Nomierung des Franzosen so, "als ob man den Dauerraser mit Tempokontrollen beauftragt." Theurer kritisiert, dass Moscovici nicht erkennen lasse, "was er hinsichtlich der besseren Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen als zuständiger Kommissar vorhat."

 

Fünf Kandidaten mussten in die zweite Runde

Das Ergebnis der ersten Anhörungen muss für Juncker ernüchternd sein: Fünf seiner Wunschkandidaten sind bei den Abgeordneten des Europaparlaments durchgefallen und mussten erneut auf den heißen Stuhl. Die Kandidaten für Innen, Kultur, Energie, Finanzen und Währung müssen ihre zweite Anhörung bestehen, um Anfang November ihre Arbeit als neue EU-Kommission aufnehmen zu können.

Eine Änderung muss Juncker schon vornehmen: Der Ungarn Tibor Navracsics hat das EU-Parlament durchfallen lassen; allerdings könnten weitere folgen: Denn auch andere Kandidaten müssen um eine Bestätigung bangen. Der Brite Jonathan Hill, der Franzose Pierre Moscovici, der Wirtschaftskommissar werden soll. Auch die künftigen Aufgaben der Tschechin Vera Jourova und die des Spaniers Miguel Arias Cañete sind noch unklar. Erstere will Justizkommissarin werden, Cañete ist designierter EU-Energie- und Klimakommissar.

Stabilitätspakt darf nicht aufgeweicht werden

Im Vorfeld der Anhörungen umriss der Vorsitzende der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, die Erwartungen der Liberalen an die neue EU-Kommission: „Wachstum und neue Arbeitsplätze müssen im Mittelpunkt der politischen Agenda der Kommission stehen. Der Stabilitätspakt darf nicht aufgeweicht werden. Wirtschaftsreformen, nicht neue Schulden, sind Voraussetzung für Wachstum. Wir erwarten konkrete Vorschläge, wie wir die industrielle Basis Europas erhalten und ausbauen, den gemeinsamen Binnenmarkt für Energie und Digitales vollenden und die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und des USA erfolgreich zum Abschluss bringen können.“

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